Anwaltlicher Auftrag von besonderem Zuschnitt (III)

Ein weiteres Gespräch mit Dr. Heinz-Günther Hüsch, dem deutschen Verhandlungsführer beim Freikauf der Rumäniendeutschen, geführt von Hannelore Baier

Symbolfoto: freeimages.com

Ein kompliziertes Verhandlungsjahr war 1983, nach dem Dekret 402/1982 über die Rückzahlung der Ausbildungskosten in Devisen. Sie unterzeichnen mit Andronic am 21. Mai 1983 die Vereinbarung für die nächsten 5 Jahre, in der der Ablösebetrag pro Ausreisendem auf 7800 DM angehoben wird – von 4000 DM, die im Abkommen von 1978 vorgesehen waren. Eine Verdoppelung des Ablösebetrags wird überschritten, nachdem im Juli 1983 eine zusätzliche Vereinbarung für das Zahlen von 350 DM pro Ausreisendem für die Transportkosten hinzukommt. Wie wurde die Summe von 350 DM festgelegt, zumal Außenminister Genscher in einem Telegramm an seinen Kollegen Andrei am 30. Juni 1983 („Recuperarea“, S. 444) mitteilt, als oberste Grenze seien 300 DM festgelegt worden und dass Sie als „Druckmittel“ hinsichtlich einer Vereinbarung in dieser Angelegenheit die 32 Millionen DM Zinssubvention nicht überwiesen hatten („Recuperarea“, S. 445)?

Da läuft in Ihrer Frage Einiges durcheinander. Die Ablösesumme belief sich 1982 auf 5000 DM pro Person. 4000 DM hatte Ministerialrat von Wieterheim anlässlich des Schmidt-Besuches 1978 mit Pungan/Marcu vereinbart, es kursierten – auch in der „Recuperarea“ erkennbare – Behauptungen der rumänischen Seite, dass angeblich in diesem Zusammenhang 5000 DM zugesagt worden waren. 5000 DM waren wohl auch ursprünglich in den Verhandlungen gefordert worden, 4000 DM wurden akzeptiert, zu meinem schlichten Entsetzen, denn der Durchschnitt betrug zu jenem Zeitpunkt weniger als 3300 DM pro Person. Nach zwei Jahren haben wir dann tatsächlich auf 5000 DM erhöht und diese waren die Ausgangsbasis bei den Verhandlungen 1982/1983. Im Zusammenhang mit den sehr komplizierten Verhandlungen über das Dekret 402 ist dann auch vereinbart worden, ein zweites Abkommen über die Reisekosten abzuschließen. Dass die Außenminister Genscher und Andrei einen Schriftwechsel zu diesem Thema hatten, war mir nicht bekannt. Es kann durchaus sein, dass 300 DM mal intern als Kalkulationsgrundlage angenommen wurden, aber festgelegt waren sie nicht.

In den Verhandlungen erhob die rumänische Seite – abweichend von den ersten Erklärungen – Forderungen auf 650 oder 800 DM. Die habe ich zurückgewiesen und gesagt, dass das völlig inakzeptabel ist. Die Verhandlungen zogen sich über mehrere Tage hin und im Ergebnis einigten wir uns dann auf die 350 DM. Die Grundlage für diese 350 DM waren die tatsächlichen Kosten einer Fahrkarte Bukarest – Nürnberg. Im Vertrag steht 218 DM, in Wirklichkeit waren es 288 DM, da sie in Nürnberg bezahlt wurden. Das Hochschaukeln auf 350 DM erklärt sich aus einer Reihe anderer Bedingungen, die in eine mündliche Vereinbarung einflossen, die wichtig waren: Zollfreiheit und Gewährung von sozialem Schutz trotz Staatenlosigkeit. Mit der Aushändigung der Ausreiseerlaubnis, also der Entlassung aus dem Staat Rumänien, war die Person staatenlos und genoss keinen sozialen Schutz mehr. Der aber sollte ihr gewährt werden, bis zum Verlassen des rumänischen Staatsgebietes.

Desgleichen sollte die Verzollung nicht mehr von den Ausreisenden vergütet werden müssen. Diese Vereinbarungen konnte Andronic in den Vertrag nicht einbeziehen, da er dafür nicht zuständig war, das wurde aber so gemacht und wir haben nicht festgestellt, dass dagegen verstoßen wurde. Das Gespräch hatte sich aber überhaupt erst ergeben, weil die rumänische Seite forderte, die Ausreisenden sollen ihre Fahrkarte in Valuta kaufen – die sie nicht besitzen durften. Dann war der ursprüngliche Ansatz, die Ausreisenden müssen die Fahrkarte noch zusätzlich in Lei einlösen. Ich habe ihm erklärt, kommt nicht in Frage. Da war er sehr enttäuscht. Nachdem ich mit dem Scheitern der Verhandlungen drohte, kam er am nächsten Tag – er hatte wohl Anweisung erhalten – hat eingelenkt und dann haben wir uns auf 350 DM geeinigt und die oben erwähnte mündliche Erklärung.

Der Kredit über 700 Millionen DM war im Januar 1978 zwischen Vasile Pungan und Günther van Well unterzeichnet worden, abgerufen wurde von Rumänien jedoch nur die jährliche Zinssubvention von 32 Millionen DM, überwiesen wurde sie nach Erfüllen der festgelegten Ausreisequoten. Diese Vereinbarung wurde 1983 verlängert – nicht jedoch 1988. Warum?

Es geht nicht um einen Kredit über 700 Millionen DM sondern die Ausweitung des Bürgschaftsvolums bei der Hermes-Kreditbank, das ist ein Unterschied. Dieses Bürgschaftsvolumen hätte nach normalen Bedingungen verzinst werden müssen, und dazu hat van Well eine Zinssubvention zugesagt. Na ja. Ich habe mich ja schon sehr kritisch zu diesen Vereinbarungen geäußert, und wenn Sie die Dokumente dazu lesen, werden Sie sehen, dass das, was in der deutschen Presse dazu veröffentlicht wurde, nicht richtig ist. Und in „Recuperarea“ steht der Schriftwechsel mit Pungan nicht drin. Der enthält weder Zahlen noch diese Zusagen.

Parallel dazu gab es Verhandlungen zwischen Beauftragten der deutschen und der rumänischen Seite über wirtschaftliche Dinge, und dahinter steckt ein deutsches Problem: Ers-tens war Rumänien Ostblock-Land, und der Ostblock wurde prinzipiell nicht subventioniert, zweitens ist es absolut unzulässig, anderen Ländern Darlehen zu gewähren, drittens, es ist unzulässig, Zinssubventionen zu gewähren, und viertens, es war unklar, woher van Well das Geld nehmen wollte. Welcher Haushaltstitel rechtfertigt die Zinssubventionen auf ein nicht zulässiges Darlehen? Das Ganze ist eine typische Vereinbarung, wie sie halt unter Außenpolitikern zustandekommen. Nun hat die rumänische Seite immer wieder behauptet, diese 32 Millionen DM hätten keinen Zusammenhang mit der Familienzusammenführung gehabt. Dummerweise ist in den parallel geführten wirtschaftlichen Verhandlungen vereinbart worden, dass diese 32 Millionen DM von der Bundeskasse zu überweisen sind. Van Well hat dann etwa 2-3 Wochen nach der Vereinbarung mit Pungan einen langen Vermerk geschrieben, wo er versucht, einen Zusammenhang mit der Familienzusammenführung herzustellen. Meiner Bewertung nach war es die Folge der Kritik, die wir nach Kenntnisnahme der getroffenen Absprachen methodisch haben äußern müssen (Vgl. „Kauf von Freiheit“, S. 98 ff). Die rumänische Seite hat die Verknüpfung noch 1988 abgestritten.

So, nun kommt es zu den Verhandlungen 1988. Das ist ein sehr übles Stück. Wir – damit meine ich das Innenministerium, meinen Auftraggeber, und ich – waren der Auffassung, wir haben einen neuen Vertrag, in dem sind die 32 Millionen DM nicht mehr drin. Es wird erklärt, damit ist alles abgegolten. Dann reist Außenminister Genscher nach Bukarest und sagt seinem Amtskollegen Andrei, wir zahlen die 32 Millionen zusätzlich. Genscher hat auf meine Frage gesagt, das hätte er mit Kanzler Kohl auf einer Flugreise nach Paris abgestimmt. Ich bin nicht sicher, ob die beiden jemals zusammen gereist sind, normalerweise reisen Kanzler und Vizekanzler nicht in einer Maschine. Etwas später habe ich Kanzler Kohl darauf angesprochen, der ist von einer absoluten Loyalität gegenüber dem Koalitionspartner und ist meiner Frage ausgewichen. Ich hatte Kanzler Kohl gesagt, ich hab das und das abgeschlossen, wir sind überrascht – das war das Innenministerium, das war ich – über das Fortführen der 32-Millionen-Zahlung, Genscher hat aber erklärt, er hätte das mit ihnen abgesprochen. Dazu schwieg Kohl. Ich rekonstruiere mal: aus Loyalität. Und für Kohl sind in einer derartigen Frage 32 Millionen nicht wichtig. Genscher hat dann in einem anderen Zusammenhang gesagt, 32 Millionen ist offiziell, und was über mich abläuft, verschwindet im Apparat. Das ist ja auch nicht ganz richtig. Jeden-falls, obwohl in dem von mir abgeschlossenen Vertrag dazu nichts drin steht, sichert Genscher das Geld zu, Kohl deckt das stillschweigend ab, die Bürokratie auch und dann kommt es zur Auszahlung.

Allerdings erst im Juni 1989 rückwirkend für ein Jahr und nach mehrfachen Verhandlungen dazu ... 

Ich konnte schließlich meinem damaligen Verhandlungspartner Anghelache mitteilen, die Zahlung wird fortgesetzt, sie ist aber mit Erwartungen verbunden (siehe Kasten). Diese waren in einem Gespräch mit Innenminister Wolfgang Schäuble besprochen worden, in dem die Systematisierung der Dörfer eine Rolle gespielt hat.  
Gezahlt wurde nach den gemachten Zusicherungen aber auch, weil die Quote der Ausreisen eingehalten worden war. Die Ausreisezahl war inzwischen bei 16.000 Personen pro Jahr angekommen, was mehr als vereinbart war, und da hatten wir keinen Grund mehr zu meckern. Dass sich die Zahlung zeitlich etwas verzögert hatte, das war im Laufe der 22 Jahre mehrmals passiert.

In den rumänischen Unterlagen ist der Fall eines wenige Monate alten Babys dokumentiert, das bei dem Großvater in Siebenbürgen geblieben war. Zu diesem Fall gibt es 1988 mehrere Telex-Kontakte, und am 18.11.1988 beantrragen sie, das Baby nach Deutschland mitzunehmen. Der Fall war im Dezember dann aber immer noch nicht gelöst. Wissen Sie, wie der Fall gelöst worden ist?

Ich erinnere mich, es war ein Fall aus der Zeit von Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann. In der Bild-Zeitung war der Fall groß rausgekommen, die Mutter hatte Rumänien verlassen und das Kind zurückgelassen.  Ganz ehrlich, außerhalb meines Auftrages war ich der Auffassung, dass sich so etwas nicht gehört, ich bin  kein Sympathisant dafür. Dann kam Minister Zimmermann und gab die Weisung zu intervenieren. Ich habe auch Zimmermann gegenüber gesagt, mit allem Respekt, diese Frau hat nicht meine Sympathie, aber wenn Sie das anordnen, wird es gemacht, dann bin ich Anwalt. Zimmermann bestand darauf und dieser Fall ist in einer ungewöhnlichen Dichte von mir verhandelt worden. Ich habe dann in den inoffiziellen Gesprächen gebeten, erledigt den Fall doch, der ist atmosphärisch so verkorkst, es lohnt nicht, die Atmosphäre noch mehr anzuheizen. Mein Verhandlungspartner war inzwischen Anghelache, der war sehr streng und hatte auch keine sonderliche Sympathie für diese Mutter. Der Fall wurde dann gelöst und das Kind kam nach Deutschland. Ich hatte angeboten, es mitzubringen, wie es letztlich gekommen ist, weiß ich aber nicht.
Fälle dieser Art gab es mehrere – und natürlich gab es auch Unaufrichtigkeiten bis Betrügereien, auch auf diesem Gebiete.

Ist die Korrespondenz mit Ihrem Auftraggeber einsehbar?

Begrenzt. Sie ist unter Geheimhaltung nach deutschem Archivgesetz und die deutschen Archive sind – soweit ich weiß – nicht geöffnet.

Sie meinen den Vorgang Familienzusammenführung – humanitäre Fragen?

Sie müssen unterscheiden zwischen dem, was das Auswärtige Amt publiziert – da bin ich manchmal erschrocken, wie leichtfertig dieser Teil behandelt worden ist – und den Akten des Innenministeriums, das zuständig war und generell dem deutschen Archivgesetz und also der 30-jähruigen Sperrfrist unterliegt. Da aber die Akten ausdrücklich für geheim erklärt worden waren, unterliegt die Freigabe der Geheimakten noch besonderen zusätzlichen Entscheidungen. Dass ich mit Ihnen sprechen darf, geht auf eine besondere Ermächtigung des Innenministers zurück, wo mir allerdings auch gewisse Verantwortungen übertragen worden sind, und sie bezieht sich auch nur auf die Quellen aus dem Innenministerium. Ich habe allerdings auch andere Quellen, über die spreche ich nicht mit Ihnen.

(Fortsetzung in der morgigen Ausgabe)

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Passagen aus den Aufzeichnungen von Dr. Hüsch zur Familienzusammenführung und den Fahrkarten

Andronic: die Auswanderer sollen ihre Kosten (für Fahrkarten und Zoll) selbst weiterhin wie bisher zahlen und die deutsche Seite 800 DM leisten. Die Auswanderer würden an der Grenze nicht mehr behelligt.
Dr. Hüsch: Wie er zur Summe komme?
Andronic: 40 % = 320 DM entfallen auf die Leute selbst, 60 % gehen auf Kosten des Staatsbudgets.
Dr. Hüsch: dies könne er sich nicht vorstellen.
Andronic: dieser rumänische Vorschlag lasse für alle Probleme eine schlüssige Lösung zu. Klinische und medizinische Behandlung erfolgt wie bisher. Alles von Auswanderern in Lei bezahlt. Die Auswanderer hätten Geld und was sollten sie sonst damit machen, als es für solche Zwecke auszugeben.
Hüsch protestiert, Andronic lenkt ein.
Andronic: Früher sei es Familienzusammenführung gewesen, jetzt habe die Vereinbarung einen anderen Klang bekommen, in Wirklichkeit beinhaltet sie Auswanderung. Er sehe keinen Grund dafür, für Auswanderer, die im eigenen wirtschaftlichen Interesse handeln, Leistungen zu erbringen. Deshalb soll die deutsche Seite die Fahrtkosten nicht weiter [an die Aussiedler] erstatten, sie solle viel an die rumänische Seite zahlen, die Auswanderung koste die rumänische Seite 2.200 Lei.

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Die Erwartungen, gebunden an das Fortführen der Zahlungen von vierteljährlich 8 Millionen DM für die Dauer der geschlossenen Verträge über Familienzusammenführung, 20. Juni 1989:  

- die rumänische Seite wird, wie bisher, die Versendung von Paketen von konkreten deutschen Absendern an in Rumänien lebende Personen auf dem üblichen postalischen Weg erlauben. Die rumänische Seite betrachtet es als rein deutsche Angelegenheit, in welcher Weise die jeweiligen Pakete verpackt und abgesandt werden, solange und sofern ein konkreter Absender und eine konkrete Adresse erkennbar sind;
ldie rumänische Seite wird mit der deutschen Seite auch über die getroffene Vereinbarung hinaus auf dem humanitären Gebiet kooperativ zusammenwirken;
- diejenigen rumänischen Staatsbürger deutscher Nationalität, die nicht die Absicht haben, aus der Sozialistischen Republik Rumänien auszureisen, können in ihren angestammten Wohnorten auch weiterhin leben. Es wird keine rumänische staatliche Maßnahme erfolgen, die sich in besonderer Weise gegen rumänische Staatsangehörige deutscher Nationalität richtet und ihr kulturelles Umfeld zerstört;
- die wirtschaftliche Kooperation, über die an anderer Stelle Absprachen erfolgen, wird im Geiste guter Kooperation und in beiderseitigem Interesse fortgesetzt.