2016: Rekordernte bei Weizen, doch deutlich weniger Mais

Rumäniens Agrarsektor trägt trotz Wachstum nur noch gering zum BIP bei

Heuer Rekordweizenernte, aber die Maisernte fällt geringer aus als im Vorjahr.

In jedem rumänischen Geschichtsbuch steht, dass das Land vor dem Ersten Weltkrieg ein richtiges Agrarland war. Erst Ende der 1930er Jahre wurde es, so die Historiker, zu einem „agrar-industriellen Land”. Es gehörte mit zu den Obsessionen der Kommunisten, Rumänien zu einem Industrieland machen zu wollen. Rein statistisch ist ihnen dies wohl gelungen, denn Ende 1989 trug die Industrie mit 58 Prozent zum Volkseinkommen bei, die Landwirtschaft mit bloß 15 Prozent. Für europäische Verhältnisse waren auch diese 15 Prozent im Jahre 1989 sehr viel. Ein Vierteljahrhundert später ist der Anteil der Landwirtschaft am rumänischen Bruttoinlandsprodukt unter fünf Prozent gefallen.
 

Vier Tonnen Weizen pro Hektar

Eine Rekord-Weizenernte meldete der rumänische Landwirtschaftsminister vor Kurzem, ein Wachstum von 7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und einen durchschnittlichen Ertrag von 4 Tonnen pro Hektar. Dies entspricht einer Gesamternte an Weizen von 8,4 Millionen Tonnen, die rumänische Bauern in diesem Sommer eingefahren haben, 2015 waren es nur 7,8 Millionen Tonnen, 2007 sogar nur 3 Millionen Tonnen. Wegen der Dürre der vergangenen Wochen in weiten Teilen Süd- und Ostrumäniens wird jedoch die Maisernte durchaus geringer als im Vorjahr ausfallen, das Landwirtschaftsministerium rechnet mit lediglich 8,8 Millionen Tonnen Mais, 2015 waren es 12 Millionen Tonnen und im Rekordjahr 2012 sogar 15,9 Millionen Tonnen.

Die gesamte landwirtschaftliche Produktion Rumäniens soll in diesem Jahr mit zwischen 5 und 10 Prozent im Vergleich zu 2015 wachsen, so von der Bukarester Wirtschaftszeitung Ziarul Financiar veröffentlichte Schätzungen des Fachressorts. Allerdings stellt sich die Frage, welchen Anteil am gesamtwirtschaftlichen Wachstum die Landwirtschaft in diesem Jahr einnehmen wird. Der Beitrag des Agrarsektors zum rumänischen Bruttoinlandsprodukt ist in den vergangenen Jahren deutlich gesunken. Lag er im Jahr vor dem EU-Beitritt Rumäniens (2006) bei 7,7 Prozent, ging er 2007 auf 4,8 Prozent zurück, stieg dann jedoch wieder bis auf 7,4 Prozent im außerordentlich guten Landwirtschaftsjahr 2012. Seit 2012 ging der Beitrag der Agrarwirtschaft aber stetig zurück, im vergangenen Jahr trug die Landwirtschaft mit nur noch 4,2 Prozent zum volkswirtschaftlichen Output des Landes bei.
2015 leisteten rumänische Farmer sogar einen negativen Beitrag zum Wachstum von – 0,4 Prozent; das kräftige Wachstum der Ausfuhren und des Endverbrauchs konnten den negativen Beitrag der Landwirtschaft zum gesamtwirtschaftlichen Wachstum jedoch kompensieren.
 

Wetterabhängigkeit vorbei?

Die relativ hohen Investitionen, die seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 im rumänischen Agrarsektor getätigt wurden, vor allem durch das starke ausländische Kapital, das riesige Ackerbauflächen erworben hat, zeitigen nun positive Folgen. Die Produktivität ist stetig gestiegen, die Abhängigkeit des Agrarsektors vom Wetter hat sich eindeutig reduziert. Und damit auch die Abhängigkeit der rumänischen Volkswirtschaft von den Wetterbedingungen. Noch Anfang des Jahrzehnts konnte ein unter dem Strich schlechtes Agrarjahr ein geschätztes Wirtschaftswachstum von 1,5 bis 2 Prozent zu einem BIP-Rückgang von 0,5 bis 0,7 Prozent werden lassen. Schaut man sich die Entwicklung der vergangenen drei Jahre an, vor allem die Struktur des Bruttoinlandsprodukts und die Wachstumsraten der jeweiligen Sektoren im Jahr 2015, so könnte man im Grunde schlussfolgern, dass nun der Beitrag der Landwirtschaft zum Bruttoinlandsprodukt so gering geworden ist, dass selbst ein schlechtes Agrarjahr die gesamtwirtschaftliche Entwicklung nur noch marginal beeinflussen kann. Ob sich dieser Trend verfestigt, wird sich jedoch nur dann zeigen, wenn das BIP-Wachstum verlangsamen wird, voraussichtlich nach 2017. Jedenfalls ist das Land mit dieser Struktur der volkswirtschaftlichen Gesamtproduktion dem europäischen Durchschnitt etwas näher gekommen.
 

Getreideproduktion fest in Hand der Großfarmer

Eine weitere Entwicklung sollte festgehalten werden: 27 Jahre nach 1989 und 25 Jahre seit der ersten postkommunistischen Bodenreform (dem berühmt-berüchtigten Bodengesetz Nr. 18/1991) sind die Eigentumsverhältnisse in der rumänischen Landwirtschaft nicht mehr zu erkennen. In Westrumänien sowie im Südosten des Landes, im Bărăgan, gibt es fast nur noch Großgrundbesitzer, in- wie ausländische. Diese bauen vornehmlich Getreide, Sonnenblumen oder Raps an, einen erheblichen Teil der Produktion exportieren sie vor allem in den Vorderen Orient oder nach Nordafrika.

Im Gemüse- und Obstanbau jedoch profilieren sich verstärkt einheimische Farmer, allein durch EU-Fonds sind zahlreiche neue Anbauflächen entstanden, in allen Regionen. In der Viehzucht jedoch mischen auch ausländische Unternehmen stark mit, Rumäniens größter Schweinezüchter bleibt weiterhin der chinesische Konzern Shuanghui, der den US-Riesen Smithfield übernommen hat und damit auch die ehemaligen Comtim-Schweinemastbetriebe in Westrumänien.

Die für Rumänien traditionelle Schafzucht bleibt allerdings fest in einheimischer Hand. Unter den zehn größten Schafbesitzern Rumäniens sind acht Landwirte, den ersten Platz belegt weiterhin ein Hirte aus Hunedoara. Knapp 11 Millionen Schafe und Ziegen zählte die Statistik 2014, fast so viele wie 1989. Dagegen wurden nur noch 2,068 Millionen Rinder gezählt (1989: 7,5 Millionen) und etwas über 5 Millionen Schweine (1989: 15 Millionen). Hat sich also der Ackerbau deutlich erholt, so ist die Viehzucht weit davon entfernt. Aber die Subsistenzwirtschaften, die für den Großteil der Agrarproduktion in den 1990er Jahren aufkamen, spielen eine immer geringere Rolle, der Verkauf von Agrarflächen an Großfarmer setzt sich weiterhin fort. Allerdings bleiben überdurchschnittlich viele Personen in der Landwirtschaft beschäftigt, seit dem EU-Beitritt ist der Anteil der im Agrarsektor Beschäftigen nur gering zurückgegangen (2005: 31,6 Prozent; 2011: 28,6 Prozent; 2014: 25,4 Prozent). Man merke: 2014 waren nur 13 Prozent der arbeitsfähigen Griechen in der Landwirtschaft beschäftigt, in Polen 11,8 Prozent. Im EU-Durchschnitt waren es bloß 4,7 Prozent.

Diese gegensätzlichen Entwicklungen in der Landwirtschaft, zum einen ein sinkender Beitrag zum gesamtwirtschaftlichen Output, zum anderen weiterhin ein zu hoher Anteil der in der Landwirtschaft Beschäftigten, stellen auch das einschlägige Ministerium vor große Herausforderungen. Träger der Modernisierung sind eindeutig nur die Großfarmen, egal ob das Kapital aus dem Ausland kommt oder nicht. Dies einerseits. Andererseits muss für die hohe Anzahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft eine Lösung gefunden werden, denn auf Großfarmen können sie kaum gebraucht werden, vor allem auch deshalb, weil ihr Bildungsgrad den Erfordernissen der Zeit kaum entspricht. Und die Gründung von Genossenschaften, die Durchführung von Bildungsmaßnahmen, die Wiederbelebung von landwirtschaftlichen Schulen, der Durchbruch der ökologischen Landwirtschaft und des Tourismus im ländlichen Raum, der den Ökobauern zum erfolgreichen Betreiber einer Gastwirtschaft machen sollte, das alles steckt noch in den Kinderschuhen. Und die Folgen des in diesem Sommer verabschiedeten Gesetzes Nr. 150/2016 (zur Änderung des Gesetzes Nr. 321/2009 über den Verkauf von Lebensmitteln in Rumänien), das Supermärkte dazu zwingt, gewisse Lebensmittel nur über die sogenannte kurze Beschaffungskette, also aus inländischer Produktion, einzukaufen und den Verbrauchern anzubieten, sind noch nicht klar erkennbar.

Trotz des radikalen Wandels also, den die Agrikultur in Rumänien in zweieinhalb Jahrzehnten durchgemacht hat, bleibt die Landwirtschaft für jede Regierung eine der wichtigsten Baustellen. Ein Agrarland ist Rumänien sicherlich nicht mehr, das Potenzial dieses Sektors ist jedoch längst nicht ausgeschöpft.