Auf den Spuren der Minderheiten im Unterwald und dem Kreischgebiet

Menschen und ihr Kulturerbe als touristisches Potenzial

Faszinierende Symmetrien in der Kirche von Palota

In der jüdischen Synagoge von Großwardein

Der heilige Ladislaus mit Reliquien im Museum „Szent László“
Fotos: George Dumitriu

Was haben eine goldene Ladislaus-Büste, das Herrenhaus von Otomanyi, die Kirche von Palota und der sogenannte Stumpfe Turm in Salonta gemeinsam? Sie gehören zum Kulturerbe der Minderheiten im Kreischgebiet. Einige davon bekannte Touristenziele, andere stehen ein wenig abseits im Schatten. Gemeinsam haben sie auch, dass man sie als Sehenswürdigkeiten nicht immer bewusst mit den Minderheiten in Verbindung bringt. Der Tourist fährt nach Rumänien – nicht „zu den Ungarn, zu den Deutschen oder den Slowaken“.... Googeln Sie doch mal „Minderheitentourismus“. Na? Praktisch nicht vorhanden. Obwohl ein großer Teil der rumänischen Sehenswürdigkeiten auf Minderheiten zurückgehen, weil das Land ein riesiges Ethno-Patchwork ist...

Mit der Frage nach dem touristischen Potenzial von Minderheiten befasst sich das Departement für Interethnische Beziehungen der Rumänischen Regierung (DRI) im Rahmen der EU-Makrostrategie für die Donauregion als Partner des von Rumänien und Bulgarien koordinierten Programmpunktes PA3 „Kultur, Tourismus und Kontakte zwischen den Menschen“. Ziel ist die Erstellung eines „Blauen Buches zur kulturellen Identität der Donau“.  Dabei geht es nicht nur um Gebäude und museale Gegenstände, sondern auch um Bräuche, Lieder, Tänze, Kunsthandwerk, Kulinarisches und Literarisches. Unsere Minderheiten sind ein Stück lebende Geschichte. Ein Teil der „menschlichen Biodiversität“ – und damit Ressourcen für Ethnofeste, Kochwettbewerbe und Abenteuer im eigenen Land. Eine gezieltere Einbindung in den Tourismus könnte für den Fortbestand ihrer kulturellen Identität zumindest teilweise ein Lösungsansatz sein.

Bestandsaufnahme

2014 und 2015 wurden daher vom DRI zwei Journalistenreisen organisiert. Die erste führte in die Dobrudscha: Neben den Hauptattraktionen – Donaudelta , Letea-Urwald, Măcin-Nationalpark und Schwarzmeerküste – könnte das Kulturerbe der dortigen Minderheiten – russische Lipowaner, Ukrainer, Italiener, Türken, türkische Roma, Tataren, Griechen, Juden, Bulgaren, Armenier etc. – einen Mehrwert für das bisher genutzte touristische Potenzial darstellen. Kultur- oder Studienreisen wären denkbar, aber auch eine Verknüpfung mit Naturtourismus (siehe ADZ Tourismusseiten: 13.7., 20.7., 27.7, 10.8.2014). Die zweite Reise führte im Juni 2015 durch den Unterwald/Alba und das Kreischgebiet/Bihor, auf den Spuren der ungarischen, slowakischen, jüdischen und deutschen Minderheit, sowie über die Landesgrenze nach Ungarn zur rumänischen Minderheit in Gyula.

Etappen der Reise im Unterwald und dem Kreischgebiet

Karlsburg/Alba Iulia:

Hier lockt die aufwendig restaurierte Festung Alba Carolina als Hauptattraktion. Ein Muss auch das dort befindliche Museum der Vereinigung, wo die Ausstellung „Das antike Gold und Silber Rumäniens“ gastierte (ADZ, 3. Juli: „Vom Licht der Götter“). Das Museum bietet einen Querschnitt über die Geschichte der Stadt: Bereits die Daker hatten hier eine Festung namens Apoulon auf dem nahen Zuckerhut/Piatra Craivii. Nach der Eroberung durch die Römer entstand die Stadt Apulum mit einem Castrum für die 13. Legion Gemina. 1272 ließ der ungarische König Stephan/István V. auf dem Berg eine neue Burg errichten, die 1515 von Raubrittern zerstört wurde. 1600 kam Karlsburg als Hauptstadt der von Michael dem Tapferen (Mihai Viteazul) erstmals vereinigten drei Fürstentümer – Walachei, Siebenbürgen und Moldau – zu Ruhm. 1715-1738 wurde die heute noch erhaltene Festung errichtet, welche die Habsburger vor den Türkeneinfällen schützen sollte.

Der UDMR-Sitz in Großwardein/Oradea:

Im historischen Gebäude „Schwarzer Adler“ informieren Vizebürgermeister István Huszár und die Abgeordneten Attila Cseke und Ödön Szabó zur ungarischen Minderheit: In Großwardein stellt sie 24 Prozent der Bevölkerung. Der Landkreis Bihor ist wie ein „Mini-Siebenbürgen“ mit den Gemeinden des Nordens (60-99 Prozent Ungarn) als „Szeklerland“. Im Süden leben nur 5-25 Prozent Ungarn. Und über 60 Prozent der Roma sprechen hier Ungarisch. Der UDMR stellt 24 Bürgermeister – vier davon in Städten mit unter 20 Prozent Ungarn. Mehr als 23 Prozent der Schulen sind ungarisch, daher auch stets der stellvertretende Schuldirektor. Was Kultur und Schulen betrifft, kenne man keine Kompromisse, denn Sprache und Bildung bedeuten Identität, betont Szabó. Doch mit Extremisten aus dem Nachbarland will man nichts zu tun haben: Als Jobbik eine Veranstaltung in Großwardein ankündigte, protestierte der UDMR mit Jugendlichen auf der Straße.

Das ungarische Theater, nach dem Modell Temeswars und Klausenburgs organisiert, steht durch rumänische Untertitel allen offen. Als kulturelle Highlights der Stadt gelten das Blumenfest, das Chansonette- und das Bläserfest sowie ein Sommertheater in der Festung. Die vielleicht bekannteste historische Persönlichkeit von Großwardein ist Sigismund von Luxemburg, ungarischer König (ab 1387) und römisch-deutscher König (ab 1411), später Kaiser (bis zu seinem Tod 1437): Er liegt hier auf eigenen Wunsch begraben. Und auch den heiligen Ladislaus, Ziel zahlreicher Pilgerreisen, muss man kennen: Man trifft den ehemaligen Ungarnkönig (1077-1095) – Vater der durch Heirat mit dem byzantinischen Thronfolger Johannes II. Komnenos griechisch-orthodox gewordenen heiligen Irene – im Komplex des katholischen Bischofssitzes an.

Der Sitz des katholischen Bischofs:

50.000 Touristen im Jahr besuchen den Großwardeiner Bischofssitz, das größte Barockensemble Rumäniens. Papst Johannes Paul II. verlieh der Kathedrale 1991 den Rang einer Basilica minor. In dieser wartet das Museum „Szent László“ mit einer überwältigenden Kollektion auf: goldbestickte Gewänder – eines trug Maria Theresia persönlich –, edelsteinbesetzte liturgische Objekte, Statuen und Reliquien. Unvorstellbare Pracht auf kleinstem Raum, die nur 4 Prozent des gesamten Bischofsschatzes ausmacht. Den heiligen Ladislaus trifft man hier als Goldbüste an – und vor der Kirche als dessen älteste Statue in Europa. Der Bischofspalast gilt mit 12.000 Quadratmetern als größtes Residenzgebäude Rumäniens. Wie der Museumsführer erzählt, soll Maria Theresia bei ihrem ersten Besuch süffisant bemerkt haben: „Der Stall ist ziemlich groß für ein einziges Schwein.“ Im obersten Stockwerk liefert das Ethnografiemuseum Überblick über Volkskunst und Handwerk im Kreischgebiet.

Das Reformierte Kirchenzentrum  Lorantffy Zsuzsanna:

Spartanisch wirkt die Kirche der ungarischen reformierten Calvinisten: keine Heiligenbilder, keine  Statuen sind erlaubt. Einzige Dekorelemente: Pflanzenmotive unter der Kanzel. Im Museumsgebäude bezaubern die im Maßstab 1:1 aufgehängten Einzelfotografien naiv bemalter Kassettendecken aus bäuerlichen Kirchen des 17. Jahrhunderts. Auch hier sind nur phyto- und zoomorphe Motive zu sehen. Neben alten Büchern, Stoffen und Gefäßen ist auch eine Version der berühmten „Großwardein-Bibeln“ ausgestellt, von denen es noch etwa 100 Stück gibt. Die Evakuierung dieser Bibeln war Gegenstand der Verhandlungen nach der Eroberung der Stadt durch die Türken.

Die jüdische Synagoge:

In die Synagoge der jüdischen Gemeinde darf man nur nach Registrierung mit Ausweis, informiert ein Schild an der Pforte. Ohnehin ist die große Synagoge wegen Restaurierung bis nächstes Jahr geschlossen, soll dann aber auch Touristen zugänglich sein. Der Vorsitzende der Gemeinde von Großwardein, Teodor Koppelmann, führt uns in das kleinere Gebetshaus. Den hebräischen Gottesdienst verstehen die etwa 700 verbliebenen Juden – nach dem Zweiten Weltkrieg waren es 32.000 – nicht mehr alle, erklärt er. Mehr Juden können Jiddisch als Hebräisch. Dafür gibt es bilinguale Bücher, oder hebräische mit lateinischen Buchstaben. Beten darf man in jeder Sprache und mit eigenen Worten. Des weiteren organisiert das jüdische Zentrum Bildungs-, Kultur- und Sportveranstaltungen für alle Altersklassen. Sämtliche Aktivitäten stehen allen Ethnien mit monotheistischer Religion offen. Besonderer Beliebtheit – auch unter Nichtmitgliedern – erfreut sich die koschere Kantine.

Römisch-katholische Kirche in Aleşd:

Föhren duften harzig am Eingang der eher schlichten Kirche. Von den 8700 Einwohnern des Städtchens sind 1700 Ungarn (die meisten reformiert), 680 Slowaken, 500 Roma und wenige Deutsche. Der Gottesdienst wird sonntags in drei Sprachen abgehalten. Der slowakische Verband in Ale{d ist sehr aktiv: Seit 2011 feiert man jährlich ein slowakisches Festival, es gibt einen Kindergarten, eine Bibliothek, ein Fußballteam, eine Radiosendung, Pilgerfahrten und Kinderfreizeiten werden organisiert. 2014 wurde eine Städtepartnerschaft mit Stara Lubovna in der Slowakei abgeschlossen. Das touristische Potenzial beschränkt sich auf die Kirche.

Katholische Kirche in Palota:

Pünktlich kommen wir hier zum Gottesdienst – zuerst ungarisch, dann deutsch, die Leute bleiben einfach sitzen. Erste deutsche Einwanderer ließen sich hier 1686 nieder. Der zweite, größere  Zug kam 1814 mit dem Grafen Johann Maria von Frimont ins Land, der das streng symmetrisch angelegte heutige Dorf plante und die Kirche stiftete. Schon aufgrund ihres Maßstabes ist sie etwas Besonderes: kreuzförmiger Grundriss, 25 mal 25 Meter, und genau 25 Meter hoch. Elena Kötting macht auf die seltene Darstellung einer Herz-Jesu-Figur aus Tirol mit ausgebreiteten Armen aufmerksam sowie auf die von Frimont aus Italien mitgebrachte Statue des heiligen Antonius und das Bildnis der heiligen Katharina, das der Grafentochter Theodora ähnelt. Der Geist des Grafen ist überall präsent. Nur noch 221 Deutsche zählte man 2012. Trotzdem gibt es die deutsche Tanzgruppe „Wilde Rose“, die 2011 zehnjähriges Jubiläum feierte, wie die Vorsitzende des Demokratischen Forums der Deutschen in Palota, Angela Tencuţ, stolz berichtete. Auch zwei Überlebende der Russland-Deportation leben noch im Dorf. Eine Tafel an der Kirche erinnert an das tragische Ereignis.

Gyula (Ungarn):

Etwa 600 Rumänen leben hier: Es gibt eine rumänische Schule, ein orthodoxes Bistum mit der Kirche Sân Nicoar² und ein durchaus sehenswertes Museum für orthodoxe Kunst. Touristisch lockt der auch als Kurbad bekannte Ort mit der besterhaltenen Ziegelburg Europas.

Salonta:

Auf der Kreuzung vor der ehemaligen Pia]a Libertăţii – heute ein Park – weisen Pfeile mit touristischen Routen in alle Richtungen des geschichtsträchtigen Städtchens, das man gut zu Fuß erkunden kann. An Minderheiten leben hier vorwiegend Slowaken. Das älteste Gebäude ist der Wachturm, der erbaut wurde, damit Großwardein im Falle eines Türkenangriffs vorgewarnt wird. Heute ist er ein Museum für den ungarischen Stadtdichter János Arany. Im Restaurant des historischen slowakischen Hotels „Slavia“ amüsiert die Speisekarte mit dem „Menü von Johannis“ – Schweinshaxen mit Kartoffeln.

Otomanyi:

Der Name lockt auf eine falsche Fährte – nicht die Osmanen (rumänisch: otomani), sondern ein deutscher Otto soll Namenspatron gewesen sein. Von diesem weiß man nichts mehr, dafür informiert das kürzlich eröffnete Museum im restaurierten Herrenhaus der ungarischen Familie Komáromi über eine Vielzahl anderer Dinge: Von Funden aus der Bronzezeit über historische Landkarten des Kreischgebiets, zurückreichend bis in die Römerzeit, über traditionelle Tätigkeiten im ehemaligen Sumpfgebiet und die Biodiversität der Natur. Ausgestellt sind auch die Möbel der Familie Komáromi. Der Sumpf – in den 60er Jahren gegen den Willen der Einheimischen trockengelegt – verband die Menschen mehr als ihre ethnische Zugehörigkeit. Fischfang, Korbflechten und Weinbau gehörten zu den vorherrschenden Tätigkeiten. Die typischen hochgelegenen Weinkeller am Hang jedes Hügels zeugen noch heute davon. Weinbau wird immer noch betrieben, in erster Linie zur Selbstversorgung. Auf der Reise gefilmt haben die Teams um Diana Deleanu (TVR) , Peter Keresztes (TVR Temeswar) und Herman Endre (Erdely TV). Einzelne Schwerpunkte werden in der ADZ auf den folgenden Tourismusseiten aufbereitet.