Aus dem Atelier von Nicolae Tonitza

Zeichnungen und Aquarelle im Nationalen Kunstmuseum in Bukarest

Nicolae Tonitza: Bäckerei in Mangalia (Aquarell)

Im Kabinett für Zeichnungen und Druckgrafik der Galerie moderner rumänischer Kunst, das im zweiten Obergeschoss des Nationalen Kunstmuseums Rumäniens in Bukarest untergebracht ist, ist noch bis zum 24. April 2016 eine kleine, aber feine Ausstellung zu sehen, die Aquarellen und Zeichnungen des rumänischen Malers Nicolae Tonitza gewidmet ist. Die insgesamt 38 Exponate geben einen Einblick in das vielfältige Schaffen des 1886 in Bârlad geborenen und 1940 in Bukarest gestorbenen Künstlers, angefangen von Skizzen, die Tonitza nach dem Vorbild großer französischer Meister 1910 in Paris anfertigte, bis hin zu Zeichnungen, die 1938 in Tonitzas letztem Atelier in Baltschik entstanden.

Die von Dana Crişan kuratierte Ausstellung beleuchtet verschiedene Schaffensperioden im Leben des Malers und Zeichners Nicolae Tonitza und kann daher als persönliches künstlerisches Tagebuch betrachtet werden wie auch als Teil einer Retrospektive jener Epoche der rumänischen Kunstgeschichte, zu der Tonitza durch seinen individuellen Stil einen markanten Beitrag geleistet hat.

Der junge Tonitza beginnt im Jahre 1902, nachdem er in seiner Heimatstadt Bârlad das Gymnasium absolviert hat, mit dem Studium der Malerei an der Nationalen Schule der Schönen Künste in Jassy/Iaşi, wo er von den Kunstprofessoren Gheorghe Popovici und Emanoil Panaiteanu-Bardasare Malunterricht erhält. Im Rahmen einer archäologischen Exkursion, die 1903 von dem rumänischen Historiker Grigore Tocilescu veranstaltet wird, lernt er Italien kennen. 1908 setzt er seine Ausbildung an der Königlich Bayerischen Akademie der Bildenden Künste in München in der Klasse des Porträtmalers Hugo von Habermann fort.

Nach einer erneuten Italienreise lässt sich Tonitza 1910 in Paris nieder, wo Skizzen und Studien nach Werken des 1879 verstorbenen französischen Bildhauers, Malers, Grafikers und Karikaturisten Honoré Daumier entstehen, von denen ein Blatt mit mehreren Szenen in Bleistift und schwarzer Tinte in der Bukarester Ausstellung zu sehen ist. Auch von dem Daumier-Schüler Jean-Louis Forain lässt sich Tonitza beeinflussen. In der Bukarester Ausstellung findet sich ein Blatt mit Studien in schwarzer Tinte und Buntstiften nach Werken des 1931 verstorbenen französischen Malers und Karikaturisten.

Das karikaturistische Element ist in der kleinen Ausstellung im Bukarester Nationalmuseum in verschiedenen Blättern vertreten. Zu sehen sind Zeichnungen politischen und sozialkritischen Inhalts, die Tonitza im zweiten und dritten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts in diversen rumänischen Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichte, z. B. in „Arta Român²“, „Socialismul“, „Cuvântul liber“, „Fapta“ oder in „Hiena“. Es sind vornehmlich satirische Blätter, etwa im Stil der in München publizierten satirischen Wochenzeitschrift „Simplicissimus“. Man sieht dort würdige Bürger mit Bärten, steifen Hüten und schweren Mänteln, die sich für die Wohltaten des Staates in erster Linie dann einsetzen, wenn sie selbst in deren Genuss kommen, wie es im handgeschriebenen Begleittext auf einem dieser Blätter heißt.

Ein markanter Einschnitt im Leben Nicolae Tonitzas war der Erste Weltkrieg. Nach der Mobilmachung wurde er an die Front geschickt, wo er in der Schlacht um Tutrakan in Kriegsgefangenschaft geriet und ins Lager Kardschali nach Südbulgarien verbracht wurde. Mehrere Zeichnungen der Bukarester Ausstellung beziehen sich auf diesen Lebensabschnitt Tonitzas: es handelt sich um diverse Lagerszenen sowie um die Darstellung eines Gefangenenkonvois, die als Illustration dem 1920 in Bukarest erschienenen Buch G. Millian-Maximins mit dem Titel „In den Händen der Feinde – Aufzeichnungen eines Gefangenen“ beigegeben wurde. Das 1917 entstandene emblematische Blatt mit der Inscriptio „Petrică Sonda in Gefangenschaft“ (schwarze Tinte, Bleistift, roter Buntstift, Conté) zeigt als Pictura zwei Gefangene in Soldatenmänteln und enthält als Subscriptio folgende „Lehre: Der Krieg lehrt uns vieles, vor allem, dass Töten eine Tugend ist…“.

Des Weiteren finden sich unter den Exponaten der Bukarester Ausstellung ein Selbstporträt aus dem Jahre 1920 (Bleistift und Estompe) und eine allegorische Pietà aus den Jahren 1921-1923, bei der sich Maria als Patria mit den Worten „Mein armer Steuerzahler…“ über den toten Christus beugt. „Aus der Welt der Armen“ betitelte Studien aus den Jahren 1919 und 1920 zeigen Waisen und Gefangene, eine Gruppe Streikender und eine Brotschlange, eine Vorstudie zum gleichnamigen Ölgemälde von 1920.

Von 1921 bis 1924 lebte und arbeitete Tonitza in Vălenii de Munte, wo er – weil er es liebte, im Freien zu malen – sein Atelier provisorisch genug auf einer offenen Veranda, rumänisch cerdac, eingerichtet hatte. Von seinen Reisen durch Siebenbürgen sind mehrere Zeichnungen erhalten, von denen zwei aus dem Jahre 1925 in der Bukarester Ausstellung zu sehen sind – „Mädchen aus Fogarasch“ (Tusche und Aquarell) und „Kinder aus Fogarasch“ (Tusche) –, die ländliche Trachten und das Interieur einer Bauernstube wiedergeben.

Weitere improvisierte Ateliers richtete Tonitza in der schattigen Laube eines Kaffeehauses in Mangalia und im Haus Tefiks in Baltschik ein. Ein Ausblick aus ersterem ist mittels Tusche und Aquarell auf einem Blatt aus dem Jahre 1933 festgehalten. Man sieht im schattigen Vordergrund sozusagen als Arbeitsfläche des Künstlers einen großen Tisch mit Tuschefässchen, Stift und Papier, daneben auf der Bank ein Album und einen Spazierstock. Die unter dem Vordach hängende Petroleumlampe evoziert laue Sommernächte, während der Blick des Betrachters auf dem leeren Mittelgrund ruht, einem in sengender mittäglicher Sonne schmachtenden Platz in Mangalia.

Weitere Blätter aus Mangalia zeigen ein Haus, eine Bäckerei, den Hinterhof einer Konditorei, eine Strandansicht und einen liegenden Akt. Ferner sind Landschaftsskizzen aus der Dobrudscha und aus Baltschik zu sehen, wie auch das Porträt einer Tatarin (Tusche und Aquarell) aus dem Jahre 1934, das jederzeit als Illustration zu der gleichnamigen, sieben Jahre früher entstandenen Erzählung von Oskar Walter Cisek verwendet werden könnte. Eine Innenansicht aus dem Hause Tefiks in Baltschik, eine Tusche- und Aquarellstudie des Friedhofswärters Hadschi Jussuf Memet und eines jungen Mädchens mit Kopftuch, beide aus Baltschik, runden den Bilderbogen von Zeichnungen und Aquarellen ab, der mit dieser sommerhellen Welt am Schwarzen Meer an Nicolae Tonitzas letzte Lebensjahre erinnert.