Auf dem Weg zur christlichen Einigkeit

Erstes ökumenisches, dreikonfessionelles, deutsch-rumänisches Kolloquium in Hermannstadt und Sâmbata de Sus (Teil 1)

Vor der Konferenz in der Orthodoxen Akademie in Sâmbata de Sus: Te Deum mit Erzbischof Teodosie Petrescu von Tomis und Weihbischof Ilarion Făgărășanul von der Metropolie Siebenbürgen in der Kapelle des Klosters
Fotos: George Dumitriu

Von li. n. re.: Bischofsvikar Dr. Daniel Zikeli, Erzbischof Teodosie Petrescu von Tomis, Dr. Jürgen Henkel, Nuntius Miguel Maury Buendia, Gerhard Kardinal Müller

„Weil die Menschen die Fähigkeit verloren hatten, miteinander zu kommunizieren, hat ihnen Gott im Turm von Babel die Sprachen vermischt. Ähnlich war das auch mit den Kirchen. Doch wir müssen miteinander reden, damit wir wieder einig werden.“ Die Botschaft von Erzbischof Teodosie Petrescu von Tomis aus der Morgenandacht im Kloster von Sâmbata de Sus wird auf Deutsch übersetzt und richtet sich an etwa 80 Menschen: Pfarrer, Theologen , Kirchenrechtler, Studenten, Mönche, Journalisten oder einfach nur Interessierte aus zwei Ländern und drei Konfessionen. Vom 11. bis 14. Mai haben sie sich zusammengefunden auf einem in dieser Form noch nie dagewesenen Kolloquium. Die Idee geht auf den  evangelischen Pfarrer Dr. Jürgen Henkel aus Bayern zurück, der sich 2003-2008 als Leiter der Evangelischen Akademie Siebenbürgens als Unterstützer der Ökumene profiliert hatte. Diese interdisziplinäre, interkonfessionelle Arbeit führt er nun im Rahmen des Instituts Ex fide lux, dem Organisator des Kolloquiums, weiter (ADZ 15.2.2018: „Deutsch-Rumänisches Institut für theologischen Dialog gegründet“).  „Normalerweise sind ökumenische Veranstaltungen bilateral, doch wir haben alles dreikonfessionell geplant, um Breitenwirkung zu erzielen“, erläutert Henkel. Je ein Drittel der Vortragenden sind orthodox, katholisch oder evangelisch.  Das Gleiche gilt für die Teilnehmer - „denn es ist wichtig, wie sich die Botschaft der Tagung danach in die Welt hinaus verbreitet.“

Die äußerst hochkarätige Tagung fand in Kooperation mit der Rumänischen Orthodoxen Metropolie von Siebenbürgen und der Evangelischen Akademie Siebenbürgen statt. Hohe Fördermittel für die Tagung, aber auch für die Buchveröffentlichung aller Vorträge, steuerte das Staatssekretariat für Kultusangelegenheiten der Rumänischen Regierung bei. Auch das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales, der Universitätsverein Fürth der Wilhelm Löhe Hochschule, der Martin-Luther-Bund Erlangen und die Nürnberger Unternehmensgruppe HMP Medizintechnik förderten die viertägige Konferenz mit hohen Zuschüssen.

Die Reise, die von den Tagungsorten Hermannstadt/Sibiu und Sâmbata de Sus zu den Kirchen dreier Konfessionen führte – besichtigt wurden die evangelische Stadtpfarrkirche in Mühlbach/Sebeș, die katholische und die orthodoxe Kathedrale in Karlsburg/ Alba Iulia – begleitete als ranghöchster Gast S. E. Gerhard Kardinal Müller aus dem Vatikan. Zur Eröffnung in der Evangelischen Akademie Siebenbürgens sprachen auch der Apostolische Nuntius, S. E. Mons. Erzbischof Miguel Maury Buendia, und der Metropolit von Siebenbürgen, S. E. Laurențiu Streza. Die Vortragenden aus verschiedenen Fakultäten waren eingeladen, zwei-drei ihrer Studenten mitzubringen, erklärt Henkel. „So hatten wir Franziskanermönche aus der Moldau, Theologiestudenten aus Bukarest, Bistumsräte von Hermannstadt bis Konstanza - eine bunte Mischung!“ Sie erwarteten vier Tage intensive Diskussionen und hochkarätige Vorträge über wichtige Fragen von Religion und Gesellschaft, interdisziplinär, interethnisch, über Länder- und Kirchengrenzen hinweg. „Wir wollten diese nicht nur wissenschaftlich diskutieren, sondern einen Konnex zu aktuellen Problemen herstellen“, motiviert Pfarrer Henkel.

Der Titel der Konferenz, „Heilige und Heiligenverehrung in Ost und West“, sei „ein spannendes Thema, denn es bildet einen gefühlten Dissens zwischen Katholiken, Orthodoxen und Evangelischen.“ Beleuchtet wurde es von allen konfessionellen Seiten, von der Kirchengeschichte über Fragen der Kanonisierung bis hin zur Sozialethik. Eine Brücke wurde auch zu modernen Themen geschlagen (die in Teil 2 des Artikels behandelt werden), etwa zur ökumenischen Erinnerungskultur an Märtyrer aus der kommunistischen Zeit oder zur aktuellen Christenverfolgung im Nahen Osten.

Warum ausgerechnet Heilige?

Während Heilige in der Orthodoxie im Zentrum der Spiritualität stehen, Katholiken sie als Fürsprecher und Lebensmodelle betrachten, wird sie der evangelische Theologe höchsten als Vorbilder im Glauben zitieren. Die Reformation im 16. Jahrhundert hat in Opposition zur mittelalterlichen Theologie starke Abwehrhaltung und Ablehnung gegen Heiligenverehrung hervorgebracht. „In nur wenigen Bereichen werden die Differenzen deutlicher“, erklärt Henkel. „Doch die Welt, die in mancher Hinsicht am Abgrund steht, braucht Heilige heute vielleicht mehr als in früheren Epochen.“

Wichtig für das Ziel der Ökumene, eine Einigung der Kirchen, ist eine Beleuchtung der Unterschiede und Gemeinsamkeiten, aber auch die Frage, inwiefern sich daraus eine verbindliche Ethik ableiten lässt. Prof. Hermann Schoenauer, Vorsitzender von Ex fide lux, spricht von der großen Herausforderung, in einem „Europa der Orientierungslosigkeit in geistigen Fragen“ ein gemeinsames Zeugnis christlichen Glaubens abzulegen. War der christliche Glaube in der Zeit des Kommunismus offen bedroht, so bedroht ihn nun der Materialismus – versteckt, aber umso mehr, gibt auch Kardinal Müller zu bedenken.

„Pfarrer Henkel hält an der Vision der großen Ökumene fest“, erläutert Schoenauer bei der Eröffnung der Tagung: „Dass dies keine Utopie ist, zeigt, dass Sie alle hier sind!“

Orthodoxie: Heilige sind Realität!

„Nur Gott ist absolut heilig, doch die Verehrung der Heiligen überschattet die Verehrung von Gott nicht“, erläutert Metropolit Laurențiu Streza den orthodoxen Standpunkt. So wird zwischen Gottesverehrung (latrie) und Heiligenvererhung (dulie) unterschieden. „Gott ist schon alles – wir müssen es erst werden.“ Der Mensch, mit der Fähigkeit ausgestattet, „durch freie Entscheidung seines Willens die Gottebenbildlichkeit zu erlangen“, sei in der Lage, die Stufen der Entwicklung zu erklimmen, an deren Spitze Heiligkeit steht. Die Heiligen, ursprünglich fehlbare Menschen, haben dies geschafft und sollen anderen Mut machen.

Die Geschichte der Märtyrer des frühen Christentums in der Dobrudscha rollt S. E. Erzbischof Teodosie Petrescu von Tomis (heute Konstanza) auf. „Heilige sind kein Symbol, sondern Realität“, stellt er klar. Im ehemaligen Scythia Minor sei das Christentum auf fruchtbaren Boden gefallen, weil mit dem Zamolxis-Kult bereits eine Art Eingottglaube herrschte. So musste Apostel Andreas alsbald Apostel Philipp zu Hilfe rufen, weil er es alleine mit dem Missionieren nicht schaffte. Bekehrt wurden Daker, Skythen, Thraker, Griechen und Kappadozier. Im 3. Jahrhundert waren drei große Burgen christianisiert, bis zum 6. Jahrhundert 14. Vor dem Mailänder Edikt, das den Christen 313 Glaubensfreiheit zugestand, war Verfolgung an der Tagesordnung. Die größte Dichte an Märtyrern verzeichnete Tomis mit 66; in Noviodunum (heute Isaccea) wurde eine Basilika mit 36 Märtyrern entdeckt, im nahen Niculițel eine Krypta mit vier. Dem Wunsch der Christen, neben ihren Märtyrern bestattet zu werden, entsprangen große Nekropolen. Die ausführliche Geschichte der Dobrudscha-Heiligen ist im Tagungsband nachzulesen. Was dort nicht steht, ist, was der Erzbischof über die Ausgrabungen in Halmyris (heute Murighiol) erzählt. Die Anekdote unterstreicht die herausragende Bedeutung von Reliquien in der Orthodoxie: Auf der Ausgrabungsstätte arbeiteten Volontäre, Baptisten aus den USA, die nicht an Heilige glaubten, Männer um die 60, mit Knochenfunden vertraut. Doch als die Gebeine der Heiligen Epictet und Astion entdeckt wurden, erlitten sie eine Art Schock: Goldgelb, transparent und Wohlgeruch verbreitend - ein typisches Merkmal von Reliquien, erklärt der Erzbischof – unterschieden sie sich stark von üblichen antiken Gebeinen. Die Volontäre waren tief beeindruckt. „Ein Wunder!“ riefen einige. Das Erlebnis löste in allen nachhaltiges Interesse aus. „Die Männer waren regelrecht gezeichnet“, erinnert sich der Erzbischof.

Wunder zu wirken – auch dies ist klassisches Merkmal eines orthodoxen Heiligen. „Gottesliebe manifestiert sich im Übernatürlichen“, erwähnte auch Streza am Beispiel der hl. Maria von Ägypten, die zur Levitation fähig gewesen sein soll. Berichte, in denen Heilige im ursprünglichen Sinne des Wortes auch heilen, sind typisch für die Orthodoxie.

Vom Lutherzorn zum Martins-Altar

In starkem Gegensatz dazu steht der evangelische Ansatz. Doch gibt es wirklich keine Heiligen in der evangelischen Konfession? „Evangelische haben Heilige, doch aus anderen Gründen“, behauptet Prof. Peter Gemeinhardt von der Universität Göttingen, Autor des Buchs „Die Heiligen: Von den frühchristlichen Märtyrern bis zur Gegenwart.“ Dass man in evangelischen Kirchen gelegentlich vorreformatorische Altäre findet, erklärt er mit der Selbstbestimmung des Dorfes trotz des Bruchs mit der katholischen Kirche.

Auch Bischofsvikar Dr. Daniel Zikeli macht auf die Existenz spätmittelalterlicher Heiligen-Flügelaltäre in evangelischen Kirchen Siebenbürgens aufmerksam: der Nikolaus-Altar von Braller/Bruiu (heute in Heltau/Cisnădioar˛), der Martins-Altar in der Bergkirche von Schässburg/Sighișoara – Überbleibsel aus vorreformatorischer Zeit, die den Bildersturm überdauert haben.

Luther jedenfalls waren die Heiligen ein Dorn im Auge: In einer Zeit, in der Pest und hohe Sterblichkeit in den Menschen ein Gefühl der Abhängigkeit von einem zornigen Gott erzeugten, spiegelten Wallfahrten, Ablass oder Reliquienverehrung Bemühungen wider, diesen zu besänftigen und sich einen Platz in der Seligkeit zu sichern. Der Heiligenkult hatte sich verselbständigt. „Wenn einem ein Zahn wehtat, so fastete er und verehrte die hl. Apollonia, fürchtete er sich vor einer Feuersbrunst, so machte er den hl. Lorenz zum Nothelfer, fürchtete er sich vor der Pest, so tat er ein Gelübde zum hl. Sebastian oder hl. Rochus...“ erzürnte sich Luther. An die Stelle der Heiligenverehrung solle die Nächstenliebe treten, fordert der evangelische Glaube: Heiligung vollziehe sich an den Herausforderungen des Lebens und Alltags.
Für einen verbindenden Ansatz kommt Zikeli auf die siebenbürgischen Altäre zurück – als Erinnerung an prägende Gestalten der Frömmigkeitsgeschichte. „Sie können ein Anlass sein, im Sinne lutherischer Theologie, diese Zeugen des Glaubens und der Liebe wieder zu entdecken...“

Katholischer Ansatz: Zeugen für die Einheit der Kirche

Keine zentrale Aussage des Glaubens, doch auch keine Nebensache – so definiert Kardinal Müller die katholische Heiligenverehrung. Letzteres zeige sich vor allem in der Auseinandersetzung seit der Reformation: Martin Luther erschien die „Anrufung der Heiligen“ eine Vergötzung, Jean Calvin als „totale Perversion der Gottesverehrung“. „Entscheidend (für die Ökumene) wird sein, ob es gelingt, die ursprünglichen Intentionen, die zur Ausbildung des Heiligenkultes und seiner eigentümlichen Formen geführt haben, aufzuspüren und ihren Ort und ihre Funktion in der christlichen Glaubenswelt zu bestimmen“, so der Kardinal. Ausgangspunkt hierfür könne der Satz von der „Gemeinschaft der Heiligen“ im Apostolicum sein, zu dem sich alle Kirchen der westlichen Christenheit bekennen. Niketa von Remesiana (414) definiert diese als die „Zeit und Raum, Geschichte und Eschaton übergreifende Gemeinschaft aller Glieder der Kirche“, einschließlich der großen Gestalten der Vorzeit. Wenn Gott in sich selbst Liebe sei, dann könne seine Selbstmitteilung an den Menschen nur in einer Gemeinschaft zum Tragen kommen, „deren Lebensprinzip die Relation von Personen zueinander in Liebe ist“. „Ein gemeinsames Interesse an den Heiligen, die vor uns gelebt haben, wird den Blick darauf lenken, dass Gottes Wirken durch und in Menschen zur Erscheinung kommt.“

Einen passenden Schlussgedanken gibt der Bischof der evangelischen Kirche Rumäniens, S. E. Reinhart Guib, den Tagungsmitgliedern mit auf den Weg: „Tragt den Geist der Ökumene weiter, damit wir die Krisen der Welt meistern. Die Zukunft ist Christus, Einigkeit, Liebe, Glauben.“

(Teil 2 hier)


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Zum Kolloquium ist ein zweisprachiger Konferenzband mit allen Vorträgen erschienen: „Heilige und Heiligenverehrung in Ost und West“, Gerhard Kardinal Müller, Metropolit Laurențiu von Siebenbürgen, Jürgen Henkel, Hermann
Schoenauer, Schiller Verlag, ISBN 978-3-946954-28-6