Als Musiker nicht vergessen, neuen Strömungen bereitwillig zum Durchbruch zu verhelfen

Fragen und Antworten im Leben des Hermannstädter Musikers und Aktivisten Andrei Marcovici

Andrei Marcovici kennt die Tücken des Musikmanagements und schaut trotz allem immer nach vorne statt nach unten. Foto: Jolly Schwarz

Andrei Marcovici, Jahrgang 1979, ist von Beruf Schlagzeuger und Mitglied des Orchesters der Hermannstädter Staatsphilharmonie. Ihn im Konzert zu erleben, ist musikalisch und auch optisch die reinste Freude. Mit Schlägeln treibt er seine Mitspieler von hinten an, sitzt aber nicht mit dem starren Gesichtsausdruck eines Rudermeisters an den Pauken des Musikschiffes, das unterschiedlichste Strömungen überleben und wetterfest bestehen muss. Im Orchester wird zuweilen geschuftet wie auf den Ruderplätzen einer Galeere. Andrei Marcovici zählt zu denjenigen Meistern seines Fachs, die gerne auf Gewalt verzichten, um dadurch der Steigerung künstlerischer wie menschlicher Qualität die Bahn zu öffnen.

Natürlich stoßen solche Ansichten nicht immer und überall auf Wohlwollen. Eine wichtige Regel der Musik besagt, dass die wahre Kunst in der sicheren Beherrschung leisester Lautstärken liegt. Bricht ein leiser Ton ungewollt weg, hat man bereits verloren. Andrei Marcovici verfügt über einen sicheren Orientierungssinn und lässt sich durch nichts aus dem Konzept bringen. In nachstehendem Gespräch mit Klaus Philippi beschreibt Andrei Marcovici seine persönliche Auffassung musikalischer und sozialpolitischer Wahrheiten.


Worin bestehen deine Aufgaben als Schlagzeuger oder Pauker eines Orchesters? Und wie fühlt es sich an, jeweils in der letzten Reihe auf dem höchsten Platz der Bühne zu sitzen und somit die Perspektive auf das gesamte Ensemble mit einem einzigen Blick erfassen zu können?

Pauker haben eine große Verantwortung zu schultern. Anscheinend hat uns der liebe Gott bei der Erschaffung der Welt zu jenen Musikern bestimmt, die das Ensemble jeweils wie Könige von oben herab leiten sollen. Der Pauker hat das Orchester tatsächlich zu führen. Er muss auch immer aufs Neue herausfinden, welches Maß an Führungsfreiheit der Dirigent ihm denn erlaubt.

Natürlich sieht man von da oben alles, was im Orchester geschieht. Man erkennt sofort, was gut oder nicht so gut ausgeführt wird, und in Sachen Disziplin entdeckt man eine Überraschung nach der anderen (lächelt ironisch). Manchmal ist das, was man sieht und hört, positiv einzuordnen, manchmal auch nicht.

Die Hauptaufgabe des Paukers jedenfalls ist es, dem Dirigenten zu helfen. Als Pauker muss man das Orchester bei Bedarf wirklich fest im Griff halten können. Und ich meine, dass die restlichen Schlaginstrumente im Orchester eher eine farbliche, also keine zentrale Aufgabe erfüllen.

Was genau hat dich in deiner Entscheidung, Berufsmusiker zu werden, bestärkt? Welche Schlüsselmomente haben dich davon überzeugt, dass die Schlaginstrumente das wichtigste Element deiner Karriere sein würden?

Ich gehöre zu den glücklichen Menschen, die in eine Musikerfamilie hineingeboren wurden. Meine Eltern haben mich früh an den Musikunterricht herangeführt und mir Klavierstunden aufgedrängt, die ich überhaupt nicht mochte. Allerdings habe ich schon als ganz kleiner Junge eifrig auf alles gehämmert, was mir zwischen die Finger kam. Vor allem genau dann, wenn Langeweile aufzukommen drohte. Das haben meine Eltern gemerkt und mich 1985 in den damaligen Kinderclub der „Pioniere“ eingeschrieben.

Dort habe ich den Schritt von den einfachen Trommeln auf die richtigen Schlaginstrumente erlebt, und das war um die Zeit eine große Sache, Mitglied in einer Pop-Rock-Formation sein zu können. Als ich mit dem Spielen im Orchester anfing, wollte ich unbedingt weiter am Schlagzeug dranbleiben. Der Verzicht auf das Klavier fiel mir gar nicht schwer.
Alles in allem verdanke ich meinen musikalischen Werdegang meiner Familie und meinen Eltern, die ja auch Musiker sind. Sie haben mich stets unterstützt und meine Entscheidung zur Musik und zum Schlagzeug mitgetragen. Ob ich als Kind unmusikalischer Eltern derselbe Musiker geworden wäre? Schwierig zu sagen...

Wie verlief deine Ausbildung nach der Schulzeit am Octav-Băncilă-Musikgymnasium in Jassy, als du zwecks Studium an den Standort Wuppertal der Hochschule für Musik und Tanz Köln gingst?

Ich habe eine Zugangsprüfung, ein Examen in musiktheoretischen Fächern und einen deutschen Sprachtest bestritten. Glücklicherweise erhielt ich den Zulassungsbescheid, sodass es im Jahr 2000 losgehen konnte. Die Zeit in Köln und Wuppertal war die lehrreichste meines gesamten Lebens. Fünf Jahre habe ich dort verbracht und um ein Vielfaches mehr lernen können als in all den 15 Jahren davor in Rumänien. Aber auch das war einfach nur Glück. Immer schon war es mein Wunsch gewesen, in Deutschland zu studieren. Trotzdem war es schwierig, dorthin zu gelangen, und ebenso schwierig war es auch, mehrere Jahre lang dort zu leben. Was ich da jedoch gelernt habe, behalte ich für den Rest meines Lebens, das kann mir niemand entreißen.

Auch in Rumänien merken eifrige Musiker, dass es nicht mehr ausreicht, nur Töne zu erzeugen. Wer an der Verbesserung der eigenen Welt beteiligt sein möchte, muss öffentlich zu den Buchstaben greifen, um Wege abseits von Korruption und defizitärem Management aufzuzeigen. Du selber bist fester Mitarbeiter der Künstleragentur „Exces Music“ Bukarest und übernimmst in der Organisationsabteilung des Festivals für zeitgenössische Musik und Performance „Icon Arts“ in Siebenbürgen eine Führungsaufgabe. Welche Visionen stehen hinter deiner Leidenschaft für das Mitmischen in diesen künstlerischen Planungsbereichen?

Für Musiker ist Denken eine wichtige Beschäftigung. Die Ausbildung in Deutschland hat mir nicht nur den Umgang mit musikalischen Inhalten, sondern auch die Bedeutung von Organisationsgeschick und Disziplin vermittelt. Letztere zählt in allen Bereichen menschlichen Lebens.

Unterrichten habe ich immer als wertvolle Option betrachtet. Die begrenzten Infrastrukturen und menschlichen Horizonte staatlicher Musikschulen ersticken aber, meiner Meinung nach, alle Ausbaumöglichkeiten vom Start weg im Keim.
Mit dem Festival „Icon Arts“ hat es etwas anderes auf sich. Seit nunmehr 13 Jahren findet es jährlich auf Hermannstädter Kreisgebiet statt. Zudem ist es eine privat geförderte Veranstaltung, an der die Kinder und Jugendlichen nicht etwa teilnehmen, weil die Schule oder die Eltern sie dazu zwingen.

Anfangs habe ich während der Festivalauflagen nur unterrichtet. Da ich aber auf Lokalebene die einzige Kontaktperson des Veranstaltungsbüros war, lag es nahe, in die Organisationsabteilung einzusteigen. Natürlich musste ich eine Menge hinzulernen, weil Rumänien ein sehr bürokratischer Staat ist. Was mich aber überzeugt, Aufgaben dieser Art zu übernehmen, ist der Erfolgswert solcher Projekte. Das gibt mir die Möglichkeit, etwas anderes als an meinem philharmonischen Arbeitsplatz zu schaffen. Ohne Eigeninitiativen steht am Horizont die künstlerische Verarmung durch das Staatswesen. Trotzdem gilt die Devise, immer weiterzumachen. Aktivitäten außerhalb meiner eigentlichen Dauerbeschäftigung mag ich nicht vorrangig wegen zusätzlicher Bezahlung, sondern der Sinneserfahrung zuliebe, etwas Nützliches getan zu haben.

Woran machst Du den Unterschied zwischen aktiver Parteimitgliedschaft und aktivem, nicht parteigebundenen Auftreten fest?

In Rumänien ist das Bewusstsein aktiver Verantwortungsübernahme sehr spät erwacht. Wir beginnen gerade erst jetzt, uns bewusst zu werden, was das heißt. Als Parteimitglied hat man sich vor einem Chef und mehreren untergebenen Chefs zu verantworten und darf abseits vorgegebener Richtlinien nichts unternehmen. Als nicht parteigebundener Aktivist aber erlebst Du im Laufe der Zeit, dass bestimmte Überzeugungen sich für Dich als unumgänglich herausbilden. Du arbeitest an der Entwicklung deiner Ideen, bleibst deiner eigenen Linie treu und musst dich nicht ständig bei irgendeinem Chef rückversichern, der sich seinerseits auch bei jemand anderem rückversichern muss.

Ob man sich dafür entscheidet, als Aktivist in Erscheinung zu treten, weil man rings um sich Ansätze wiederfindet, für die man kämpfen möchte, weil man sie gut findet, ist eine ganz einfache Entscheidung. Es gibt nur ein Ja oder Nein. Und Nein heißt, daheim zu bleiben und aufs Aktivist-Sein-Wollen zu verzichten.

Es gibt aber auch die Möglichkeit, trotz parteilicher Ungebundenheit politisch aktiv zu werden!

Absolut! Diese Chance besteht, aber die Unterstützung dafür fehlt an allen Ecken und Enden. Traurig, aber wahr. Rumänien ist nach wie vor ein politisch kompliziertes Gebilde.

Lass uns ein Gedankenexperiment versuchen: Otto Grotewohl, Spitzenpolitiker der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und von 1949 bis 1964 Ministerpräsident der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), behauptete auf einer Plenarsitzung der SED am 17. März 1951, dass „die Idee der Kunst der Marschrichtung des politischen Kampfes folgen muss“. Was würden wir als Musiker auf diese Aussage erwidern, wenn wir uns in die damalige Epoche zurückdenken, gleichzeitig aber die Erfahrung unserer heutigen Gegenwart mit einfließen lassen?

Aber wir stecken doch immer noch in der Vergangenheit, und genau das ist unsere größte Sorge! Mir steht es nicht zu, darüber zu urteilen, ob Rumänien aktuell da steht, wo die DDR vor 1989 gestanden hatte. Andererseits bekommt Rumänien den Anschluss an das 21. Jahrhundert einfach nicht hin, und das nicht nur aus künstlerischer Sicht. Denken wir nur an das Gesundheitswesen und an die Bildungspolitik, ganz zu schweigen von Lücken in der Infrastruktur!

Künstler wollten ihre Arbeit immer nach bestem Gewissen tun, wurden dabei aber von Zügeln unterschiedlichster Regierungen ausgebremst. Igor Strawinsky und Dmitri Schostakowitsch hatten unter dem Einfluss des russischen Regimes zu leiden. Richard Wagner und das nationalsozialistische Hitler-Deutschland ergaben ein unwürdiges Tandem.

Durch alle Phasen der Geschichte hindurch durften Künstler ihre Sorgen zur Sprache bringen. Vielleicht wurden sie höher angesehen als viele ihrer Zeitgenossen, da selbst Politiker ihnen gegenüber ein gewisses Maß an Respekt an den Tag legten. Wir dürfen uns nicht zu heftig beschweren, da unterdessen auch uns Musikern in Rumänien diverse Rechte zuerkannt wurden, die vor zehn, zwanzig Jahren noch keine Rolle gespielt haben. Derzeit aber genießen Schauspieler das größere gesellschaftliche Ansehen, Musiker stehen da erst an zweiter Stelle.

Wo besteht im Land Rumänien des Jahres 2018 musikalischer Nachholbedarf?

Oh, wenn ich daran denke, dass wir vor hundert Jahren beispielsweise George Enescu unter uns hatten! Rumänien behauptet noch immer seinen Platz auf der Musikbühne der großen Welt, auch wenn seine aktuellen Größen nicht an das Renommee von Enescu herankommen. Teilweise haben wir uns das auch selber zuzuschreiben, da in unseren Orchestern die Musik zeitgenössischer rumänischer Komponisten zu kurz kommt. Nicht selten belächeln und verkennen Musiker den Wert eines Werks von Dan Dediu. Doch wird man in Zukunft sicher von Dan Dediu statt von den Orchestermitgliedern in Rumänien, die seine Stücke aktuell nicht gerne aufführen, sprechen. Dasselbe Schicksal gilt bei uns auch für Anatol Vieru, und er wird es doch überleben. Als Musiker sollten wir nicht vergessen, dass wir neuen Strömungen bereitwillig und bescheiden zum Durchbruch verhelfen müssen. Alle Erwartung persönlicher Ehre ist hinderlich und kann das Neue ohnehin nicht aufhalten.