Aktionsgruppe im Literaturmuseum Rumäniens

Junge rumänische Forscher beschäftigen sich mit dem Lyriker Rolf Bossert

William Totok und Cristina Anisescu bei der Präsentation der Ausstellung aus den CNSAS-Archiven. Foto: Werner Kremm

Das Interesse an der Veranstaltung des „Nationalmuseums der Rumänischen Literatur“ (MNLR) im Palais Kretzulescu am Dacia-Boulevard, (fast) mitten im Bukarester Stadtzentrum, war unter rumänischen Intellektuellen – nicht nur der Hauptstadt – überraschend groß. Mehr als 50 Teilnehmer drängten sich in die schnucklige Rotonde am Parterre oder in den kleinen Aufführungssaal am ersten Stock, wenn Ion Bogdan Lefter. Schriftsteller, Hochschullehrer und Leiter der Doktorandenschule der Literaturwissenschaft an der Universität Bukarest und der MNLR-Museologe und Verleger Ioan Cristescu zu Vorträgen, Ausstellungen und Rundtischgesprächen einluden. Eine beeindruckende Zahl von Fachleuten und Schreibenden war gekommen bzw. aus ganz Rumänien angereist. Selbst aus Berlin war, neben dem Aktionsgruppen-Gründungsmitglied William Totok, auch Georg Herbstritt von der Stasi-Forschungsstelle nach Bukarest gekommen.

Zeitzeugen und Gegenwartsforscher

Der Titel der Veranstaltung versprach eigentlich nichts Besonderes: „Aktionsgruppe Banat/Grupul de acţiune Banat după 40 de ani“ – 40 Jahre später – also nichts anderes als die Veranstaltung in Temeswar Ende April, zu der 60 Prozent der noch reisefähigen Gründungsmitglieder der Aktionsgruppe Banat angereist waren (außer Wagner, Bossert und Bohn). In Bukarest waren von den Gründungsmitgliedern nur Totok, der Unterzeichner dieser Zeilen und der Literaturkritiker, Herausgeber und Übersetzer Gerhard Csejka anwesend – alle anderen waren entweder durch Tod (Rolf Bossert), Krankheit (Richard Wagner), durch vorher gemachte Zusagen zu anderen Veranstaltungen (Wichner, Sterbling, Ortinau, Lippet) oder durch Beziehungsabbruch (oder Interessenlosigkeit? - Albert Bohn) verhindert.

Fester Bestandteil des Programms war unter anderem die Vorstellung der erweiterten Neuauflage der Anthologie „Vânt potrivit pînă la tare“, diesmal mit dem Untertitel „Tineri poeţi germani din România“, wo das in der Anthologie von Peter Motzan von 1982 ursprünglich vorangesetzte „zece“-„Zehn“ weggelassen und durch ein diskretes,  auf dem Buchdeckel verzeichnetes „10+2=doisprezece“ vervollkommnendes Vermerk ersetzt wurde. Denn in dieser Anthologie, 30 Jahre nach dem Ersterscheinen, sind auch die ursprünglich dafür vorgesehenen Klaus Hensel und Werner Söllner aufgenommen, die 1982, vor Erscheinen des Buches ihr Auswanderungsgesuch vorgelegt und von der Zensur deshalb aus der Anthologie rausgeschmissen wurden. Für die vervollständigte Neuauflage zeichnet Ion Bogdan Lefter.

Viel intellektuelle Prominenz

Das Besondere an der Veranstaltung, an der viele Studenten der Bukarester Universität teilnahmen, war, dass Ion Bogdan Lefter geschickt das Erscheinen seiner klug vervollständigten – man kann auch ruhigen Gewissens sagen: „ mit glücklicher Hand aktualisierten“ – Anthologie mit der Ausstellung von William Totok und Cristina Anisescu aus dem Archiven des CNSAS über die Securitate-Verfolgungsakten der Aktionsgruppenmitglieder komplettierte (wohltuend, dass die Ausstellung im MNLR auf eine kleinere, also übersichtlichere Fläche konzentriert wurde als in Temeswar), mit einem gescheit aufgebauten Lichtbildvortrag von William Totok über das Banat und die Aktionsgruppe (bis zu deren Zerschlagung 1975), mit ausführlichen Konferenzen über die Zeitspanne 1972-1975 und deren Nachwirkung(en) auf die rumänische Literatur (der „80er“, die, leicht zeitversetzt, viel von den zivilgesellschaftlich-literarischen Prinzipien umsetzten, die zehn Jahre vorher die Aktionsgruppe durch Verkünden, Schreiben und Tun in Umlauf setzte – der Klausenburger Ion Pop brachte das eloquent zur Sprache) und nicht zuletzt mit zwei von Lefter moderierten Rundtischgesprächen, für die er viele prominente Teilnehmer aus den Reihen der rumänischen Intelligenz gewonnen hat: den Schriftsteller, Herausgeber und Hochschullehrer Ion Pop aus Klausenburg, den Schriftsteller, Hochschullehrer und Jazzmen Virgil Mihaiu, ebenfalls aus Klausenburg, den Menschenrechtler  und Hochschullehrer Gabriel Andreescu von der Bukarester Nationalen Hochschule für Politische und Verwaltungswissenschaften, die Schriftstellerin und Kunstkritikerin Magda Cârneci, Chefredakteurin der Zeitschrift „Arta“, den Germanisten Cosmin Dragoste von der Hochschule Craiova, der sich auf die Aktionsgruppe spezialisiert hat und bereits drei Bücher über sie veröffentlichte, die Schriftsteller Simona Popescu, Ion Groşan, Nicolae Prelipceanu, Eugen Suciu und Sorin Antohi (letzterer aus Jassy), die Masteranden und Doktoranden Paul Buga, Elena Mateiu (beide schreiben über Rolf Bossert) u.a. Alles in allem war, trotz der üblichen Bukarester Neigung zur Improvisation und Unpünktlichkeit, ein hohes Gesprächs- und Kommunikationsniveau gesichert, zu dem auch die studentischen Teilnehmer beitrugen.

Musik und Film als Bildungsfaktoren

Viel Neues kam allerdings nicht zur Sprache – es sei denn für jene Teilnehmer, die ihr bisheriges (lückenhaftes) Wissen vervollständigen wollten. Etwa wurde die Anregung vertieft, im Zusammenhang mit der Aktionsgruppe Banat nie zu vergessen, dass die europaweit wirkende musikalische Atmosphäre der Jahre nach 1960 entscheidend mit beigetragen hat zur Entwicklung der Aktionsgruppe Banat, lange im Vorfeld des Gesprächs in der „Universitas“-Beilage der „Neuen Banater Zeitung“ von 1972 („Am Anfang war das Gespräch“), das konventionell zum Gründungsakt der „Aktionsgruppe Banat“ erklärt wird. Virgil Mihaiu aus Klausenburg, ein guter Sprecher und Kenner des Deutschen und der rumäniendeutschen Literatur jener Jahre, vertiefte das, auch mit seinem Wissen als Musiker und Musikwissenschaftler. Da der Musiker und Filmemacher Hanno Höfer erst gegen Ende der Veranstaltung teilnahm, blieb ein anderes Kapitel der „Aktionsgruppenwerdung“, das bislang noch viel zu wenig beleuchtet wurde, auch diesmal am Rande: der Einfluss der Filme jener Jahre (vor allem des italienischen Neorealismus und die lyrische Subjektivität der Franzosen) auf die Bildung der Aktionsgruppenmitglieder.

Poesie der Verbrechersprache

Viel Interesse weckte Gabriel Andreescu mit seinen langen Zitaten aus der Brandrede gegen den „Vaterlandsverräter“ Willi Totok, die vor versammelter Militäreinheit zum „Exempelstatuieren“ verlesen wurde und wo die Tatsache, dass er sich an den Sender Free Europe gewandt hatte (wohlgemerkt: an die beliebte abendliche Popmusik-Sendung „Metronom“ von Cornel Chiriac!) und wo er Misstände und Menschenrechtsverletzungen im Ceauşescu-Rumänien angeprangert hatte, ihm zum Strick gedreht wurde. Vor allem die sprachlichen Formulierungen des „hörzernen Rumänisch“ jener Jahre weckten in der Runde, vor allem bei den Lyrikern, überraschenderweise sogar rein ästhetisches Interesse. Totok vervollständigte mit der Tatsache, dass er sich während seiner Militärzeit in Baia Mare mit dem humanistisch eingestellten Politoffizier seiner Einheit angefreundet hatte, der oft seine schützende Hand über ihn hielt und der auch nach 1989 Kontakt zu ihm gesucht hatte.

So kam es im Museum der Rumänischen Literatur in der letzten Novemberdekade zu einer Veranstaltung, in der es an Gegenwartsbezügen nicht fehlte (zur gleichen Zeit lief vor dem Oberlandesgericht in Bayern das Revisionsverfahren im Prozess zwischen dem seinerzeitigen Securitate-Informanten „Marin“ und der „Siebenbürger Zeitung“ bzw. Richard Wagner, mit dem Beschluss, dass der entscheidende gerichtliche Urteilsspruch darüber, wer "Marin" mit Klarnamen war, in Bukarest stattzufinden hat.

Schlussfolgerung: „museumsreif“ ist die „Aktionsgruppe Banat“ noch lange nicht!