Bestätigungen und Überraschungen

Die Probleme im Roma-Viertel Gârcini fordern zum Umdenken auf

Gârcini soll sein Image als Roma-Problemviertel von Săcele überwinden.

Das Roma-Viertel Gârcini in der Gemeinde Săcele ist als eine der größten Ansiedlungen von Roma landesweit bekannt. Inoffiziell sprach man von einer Bevölkerung von rund 10.000 Roma, die hier in Armut leben. Das Viertel hat in Săcele selbst und nicht nur dort einen schlechten Ruf, weil regelmäßig von diversen Straftaten, von Holzdiebstahl bis Gewaltverbrechen, berichtet wird, die aus diesem sozialen Brennpunkt hervorgehen.

Eine Zählung und Umfrage in diesem Stadtteil, in dem Zustände wie in einer der ärmsten ländlichen Siedlungen Europas herrschen, sollte zu einem genaueren Einblick des Ist-Zustandes verhelfen, um dann eine Strategie zur lokalen Entwicklung auszuarbeiten, die eventuell mit EU-Finanzierung umgesetzt werden könnte. Hinter diesem Ansatz steht eine lokale Initiative (Grupul de Acţiune Locală – GAL Gârcini), die sich auch der Unterstützung des Bürgermeisteramtes von Săcele erfreut.

Sechs Wochen dauerte diese Aktion, wobei es nicht nur um demografische Daten ging, sondern auch um Wohnverhältnisse, Gesundheit, Erwerbsquellen, Bildung. Um die Arbeit einer in solchen Aktionen spezialisierten Firma zu erleichtern, wurden auch Ansprechpersonen aus den Reihen der Roma für jede der 13 Straßen in die Teams aufgenommen, die die Befragungen von Haus zu Haus unternahmen. Bei Wohnungen, in denen niemand vorzufinden war, wurden die Besuche wiederholt. Demzufolge wird auch eine Fehlerquote von nur einem Prozent angegeben.

Die anschließend vorliegenden und zentralisierten Ergebnisse dieser Zählung sorgten für Aufsehen. Überraschend war vor allem, dass in Gârcini, dem östlichen Teil Săceles, nur knapp unter 6000 Personen (5975) wohnen und nicht 7150, wie die letzten offiziellen Daten des Landesinstitutes für Statistik aus dem Jahr 2011 lauteten. Das bedeutet etwas mehr als die Hälfte der geschätzten Bevölkerung – eine Zahl, von der man selbst im Bürgermeisteramt ausging.

15,6 Prozent bezeichneten sich als Zigeuner, 5,7 als Roma. Das ergibt 21,3 Prozent – in absoluten Zahlen rund 1200 Personen. 2011 bekannten sich bei der Volkszählung in Gârcini 320 Personen als Roma. Heute geben 77,8 Prozent der Befragten an, Rumänen zu sein, und 0,9 Prozent bezeichnen sich als Ungarn. Erwartet hätte man eine Bestätigung, dass die Zigeuner/Roma die Mehrheit der Bevölkerung in Gârcini stellen. Das wäre vielleicht auch ein stichhaltiges Argument für einen erfolgreichen Förderantrag für EU-Mittel gewesen.

Probleme mit der Roma-Identität

Weshalb stehen die Roma nicht zu ihrer ethnischen Herkunft? Außer der Annahme, dass viele von jenen, die sich selbst als Zigeuner oder Roma bezeichnen würden, eine nachträgliche Diskriminierung befürchten, kommt noch hinzu, dass diese Personen nicht viel an ihre Roma-Herkunft bindet. In einer Studie (Carmen Buzea, Raluca Buzea – „Skizze für ein Gemeindeprofil. Gârcin, Săcele – eine Gemeinschaft mit einer Roma-Mehrheit“) wird mit Aussagen belegt, was viele Roma über sich selbst glauben. Sie sprechen nicht Romanes, sie kennen keine Zigeuner-Traditionen, sie haben keine Tracht, keine Feste und auch keine eigenen Strukturen (wie z. B. einen Bulibascha, d. h. Anführer). Sie sprechen Rumänisch und betrachten sich eher als Rumänen und nicht als etwas anderes.

Gârcini hatte Ende der 1960er Jahre eine Bevölkerung von rund 1000 Einwohnern. Mit dem Bau des Stausees am Tărlung/Tatrang wuchs die Bevölkerung. Nach der Wende hatten viele der Erwerbstätigen mit der Schließung von Electroprecizia Săcele und der Kronstädter Großbetriebe (Tractorul, LKW-Werk, Rulmentul) ihre Arbeitsstellen verloren. Heute beziehen, laut den Befragungsergebnissen, nur 17,3 Prozent der Erwerbsfähigen eine feste Entlohnung, 45 Prozent verweigerten eine Auskunft zu diesem Thema. Tatsache ist, dass in Gârcini viele Familien ihr Einkommen mit dem Sammeln von Alteisen oder dem Verkauf von Brennholz ergänzen, wobei allgemein bekannt ist, dass das ohne Holzdiebstahl aus den Wäldern der Umgebung praktisch nicht möglich ist. Tagelöhner gehen ohne legalen Rahmen diversen Beschäftigungen nach, ohne dass diese einen regelmäßigen Charakter haben. Bettler im nahen Kronstadt kommen wohl auch aus Gârcini. Von jenen, die einen Arbeitsplatz haben, sind viele Mitarbeiter von Müllabfuhrfirmen in Săcele und Kronstadt.

Das Durchschnittsalter in Gârcini liegt bei 22 Jahren, wobei etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung (52,3 Prozent) nicht älter als 17 Jahre ist. Der Anteil der über 60-Jährigen liegt bei 4,5 Prozent. Der Prozentsatz der Ehen ist derselbe wie jener der nichtehelichen Lebensgemeinschaften (30,8 Prozent). 63,4 Prozent der Geburten ereigneten sich, bevor die Mütter volljährig wurden. 66,8 Prozent der Personen aus der Altersgruppe 15-64 Jahre haben höchstens acht Schulklassen absolviert.

Diese Zahlenbeispiele können als Bestätigung gelten für das, was man bisher über Gârcini annahm und was auch die bereits zitierte Studie anführte: eine kinderreiche Bevölkerung, die an der Armutsgrenze lebt (Wohnungen, die mit Holzöfen beheizt werden, ohne fließendes Wasser, viele ohne Stromanschluss, viele aus einem einzigen Zimmer bestehend, WC außerhalb des Hauses), nicht geteerte Straßen, keine Kinderspielplätze usw. Was die Befragungsergebnisse nicht bestätigen, ist die Behauptung, dass viele Roma keinen Ausweis besitzen und dass die Bevölkerung den Impfungen fernbleibt: 93,4 Prozent der über 14-Jährigen haben einen Personalausweis; 91,5 Prozent der Bevölkerung geben an, die Impfungen nicht versäumt zu haben.

Eigene Initiativen fehlen

Bis Ende November solle unter Berücksichtigung der Umfrageergebnisse für das Gârcini-Viertel eine lokale Entwicklungsstrategie erarbeitet werden, gibt der Bürgermeister von Săcele, Virgil Popa, zu Protokoll. Diese soll bei der regionalen Entwicklungsagentur Zentrum (ADR Centru) in Karlsburg/Alba Iulia zusammen mit einem Antrag auf EU-Förderung eingereicht werden. Man hoffe, damit sieben Millionen Euro abzurufen. 70 Prozent davon, so Popa, seien für Infrastrukturarbeiten vorgesehen (Stromversorgung, Kanalisation, Straßenasphaltierung, aber auch der Bau eines ärztlichen Ambulatoriums und einer öffentlichen Badeanstalt). 30 Prozent seien für Unterricht und Bildung eingeplant.

Für GAL Gârcini ist es bei der Erarbeitung dieser Entwicklungsstrategie besonders wichtig, die Bevölkerung dieses Viertels einzubinden. Über das Projekt „Proactivi pentru Gârcini“ wird vor allem versucht, die junge Generation bei der zukünftigen Umgestaltung des Viertels einzubeziehen. Freiwillige wurden gewonnen, sowohl aus dem Viertel selbst als auch aus Săcele, die sich für ein aktives Bürgerbewusstsein einsetzen, die vorzeigen, was und wie sich vieles ins Positive ändert, wenn Verantwortungen übernommen werden. Es geht z. B. um Aktionen zur Säuberung der Straßen, um Workshops, um Förderung von eigenen Initiativen. Das eigene Viertel sollte als das Zuhause der Gemeinschaft angesehen werden, für die es eine bessere Zukunft geben kann – also eine proaktive Haltung, ein Loslösen von der Mentalität eines Sozialhilfe-Empfängers, der ausschließlich auf Hilfe von den Behörden angewiesen ist. Die Initiative zur Änderung der Zustände müsse laut GAL Gârcini jedoch von den Betroffenen selbst ausgehen, wobei selbstverständlich Unterstützung von anderen Stellen (Bürgermeisteramt, NGOs, Staat, EU) nicht ausbleiben soll. Wenn man das erreichen könne, dann sei die Wirkung: „Hoffnung für die Eltern, Vertrauen seitens der Behörden, Mut für die Einwohner und Anerkennung seitens der Gemeinschaft“, heißt es auf der Homepage der Kampagne (www. garcini.ro).