Ausgerechnet Rumänien?!

Mein Jahr als deutsche Erasmus-Studentin an der Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt

Charlotte Roderfeld aus Münster war im letzten akademischen Jahr Erasmus-Austauschstudentin an der Hermannstädter Fakultät für Rechtswissenschaften.
Foto: Jakob Heimbach

„Kind, muss es denn ausgerechnet Osteuropa sein? Das bringt dir doch rein gar nichts für deine berufliche Weiterentwicklung! Und denk doch auch mal an die Sprache, auch aus diesem Gesichtspunkt würde sich Paris oder England doch wesentlich mehr lohnen!“ Ungefähr so reagierten meine Eltern, als sie hörten, dass ich mit dem Gedanken spielte, für ein Jahr Deutschland zu verlassen und im Ausland weiter zu studieren. Über Rumänien wusste ich damals zugegebenermaßen noch nicht viel, es war mir nur klar, dass ich gerne nach Osteuropa will. Dieser Teil unseres Kontinents reizte mich schon seit Langem, ich hatte schon häufiger das Gefühl, dass sich die Kulturen von der deutschen wesentlich mehr unterscheiden, als die der westeuropäischen Länder, wie zum Beispiel Frankreich.

Einige Umwege später stand dann fest: Rumänien soll es sein. Von meiner deutschen Universität in Münster bekam ich das Angebot, mit „Erasmus+“ an der Universität Hermannstadt/Sibiu zu studieren. Das seit den 1980er–Jahren existierende Programm ist ein Förderungsprogramm der Europäischen Union, das Studierenden aus ganz Europa nicht nur ermöglichen soll, an einer Hochschule in einem anderen (meist europäischen) Land zu studieren, sondern vor allem auch eine neue Kultur kennenzulernen. Neben einem monatlichen Stipendium werden auch die anfallenden Studiengebühren von dem Programm getragen. Der Andrang für Osteuropa war nicht besonders hoch, sodass ich kurzentschlossen alle Ratschläge in den Wind schlug und im Oktober 2016 nach Hermannstadt reiste, um hier für zwei Semester Jura zu studieren.

Wie sich herausstellte, fragten sich nicht nur meine Eltern und Kommilitonen, sondern auch manche Rumänen, wie man denn bloß den „gelobten Westen“ freiwillig verlassen könne, um hier zu studieren. Das war eine der ersten Erfahrungen, die ich vor Ort gemacht habe, dass die Rumänen ein sehr ambivalentes Verhältnis zu ihrem Land pflegen. Allerdings fragte ich mich das bald auch, denn ich musste ziemlich schnell feststellen, dass die Universitätssprache Rumänisch ist und nicht, so wie im Vertrag angegeben, Englisch. Ich hatte mir das so schön vorgestellt, die ganzen internationalen Rechtsgebiete hier zu studieren und dann in Deutschland gleich mit dem nächsten Studienabschnitt zu beginnen. Jetzt musste ich umdisponieren.

Später merkte ich, dass das Sprachproblem aber nicht die größte Hürde ist, sondern vielmehr die Unterrichtsmethode. Für eine deutsche Studentin ist das Studieren hier schon etwas gewöhnungsbedürftig. Zwar finde ich es toll, dass es kleine Jahrgänge gibt – hier studieren maximal 100 Leute pro Studienjahr, ich habe in Münster mit der siebenfachen Menge angefangen. Aber es werden nicht nur die Vorlesungen, sondern auch die sogenannten „Seminare“ sehr frontal abgehalten. Aus Deutschland war ich es gewohnt, viel selber nachzulesen, mich mit diversen Rechtsstreitigkeiten auseinanderzusetzen und meine eigene Position mit verschiedenen Argumenten zu untermauern. Hier werden den Studierenden häufig ganze Sätze ins Heft diktiert. Leider gibt es auch kaum Visualisierungen, was mir gerade am Anfang bestimmt zum Verstehen sehr geholfen hätte. Außerdem habe ich oft den Eindruck, dass die Studierenden zwar sehr große Stoffmengen lernen, sie aber häufig nicht verstehen, weil es vor allem aufs Auswendiglernen ankommt. Die rumänische Uni war also eine ziemliche Ernüchterung.

Trotzdem habe ich nie daran gedacht, meine zwei Auslandssemester abzubrechen. Viele Professoren der Hermannstädter Jura-Fakultät bedauerten, dass es zwischen den Universitäten Missverständnisse gab, und bemühten sich sehr, Ersatzaufgaben für mich zu finden. Das Sprachproblem habe ich schnell angefangen, positiv zu sehen, denn sonst wäre mein Rumänisch über „bună ziua“ und „mulţumesc“ gewiss nicht hinausgekommen, so viel, wie man in Hermannstadt doch mit Deutschsprachigen zu tun hat. Allein durch das Wohnen in einem Zimmer der evangelischen Kirchgemeinde und das Singen im Bachchor habe ich sehr schnell Anschluss gefunden. Vor allem aber habe ich dadurch Zeit gefunden, mal nach rechts und links zu schauen und interessante Erfahrungen zu sammeln. Ich begann, mich mit der Situation zu arrangieren und auch mal nicht-juristische Projekte in Angriff zu nehmen. Im ersten Semester nahm ich an einem französischen Radioprojekt teil, ab März studierte ich an zwei Tagen der Woche Theologie auf Deutsch. Auf einmal hatte ich auch viel mehr Zeit zum Lesen, Reisen und Menschen kennenlernen, sowohl Rumänen als auch Deutsche oder Siebenbürger Sachsen. Vor allem habe ich auch mich ein Stückchen besser kennengelernt: Wie ich auf bestimmte Situationen reagiere, mit Problemen umgehe, mit einem anderen Menschenschlag, ich habe auch das Durchhalten gelernt.

Zwar kann ich nachfolgenden Studenten aus Deutschland das Jurastudium in Hermannstadt allgemein nicht unbedingt ans Herz legen, wenn man sich wirklich in diesem Bereich intensiv fortbilden will. Land und Leute haben mir allerdings sehr viel gegeben, und ich habe Rumänien tatsächlich schätzen gelernt. Ich glaube, dass das Kennenlernen einer anderen Kultur, von andersartigen Lebensweisen, auch für die Zukunft nur gewinnbringend sein kann: das ist nicht nur sehr spannend, sondern schärft auch die Sinne und weitet das Blickfeld. Für mich war es somit die Sache wert und als Erfahrung insgesamt kann ich ein Studienaustauschjahr in Rumänien nur empfehlen.