Ausgedehnteste archäologische Ausgrabungsstätte

Mittelalterliche, türkische und frühneuzeitliche Spuren der Burg Temeswar kommen ans Licht

Ausgrabungen am Freiheits-, ehemals Paradeplatz. Luftansicht mit den Grundmauern der türkischen Bäder.

Die Ausgrabungen am Paradeplatz von Temeswar bestätigen nicht nur die Aussagen der Temeswarreisenden des 16.-17. Jahrhunderts, sondern auch die (umstrittene) türkische Inschrift am Fuß des Tors zum Alten Rathaus von Temeswar (im Hintergrund), die auch von den türkischen Bädern spricht, die hier funktionierten.

Rund um die Pestsäule auf dem Paradeplatz befanden sich türkische Bäder. Momentan werden nur die auffallendsten Funde offen gelassen, um später besichtigt werden zu können, der Rest wird zugeschüttet und für die Platzerneuerung vorbereitet.
Fotos: Zoltán Pázmány (2), Eye in the Sky (1)

„Es ist wahrscheinlich die umfangreichste archäologische Forschung Rumäniens  dieser Art, sagt Dan Leopold Ciobotariu, Leiter des Museums des Banats, über die Ausgrabungsstätten in der Temeswarer Innenstadt. Derzeit finden archäologische Ausgrabungen am Domplatz und am Freiheitsplatz statt, am Sankt-Georgs-Platz wurden sie bereits vor etwa einem Monat beendet, die Verbindungsstraßen werden noch untersucht. Das Trinkwasserversorgungssystem, die Sankt-Georgs-Kirche, eine Moschee, eine Nekropole, türkische Bäder, Häuser, Holz-, Seide- und Keramikgegenstände gehören zu den zahlreichen Funden. „Das mittelalterliche Trinkwasserversorgungssystem ist eine große Überraschung, eine Neuigkeit”, so der Museumsleiter und verweist auf die Bedeutung der Forschungsarbeiten für die Archäologen, aber auch für das breite Publikum. In einer optimistischen Perspektive ist ein größerer Strom von Touristen und folglich eine Zunahme der wirtschaftlichen Tätigkeit der Stadt in den kommenden Jahren zu erwarten, meinen die Archäologen und hoffen, dass je mehr von den ausgegrabenen Bauten und Gegenständen später zu besichtigen sein werden. Möglichst direkt am Ausgrabungsort.

Tamisvar in der Türkenzeit

„Jetzt sieht die Stadt wie eine Baustelle aus. In ein paar Monaten wird das Gebiet wiederhergestellt sein. Dann werden wir den Touristen mittels der Stadtführer diese Informationen zur Verfügung stellen können. Einige Elemente werden noch sichtbar sein und wir können sagen, dass Temeswar eine mittelalterliche Geschichte hat, die man sehen und Schritt für Schritt erkunden kann“, betont Ciobotariu. Die am besten erhaltenen archäologischen Funde, wie beispielsweise die Kirchen- und Moscheemauer oder die türkischen Bäder, werden anschließend in das neue architektonische Ensemble des Sankt-Georgs-Platzes bzw. des Freiheitsplatzes nach Plänen des Architekten Radu Mihăilescu miteinbezogen und der Öffentlichkeit vorgestellt.

„Diese Ausgrabungsstätte ist besonders wichtig, da es der erste Eingriff auf dem Domplatz ist. Wir befinden uns vor bis jetzt unbekannten archäologischen Elementen, von denen man bisher überhaupt nichts wusste“, unterstreicht der Museumsleiter Dan Leopold Ciobotariu. Leiter der Ausgrabungsstätte am Domplatz ist der Archäologe und zugleich Leiter der Archäologie-Abteilung des Museums des Banats, Alexandru Szentmiklósi. „Wir haben die Spuren Temeswars in der Türkenzeit bzw. die Festungsmauer aus Lehm entdeckt. Vor der Festungsmauer befand sich der vom Bett eines Fluss-Nebenarms gebildete Graben, wahrscheinlich ein Arm des Timişel“, erklärt der Historiker. Der Verteidigungsgraben im Norden der Stadt wurde im östlichen Teil des Domplatzes, in der Nähe des Doms entdeckt.

Artefakte stimmen mit Archivzeugnissen überein

„Größtenteils stimmen die archäologisch identifizierten Informationen mit den historischen Quellen überein“, versichert Szentmiklósi. Die wichtigsten historischen Quellen für Temeswar sind die Aufzeichnungen des türkischen Reisenden Evlia (Evliya) Celebi, der im 17. Jahrhundert das Banat und andere rumänische Gebiete bis hin zur damaligen Westgrenze des Osmanischen Reichs bereist hat, sowie die Aufzeichnungen Henrik Ottendorfs von 1663 über Temeswar während der osmanischen Herrschaft. Im Rahmen der Ausgrabungen wurden archäologische Komplexe nördlich der Verteidigungsmauer zum Vorschein gebracht, manche davon solide, wahrscheinlich ursprünglich zweigeschossige Bauten, die mit Fundamentgräben versehen waren. Andere frühere Bauten sind kleiner, aber mit einem Keller ausgestattet, während die Wände mit Holz verkleidet waren. Zu den Funden zählen unter anderen Keramikfragmente, manche aus dem Import, sowie Knochenfragmente – Hinweise auf die Ernährung der damaligen Einwohner.

Die Ausgrabungen am Domplatz brachten auch Pflaster aus dem 18. und dem 19. Jahrhundert ans Licht. Der Domplatz, oder Domtér, später Losonczy tér genannt, nach dem Hauptmann, der 1552 die Burg heldenhaft gegen die Türken verteidigt hatte, wurde 1733 als barocker Hauptplatz eingerichtet. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde der Platz mit einem Pflaster mit Zugang zum Dom ausgestattet, wiederhergestellt vom Westen nach Osten, ein Pflaster, das mindestens einmal erneuert wurde, präzisiert Szentmiklósi. Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Nord-, Süd- und Ostseite mit einer Fußgängerzone aus Brennziegeln umgestaltet.

Mittelalterliches, türkisches, österreichisches Temeswar

In den mittelalterlichen Schriften wird 1323-1324 eine dem hl. Georg geweihte Kirche aus dem 13.-14. Jahrhundert erwähnt. „Da die Jesuitenkirche ebenfalls dem hl. Georg geweiht war, wurde eine Verbindung zwischen den beiden Sakralbauten aus dem 18. und dem 13.-14 Jahrhundert hergestellt, wobei man dachte, dass es sich dabei um dieselbe Kirche handelt, die in der Türkenzeit in eine Moschee umgewandelt wurde“, sagt Prof. Dr. Forin Draşovean, Leiter der Ausgrabungsstätte am Sankt-Georgs-Platz. „Der älteste gemauerte Bau am Sankt-Georgs-Platz datiert von irgendwann nach 1552 und ist diese Mauer der Moschee“, so der Archäologe. In Evliya Celebis Aufzeichnungen wird die Moschee bereits als in einem prekären Zustand befindlich vermerkt. Den Grund dafür haben die Ausgrabungen nun zum Vorschein gebracht. „Die Moschee wurde ohne ein passendes Fundament, direkt auf dem Boden, aus Bauelementen von anderen Gebäuden, die die Türken 1552 in Temeswar vorgefundenen hatten, errichtet“, behauptet Draşovean. Die Moschee funktionierte bis 1716 und wurde nach der österreichischen Eroberung von 1716 den Jesuiten übergeben, die sie wiederum in eine dem hl. Georg geweihte Kirche verwandelten. Bis hierher ähnelt die Geschichte gewisser-maßen dem berühmteren und den Besuchern offen stehenden Dom von Pécs. 1784 wurde die alte Kirche abgerissen, um die aus Plänen und Fotos bekannte Sankt-Georgs-Kirche aufzubauen, die dann 1914 aus Modernisierungsgründen ihrerseits abgerissen wurde.

Konservierungsmittel Sumpfboden

„Zwischen dem mittelalterlichen und dem österreichischen Temeswar bestand ein großer Unterschied“, betont der Forscher und führt die vom kaiserlichen Hauptmann italienischer Abstammung Perete entworfenen Pläne der Stadt Temeswar von 1716 an. „In der Umgebung des Sankt-Georgs-Platzes gab es kein Temeswar mit Anlagen aus Stein oder Brennziegeln, sondern ein Temeswar aus Holz“, erklärt Draşovean. Am Sankt-Georgs-Platz wurden außer den Straßen aus massiven Eichenholzbalken auch kleinere Gegenstände, wie Besteck, Teller – alle aus Holz – sowie Stoffe aus Tuch oder Seide entdeckt. All dies konnte dank des sumpfigen Bodens von Temeswar, der die organische Substanz sehr gut konserviert, erhalten bleiben. Viele kleine, ein paar Quadratmeter große Häuser mit Keller, eine ganze Reihe aus Reisig geflochtene und lehmverputzte Nebengebäude, Vergärungsgruben, auf deren Boden viele Kirschen- und Weichselkerne gefunden wurden, kamen ans Licht. Draşovean bezieht sich auf Celebis Bemerkungen, laut denen Wein zu trinken eine Schande war, jedoch die Menschen hier viel Weichsellikör – wohl ähnlich der heute noch beliebten „Vişinată“ – tranken.

Eine Nekropole aus der Türkenzeit sowie zwei Krypten, wahrscheinlich aus der Jesuitenzeit, während welcher das Gebäude als Kirche funktionierte, kamen noch zum Vorschein. Nicht zuletzt wurden am Sankt-Georgs-Platz zwei Brunnen aus der osmanischen Zeit ausgegraben. Einer der bedeutendsten Funde ist ein Keramikgefäß mit einer türkischen Inschrift, die nur teilweise lesbar ist, da einige Teile abgebrochen sind. „Der Weise kennt seine Grenzen“ beginnt der Spruch und in Draşoveanus Interpretation könnten damit die Grenzen des Denkens gemeint sein. Der restliche Teil der Inschrift lautet: „also musst du ihm nicht sagen, dass...“ Was, das bleibt vorläufig ein Geheimnis, zum Bedauern des Forschers, der vergeblich unter den Scherben nach der Vervollständigung des Spruchs gesucht hat.

Türkische Bäder auf dem Freiheitsplatz

„In den vergangenen paar Monaten wurde die Geschichte Temeswars umgeschrieben, besonders die des 16. und 17. Jahrhunderts, d. h. der Türkenzeit“, sagt der Leiter der archäologischen Ausgrabungen am Freiheitsplatz, Dozent Dorel Micle. Er erwähnt die spärlichen Informationen hinsichtlich dieser Zeitspanne und hebt hervor, dass die jüngsten Entdeckungen beweisen, dass Temeswar in dieser Zeit eine wunderschöne, blühende, dynamische Stadt war, gut organisiert und verwaltet, und sich keineswegs hinter anderen mittelalterlichen Städten aus diesem Teil Europas verstecken musste.
Am Freiheits- oder Paradeplatz wurden türkische Bäder der ersten und der zweiten Phase entdeckt. Beheizt wurden diese mit Heizkesseln (Praefurium) im bereits von den Römern erfundenem Hypokaustum, ein System, das die Türken über byzantinische Vermittlung angenommen hatten. Eine andere freigelegte Gebäudegruppe aus Stein und Brennziegeln ist wahrscheinlich mittelalterlicher Herkunft und auf den alten Karten als „große Scheune” vermerkt, behauptet Micle. Besonders wichtig für diese Zeit ist das Trinkwasserversorgungssystem, wobei Teile davon auch an mehreren Stellen am Freiheitsplatz entdeckt wurden.

Die wohl größte Entdeckung am Paradeplatz sind für die Fachleute die noch gut erhaltenen türkischen Bäder der zweiten Phase, mit kleinen, etwa drei Quadratmeter großen Räumen, alle mit Hängeböden aus sechseckigen Ziegeln, auf Ziegelpilastern ruhend, anscheinend auch mit einem Badebecken versehen, das aber von einem österreichischen Wasserkanal aus dem 18. Jahrhundert zerstört wurde, der genau durch die Mitte dieses Gebäudes führte. Die Ausgrabungen am Freiheitsplatz sind größtenteils beendet. Gearbeitet wird nur noch im Bereich der Bäder. Die Arbeiten sollen etwa in einem Monat abgeschlossen werden, versichert Dorel Micle.