„... aber in Deutschland war ich der Rumäne“

Facetten zum Freikauf der Rumäniendeutschen – auch aus rumänischem Blickwinkel

Regisseur Răzvan Georgescu steht einem interessierten Publikum Rede und Antwort.

Der aus Viktoriastadt/Oraşul Victoria stammende Kaufmännische Direktor des Goethe-Instituts München, Dr. Bruno Gross, berichtet auch aus eigenem Erleben.
Fotos: George Dumitriu

Der in ausgewählten Sequenzen am 23. Mai in einer Veranstaltung des Bukarester Goethe-Instituts vorgestellte Dokumentarfilm „Paşaport de Germania“ (Pass für Deutschland) untersucht anhand von Interviews mit Politikern, Unterhändlern und Ausgewanderten, diesmal betonter auch aus rumänischer Sichtweise, den Freikauf der Rumäniendeutschen zur Zeit Ceauşescus. In einer Rundtischdiskussion mit dem aus Siebenbürgen stammenden Kaufmännischen Direktor des Goethe-Instituts München, Bruno Gross, und dem rumänischen Soziologen Vintilă Mihăilescu standen die Macher des Films, Produzent Alexandru Solomon und Regisseur Răzvan Georgescu, dem Publikum Rede und Antwort.

Moralische Aspekte der Freikäufe

Heftig diskutiert wurde vor allem der moralische Aspekt der Freikäufe: Der Fluss deutscher Steuergelder an ein Unrechtsregime bzw. an die Securitate. Die Frage nach den wirtschaftlichen Interessen Deutschlands zur Zeit des Arbeitskräftemangels im Vergleich zu den vorgeblich rein humanitär motivierten Gründen. Die Problematik der Auswahl der Freizukaufenden, auf die von Deutschlands Seite her kein Einfluss bestand – und damit zusammenhängend die bis heute tabuisierten erforderlichen Bestechungszahlungen der Ausreisewilligen in Rumänien, um die begehrten Papiere zu bekommen. Das heißt, es wurde faktisch doppelt bezahlt. Letztere säten nicht nur Misstrauen und Zwietracht unter der deutschen Minderheit, sondern stellten für Betroffene sowie Mitwisser damals einen gefährlichen Straftatbestand dar. Denn gefordert wurde die Bestechungssumme – paradoxerweise – in streng verbotener Valuta! In einigen Fällen wurden Pässe schwarz gekauft, Handlanger und Behörden geschmiert. Vertrauenspersonen mussten in die Geldbeschaffung eingebunden werden, andere – zu deren oder zum eigenen Schutz – wurden bewusst ausgeschlossen. Familien entzweiten sich im Misstrauen. Die Ausreisepläne wurden oft bis zum letzten Moment geheimgehalten. War mal wieder jemand ausgewandert, fragte man sich hinter vorgehaltener Hand: „Haben die nun geschmiert oder nicht?“

Dass Schwarzzahlungen bis heute ein Tabuthema sind, mag in Anbetracht der vergangenen Zeit verwunderlich sein, doch die Drohung  des rumänischen Repressalienapparats an jene, die es geschafft hatten, blieb vielen im Gedächtnis eingebrannt: „Unsere Hand ist lang, ihr seid nirgendwo sicher“. Nicht einmal innerhalb der Familie wurde oft mehr darüber gesprochen. So war es selbst für das Filmteam schwer, aussagewillige Betroffene zu finden. Gross, der sich selbst als Zahlender outet, ist sicher: Alle Möglichkeiten, auf die begehrte Liste zu gelangen, involvierten in irgend einer Form Geld.
Die Entschädigungszahlungen seitens des deutschen Staates wurden anfangs noch als Ausgleich für geleistete Ausbildungskosten gefordert, doch schon früh ging diese Idee verloren, wie aus dem Film hervorgeht. Die pauschal geforderten Summen ließen keine Parallele zum Bildungsgrad erkennen.
Weil Deutschland mit dem Freikauf keine Zerstörung von Familien fördern wollte, hat man übrigens für mitausreisende rumänische Ehepartner gleichermaßen bezahlt. Die Frage, wohin die Gelder gingen, konnte auch Răzvan Georgescu nicht mit Sicherheit beantworten. Einigen Stimmen zufolge sollen 80 Prozent zur Tilgung der rumänischen Auslandsschulden verwendet worden sein; der Rest sei an die Securitate geflossen, gab der Regisseur mit Berufung auf unsichere Quellen an.

Trauma: Nicht mit offenen Armen empfangen

Zum Motiv der Ausreise befragt, stellte Bruno Gross klar: „Niemand fragte sich damals ‚Geh ich oder geh ich nicht?‘, sondern ‚Wann und wie gehe ich?‘“. Obwohl die Freiheit von Anfang an eine zweischneidige war – ließ man doch Verwandte und Freunde vielleicht für immer zurück – überwogen die Verlockungen des Westens. Ein Interviewter bekennt: Es war der Konsumrausch, der ihn trieb. Seine Vergangenheit empfand er als Makel und hätte sie am liebsten gelöscht. Erst sehr viel später erkannte er sie als reichhaltigen inneren Schatz – und begann, sich erneut für Rumänien zu interessieren. „In Deutschland bist du nur ein Konsument“, erkennt ein anderer, ein zurückgekehrter Siebenbürger Sachse. Schwerer war die Ausreise für die Alten auf dem Land, die mit Grund und Boden stark verbunden waren. Dennoch traf die Entwurzelung von der Heimat unerwartet auch manchen jungen Ausreisenden. Aus eigenem Erleben weiß Gross: „In Rumänien war ich der Deutsche – aber in Deutschland war ich der Rumäne!“ Auch zeigten sich die deutschen Bundesbürger kaum informiert über die Geschichte der Rumäniendeutschen und damit auch wenig interessiert an ihren Belangen. Kaum jemand kannte die Begriffe „Sachsen“ und „Schwaben“ in Bezug auf Rumänien. Man hatte eigene Probleme, Rumänien war für sie weit weg. So war es vor allem für die älteren Aussiedler schmerzhaft, erkennen zu müssen, dass man sie mit Skepsis und nicht wie erwartet mit offenen Armen empfing...

Familienzusammenführung versus Identitätskrise

In der Diskussion thematisiert wurden auch die im Film etwas zu kurz gekommenen historischen Hintergründe, welche den Freikauf unter dem Aspekt der Familienzusammenführung erst möglich gemacht hatten. Klaus Fabritius, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen im Altreich, klärt hierzu auf: Die 1944-1945 vorangegangene Dezimierung der Rumäniendeutschen durch den – freiwilligen oder unfreiwilligen – Rückzug nach Deutschland mit der Deutschen Armee, durch die Deportation in die Sowjetunion, und die Tatsache, dass nicht alle der überlebenden Russlanddeportierten nach Rumänien zurückkehrten, sondern auch in die ehemalige DDR versandt wurden, lieferte die rechtliche Grundlage.

Angesprochen wurde auch die bewusste Inkaufnahme der Zerstörung einer in Jahrhunderten gewachsenen sächsischen Kultur seitens der Bundesrepublik. Der Soziologe Mih²ilescu wies zudem auf die Rolle der Sachsen als identitätsbildender Teil der ethnischen Rumänen in Siebenbürgen hin. Diese hatten sich im dörflichen Zusammenleben an sächsische Organisationsstrukturen und Lebensweisen angepasst. Nicht nur die Institution der Nachbarschaften wurden übernommen und unabhängig weitergepflegt. Bis heute funktionierten die Rumänen in Siebenbürgen – etwa im Gegensatz zu Olteniern – nach solchen angenommenen Mustern, „der Transilvanier ist vertrags- und abkommensorientierter“, so Mihăilescu. Auch grenzten sich alteingesessene Rumänen von den nach dem Exodus der Sachsen zugewanderten stark ab. Somit sei mit der Auswanderung der Sachsen auch ein Teil der historischen Wurzeln dieser Rumänen verloren gegangen.

Phänomen Rückkehr

Im Film wird auch das neue Rückkehr-Phänomen vereinzelter Ausgewanderter angesprochen, die – oft im Bereich Bio-Landwirtschaft und traditionelle Produkte – in der alten Heimat ein neues Glück versuchen, mit im Westen erworbenem Geschäfts-Know-how und Eigenkapital. „Die Zukunft liegt für mich im Osten und nicht im Westen“, spielt der interviewte Bio-Farmer auf die noch unbelasteten landwirtschaftlichen Flächen an. „In Deutschland ist man nur Verbraucher“, wiederholt ein weiterer Auswanderer. So hat so mancher nach anfangs übermächtiger Verlockung der Konsumgesellschaft die Werte der alten Heimat überraschend wiederentdeckt. Den Kontra-Exodus gibt es, meint Vintilă Mihăilescu, wenn auch in unverhältnismäßig schwächerer Form. Ein Trend dürfte in naher Zukunft nicht daraus werden. Bruno Gross erkennt jedoch erfreut: Dass Migration in alle Richtungen immer normaler wird, sei schließlich die Kernidee der EU.