Auch das Straßentheater kann anspruchsvoll sein

Theaterfestival in Hermannstadt bis zum 15. Juni

Theater „KTO“ bot eine perfekte Aufführung im Freien.

Die begehbare Installation „Luminarium Mirazozo“ besetze den halben Kleinen Ring.
Fotos: Andrey Kolobov

Hermannstadt – Am Freitag, dem 6. Juni, begann die 21. Auflage des Theaterfestivals von Hermannstadt/Sibiu (FITS). Ausstellungen, Vorführungen, Diskussionsrunden, Installationen, Konzerte, Tanz, Konferenzen und Werkstätte stehen auch heuer im Programm des drittgrößten derartigen Events in Europa. Das Festival dauert bis zum 15. Juni.

Es ist kein Geheimnis, dass das FITS für die meisten Hermannstädter wenig mit dem Theater im klassischen Sinne des Wortes zu tun hat. Die Anzahl der Plätze bei den indoor Veranstaltungen ist begrenzt, fast überall sind die Eintrittskarten ausverkauft und die Hoffnung, doch einen Sitzplatz zu erhaschen, schwindet mit jeder verstrichenen Minute. So bleiben dem Normalverbraucher nur die zahlreichen outdoor Aufführungen, zu Deutsch Straßentheater, die jedoch mehr mit dem Zirkus als mit dem Theater zu tun haben.

Auch die diesjährige Auflage des FITS stellt keine Ausnahme dar. Blaskapellen jeder Couleur, leicht bekleidete Cheerleader-Gruppen, mehr oder weniger lustige Clowns und Mimen bevölkern während des gesamten Festivals die Fußgängerzone. Das verlängerte Pfingstwochenende sorgte für einen Ansturm von Besuchern beim „Luminarium Mirazozo“ am Kleinen Ring/Pia]a Mică, einer riesigen begehbaren, handgefertigten, aufgeblasenen Installation. Die Schlange der auf den Eintritt wartenden Menschen schien, trotz der glühenden Hitze, von Tag zu Tag länger zu werden. Drinnen war es stickig, man durfte nur 20 Minuten bleiben, aber der Eintritt war frei.

Der Eröffnungsabend fand wie gewohnt am Großen Ring/Piaţa Mare statt. Zum Konzert von Andra war der Platz brechendvoll. Nach einer Stunde viel zu lauter Musik mussten sich die meisten Zuschauer nur umdrehen, um den Mitgliedern der französischen Trapezkünstler bei ihren Kunststücken in der schwindelerregenden Höhe zuzusehen. Danach strömte die Menschenmenge zum Hermannsplatz/Pia]a Unirii, um dem selbstverständlichen Eröffnungsfeuerwerk beizuwohnen.
Um ehrlich zu sein, erwartete ich nicht viel von der „The Blind“ betitelten Vorstellung des polnischen „KTO“-Theaters, die am Samstag- und Sonntagabend am Großen Ring geboten wurde.

Erfahrungsgemäß könnte es sich nur um eine zirkusartige Aufführung mit Tanzelementen handeln. Ich wurde eines Besseren belehrt. Das polnische Ensemble bot eine ausgezeichnete, jedes Theaters würdige Vorstellung, die fast ohne Worte auskam und jedoch für jeden verständlich war. Die Geschichte der plötzlichen Erblindung von Millionen von Menschen, nach dem Roman des portugiesischen Autors José Samarago „Die Stadt der Blinden“, ließ zweifelsohne keinen Zuschauer kalt. Die einzigen Worte, die auf Polnisch, Englisch und Russisch gesprochen wurden, waren die Zahlen der Erblindeten, die am Anfang ununterbrochen zu- und am Ende abnahmen. Die letzte Zahl war „jeden“ (einer).

Dabei handelte es sich um eine Frau, die zwar während der Blindheitsepidemie nicht betroffen war, sich jedoch in eines der Sammellager mit den Blinden einsperren ließ. Am Ende ist sie die einzige Blinde. Ausgezeichnete Musikauswahl, spannende Choreografie, überraschender Einsatz von einem Dutzend Betten und tadellose Leistung der Schauspieler machten diese Vorstellung zu einem schwer zu übertreffenden Höhepunkt der Aufführungen im Freien.