Abenteuer Heimat

Theo Nagy: Erfolg durch Vielseitigkeit und Gemeinschaftssinn

Theo Nagy überzeugt durch seine Begeisterungsfähigkeit.

Ein lauschiges Plätzchen zum Arbeiten, für traute Zweisamkeit oder auch ein geselliges Mahl.

Das Schwein genießt es, mit dem Besen gekratzt zu werden.

Vor dem Teich kreist eine elektrische Miniatur-Wassertalbahn.

Eingepfercht zwischen den Häusern der Zipserei hat sich Theo Nagy ein kleines Paradies geschaffen.
Fotos: George Dumitriu

„Biertrinken kann man auch auf rumänisch - die Idee dahinter ist eine andere“, erklärt Theodor Nagy das Oktoberfest, das er nun schon seit sieben Jahren in seiner Fremdenpension in Oberwischau/Vişeu de Sus veranstaltet. Man soll sich treffen, zwanglos beisammen sein, vielleicht sogar Freunde finden. Und Vereine will er gründen:eine freiwillige Feuerwehr, einen Gärtnerclub, mit Wettbewerben und Preisen für den schönsten Garten. Der Zipser ist stets bestrebt, die Menschen um sich zu vereinen. Da sind selbstverständlich nicht nur deutschstämmige Gäste willkommen, sondern alle Oberwischauer, erklärt er, der auch als Mitglied im Vorstand des Deutschen Demokratischen Forums und im Gemeinderat der Stadt aktiv ist. „Denn wer hilft einem, wenn man mal was braucht? Nicht Fremde, sondern Freunde!“ Anpacken, Synergieeffekte erzielen, gemeinsam etwas schaffen  - und auch ein bisschen zeigen: „Wir Zipser halten z’samm.“

Wir sitzen im Pavillon in seinem kleinen, selbstgeschaffenen Paradies. An den Hügel zwischen den engen Häuserparzellen der sogenannten Zipserei - dem Stadtviertel, in dem sich die deutsche Minderheit, die hier zwischen 1775 und 1820 aus Österreich, Bayern und Sachsen sowie aus der slowakischen Zips angesiedelt wurde, um die Holzbestände des Wassertals auszubeuten, häuslich niedergelassen hatte - schmiegt sich ein langgestrecktes Holzhaus: Sein einstiges Elternhaus, das er nach und nach zu einer traditionellen Pension mit Restaurant und angegliederter Tierfarm ausgebaut hat. Davor ein Teich, den eine elektrische „Mini-Wassertalbahn“ umkreist. Dahinter windet sich der Pfad nach oben zu den Ställen der  Mangalitza-Schweine, der Scottish Highland Rinder und Kamerun-Schafe auf der anderen Seite des Hügels.
„Cholesterinarmes Fleisch für den Restaurantbetrieb - und alles bio - erklärt Theo Nagy stolz. Rumänische Schafe hält er  nur für Milch und Käse. 

Nichts wie weg!

Eine eigenwillige Idylle mit Charme, die man so schnell nicht verlassen möchte. Und doch für Theo Nagy erst auf Umwegen erworben, denn mit 22 Jahren wollte er erstmal nichts wie weg. Zu düster schien dem jungen Maschinenbauer die Zukunft im kommunistischen Rumänien. Zu Fuß brach er eines Tages einfach über die Grenze auf - und ließ  nicht nur seine nichtsahnenden Eltern, sondern auch seine junge Frau und das drei Monate alte Töchterchen für unbestimmte Zeit zurück. „Ich hoffte, meine Familie später von Deutschland aus rauskaufen zu können“, erklärt Theo Nagy, für den deshalb damals nur eines wichtig war: So schnell wie möglich Geld zu scheffeln! Im Auffanglager in Nürnberg verdingte sich der Flüchtling zuerst als Übersetzer für Rumänisch, doch sobald er seine neuen Papiere hatte, heuerte er gleich bei mehreren Firmen gleichzeitig an. „Zeitweise hatte ich vier Jobs“, erzählt Theo Nagy. „Bei der Kugellagerfirma INA-Schaeffler, beim Fernseherhersteller  Grundig, in einer Kunststofffabrik und nebenbei hab ich als Kellner gejobbt.“ Auf Freizeit legte der junge Mann keinen Wert. Er trank nicht, rauchte nicht und teilte sich mit vier ebenfalls geflüchteten Landsleuten ein Appartment. Nur um Geld zu sparen, bis die Familie kommt. Das dies noch Jahre dauern könne, war ihm klar. Ungewisse Jahre, ohne Besuchsmöglichkeit, ohne sich auch nur einmal zu sehen. Gut, dass ihm keine Zeit zum Nachdenken blieb...
Weihnachten zuhause

Dann, im Dezember 1989, kam er eines Abends in die Wohnung. „Alles war leer, meine Kollegen weg,“ erinnert sich der Zipser an den ersten Schock. Ahnungslos, denn nichtmal zum Fernsehen hatte er in den letzten Tagen Zeit gehabt, ging er zum Nachbarn: „Du, Andreas, was ist hier passiert?“ „Ja, weißt du es denn noch nicht?“ entgegnet dieser ungläubig. „In Rumänien ist der Ceauşescu runter!“ Theo konnte es kaum fassen! Von Freude überwältigt, rannte er zu seinem Auto, stieg ein und fuhr einfach los. „Ich hab keinem was gesagt“, erinnert er sich, „bin nur die ganze Nacht gefahren. Ich dachte noch, jetzt bin ich die Jobs los - aber es war mir wurscht!“ Unterwegs kaufte er hastig an der Tankstelle ein paar Sachen. Jetzt zählte nur noch die Familie. Weihnachten würde er bei ihr zuhause sein!

Erst am  nächsten Morgen rief er aus Ungarn seinen Chef bei INA-Schaeffler an - und war beeindruckt von dessen Reaktion: „Mach dir keinen Kopf, Theo, ich trag dir erstmal 10 Tage Urlaub ein,“ sagte ihm dieser und freute sich mit ihm. Ähnlich verhielten sich die anderen Vorgesetzten. Auf löchriger Straße ging es nun auf die Grenze zu, die er abends um  acht erreichte. Ungeduldig wartete er auf der ungarischen Seite, den Kofferraum voller Süßigkeiten. „Da hab ich gesehen, alle fahren durch, keiner wird angehalten.“

Weg nach oben

Für die Familie war seine Ankunft nach zwei Jahren Trennung eine kollossale Überraschung. Die Tage zuhause vergingen im Flug. Vor der Rückfahrt instruierte er seine Frau Gabriele: „Mach in Ruhe deine Papiere. Du und Isabella, ihr sollt nun legal rüberkommen.“ Endlich in Deutschland vereint, wünschten die Nagys so schnell wie möglich ein Eigenheim. Theo arbeitete weiterhin rund um die Uhr in drei parallelen Jobs und machte sich zudem mit einem Fuhrdienst selbständig. „Ich hatte Sonderfahrten für INA-Schaeffler - da stellte ich einen ‚Subingenieur‘ aus Oberwischau als Fahrer ein, der keinen Job bekam, weil er als Arbeiter überqualifiziert war und als Ingenieur nicht genug“, erklärt er die Situation und fügt an: „24 Jahre war er bei mir angestellt, der Adolf Kellermann.“ So begann seine Karriere als Spediteur. Seine Frau zog von Anfang an mit an einem Strang. Es war ihr keine Schande, nach der Arbeit noch im Kindergarten putzen zu gehen, bemerkt Theo Nagy nicht ohne Stolz.

Von da an ging es aufwärts für die junge Familie. Theo gab bald sein Angestelltenverhältnis auf und konzentrierte sich auf den Aufbau der Spedition. Weil er meist Kunststoffabfall zum Pressen transportierte, interessierte er sich für diese Technologie und entdeckte ein weiteres lukratives Geschäft. Alsbald beschaffte er selbst Mühlenpressen und begann, zusammen mit seinen ebenfalls ausgewanderten Brüdern, Granulat für Tiefziehmaschinen herzustellen. „Ich hab dann zeitweilig auch noch Pressen verkauft, und Gussmaschinen für Autoteile“, erzählt der findige Geschäftsmann.

„Mitnehmen kann man eh nichts“

Nach 24 Jahren war Deutschland längst zur neuen Heimat geworden. Bis der Anruf seines Vaters alles ins Wanken brachte... Theo Nagy lächelt still in sich hinein und lässt die Blicke schweifen. Über den grünen Hügel, den Teich, die Eisenbahn, und zurück. Das Telefon auf dem karierten Tischtuch brummt. „Ich war damals oft in Oberwischau und hab meine Eltern unterstützt“, hebt er unvermittelt an. Als das Rote Kreuz, die Landlerhilfe und später die Caritas die ersten Zivildienstleistenden aus Österreich schickten und diese Gastfamilien suchten, hatte er seiner Mutter geraten: „Nimm Zivis auf, die zahlen ein bisschen was und du langweilst dich nicht.“ Zuerst hatten die jungen Leute, die 14 Monate vor Ort blieben, noch Angst vor dem fremden Balkanland. Doch bald kamen  die ersten Freunde und Verwandten zu Besuch, die alle bei den Nagys einquartiert wurden. Als es immer mehr wurden, sagte Theo Nagy zum Vater: „Lass uns doch zwei Zimmer über der Garage bauen, sonst hab ich keinen Platz zum Schlafen, wenn ich mal aus Deutschland komme.“ So entstand die erste Pension in Oberwischau. Als dann eines Tages sein Vater anrief und klagte, „Theo, warum hast du das alles nur so groß gemacht - ich schaff das nimmer!“, sagte er zu seiner Gabi: „Nun haben wir alles geschafft. Die Tochter ist verheiratet. Mitnehmen können wir eh nichts. Geben wir doch alles den Kindern - und gehen zurück!“

Vom Spediteur zum Ökobauern

„Da war ich 48“ sagt der heute 50-Jährige. Wir stehen vor dem Stall auf dem Hügel, von drinnen dringt freudiges Quieken. Der kräftige Mann schnappt sich einen Besen und nähert sich dem Verschlag. Das Borstenvieh darin versteht und kehrt ihm den Rücken zu. Wohlig grunzend genießt die Sau die „Massage“. „Mangalitza Schweine werden in zwei Jahren nur 160 Kilo schwer, die waren zu unproduktiv und deshalb hat man auf  sie verzichtet“, doziert der heutige Hobbybauer. Doch das Fleisch dieser alten Rasse ist kalorienarm und gesund. „Und alles bio“, bekräftigt er erneut. „Als Fleischversorgung für die eigene Pension - zuerst nur ein Hobby, doch schön langsam hab ich die Größe, wo sich das lohnt“, meint der Zipser. Nur von Mitgliedschaften in Vereinigungen und Öko-Labels hält er wenig: „Denn genauso wie ich skeptisch bin, ist es auch der Kunde. Ich bring Ihnen morgen fünf international anerkannte Zertifizierungen - aber der Kunde, der glaubt mir das sowieso nicht“. Es sei wie in der Schule, fährt er ein wenig bitter fort: „Du meldest dich an, zahlst, bekommt deine Diplome. Ich hab alle Kurse probiert, die es in Rumänien gibt - aus Spaß, um zusehen, wo sie hinwollen. Kellner, Restaurantdirektor...  alles vom Tourismusministerium. Aber ich weiß nichts!“ Nachdenklich fügt er hinzu: „Ich habe Angst, dass das so weitergeht.“

Zusammenhalt und deutscher Wind

Auch deshalb engagiert sich der Zipser in seiner alten Heimatstadt. „Ich probier halt, ein bisschen deutsche Luft reinzubringen“, hat er sich vorgenommen. Als Beispiel nennt er die duale Berufsausbildung, die nun mithilfe von Lehrern  aus Deutschland in der Fachhochschule von Oberwischau vorangetrieben werden soll. „Aber auch, dass wir beim Feiern alle gleich sind - nicht wie man es hier macht, für die hohen Leute den Tisch fein eindecken und die anderen essen aus Plastiktellern. Die Merkel hat auch mit allen beim Oktoberfest Bier getrunken!“ bekräftigt er.
Vorbild zu sein ist ihm wichtig. Aber auch, die Zipser wieder zu vereinen und zu zeigen, dass man gemeinsam etwas bewirken kann. „Nach der Wende hatten sich die Leute auseinandergelebt. Der Rest hatte keinen Mut mehr“. Nun aber sei mit der neuen Leitung des deutschen Forums in Oberwischau frischer Wind aufgezogen. Jetzt könne man es wagen. Und wie so oft in seinem Leben krempelt Theo Nagy die Ärmel auf.