Bildungskrise radikalisiert den Islam

Eine aktuelle Darstellung beleuchtet den Islam ohne Verharmlosung und Generalkritik

Michael Blume: Islam in der Krise. Eine Weltreligion zwischen Radikalisierung und stillem Rückzug; Ostfildern: Patmos Verlag, 3. Aufl. 2017, 192 S., ISBN 978-3-8436-0956-2, 19,00 Euro

Der Islam scheint weltweit selbstbewusst zu expandieren. Das Terrorregime des sogenannten „Islamischen Staates“ in Syrien und im Irak in den letzten Jahren war todbringend für die traditionsreichen christlichen Völker und Kulturen des Nahen Ostens. Weltweite Terroranschläge islamistischer Gruppen und Einzeltäter versetzen die Welt seit Jahren in Angst und Schrecken – in diesem Jahr mit einem traurigen Höhepunkt am Ostersonntag in Sri Lanka. Selbst das rechter oder christlich-fundamentalistischer Gesinnung unverdächtige Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ warnte schon 2007 in der Titelstory „Mekka Deutschland. Die stille Islamisierung“ mit einem Bild des islamischen Halbmonds über dem Brandenburger Tor vor einer schleichenden Islamisierung Deutschlands (Nr. 13/2007). Das war freilich zu einer Zeit, als eine kritische Auseinandersetzung mit dem Islam noch möglich war, ohne dafür sofort als islamophob und rechtspopulistisch diffamiert zu werden. Organisationen wie „Kirche in Not“ und „Open Doors“ weisen zudem nach, dass das Christentum derzeit die am meisten verfolgte Religion weltweit darstellt.


Die Beschäftigung mit dem Islam ist dringend geboten. Das vorliegende Buch des Religionswissenschaftlers Michael Blume bietet hierzu wichtige Grundlageninformationen:
Blume erklärt das Szenario der Gegenwart als Symptom einer weltweit tiefen Krise des Islams. Er zeigt, dass nicht einmal mehr klar ist, wie viele Muslime es weltweit überhaupt gibt. In Zeiten von Internet und sozialen Netzwerken verlören muslimische Staaten und Religionsführer zunehmend die Kontrolle über ihre Völker und Gläubigen, sie seien nicht mehr unumschränkt anerkannt. Der mit einer Muslimin verheiratete Buchautor schreibt von einem „stillen Rückzug der Muslime aus dem Islam.“ Umso mehr versuche man die Kontrolle mit Gewalt und Verschwörungstheorien aufrechtzuerhalten.


Blume verweist auf Säkularisierungstendenzen und einen massiven Geburtenrückgang in islamischen Ländern, liefert aber keine Statistiken, die dies belegen. Viele Muslime wendeten sich ab von ihrer Religion, die sie als belastend und gewaltbereit wahrnähmen. Das stärke umso mehr radikale Kräfte. Der Autor benennt, was den Islam in Krisen und Kriege stürzen ließ. Nach seiner Hauptthese liegt dies alles in einer massiven Bildungskrise begründet durch das (lange gültige) Verbot des Buchdrucks in der islamischen Welt ab 1485.


Auch wenn sich diese These wie ein roter Faden durch das gesamte Buch zieht, so ist sie doch auch einseitig und monokausal. Denn anders als das Christentum mit der Bergpredigt, dem grundsätzlichen Gebot der Feindesliebe und dem Neuen Testament lässt sich der Koran eben durchaus legitim als gewaltverherrlichend interpretieren, was Imame und Religionsführer auch regelmäßig tun. Über dieses grundsätzliche Gewaltpotenzial des Islams diskutieren islamische Gelehrte – anders als deutsche Intellektuelle und Publizisten – , wo dies möglich ist, sehr offen. Blume zitiert auch muslimische Stimmen gegen die Verharmlosung der Gewaltbereitschaft des Islams.


Der Verfasser hat mit vielen seiner Analysen fraglos recht. Faktisch halten sich zahlreiche arabisch-islamische Staaten nur durch den Ölverkauf am Leben, es fehlt jede zivile Staatsidee oder Identifikation mit dem Staat. Es gibt keine Trennung zwischen Staat und Islam. Das ersticke dem Verfasser zufolge jede demokratische Entwicklung. Zahlreiche Muslime übernähmen indes Verschwörungsmythen und würden sich als Opfer einer westlich antiislamischen Konspiration sehen. Das wiederum fördere die Bereitschaft zum Terrorismus.


Der Autor verweist– vor allem auch gegen manche westliche Naivität – auf „die grundlegenden Unterschiede der Zugehörigkeitstraditionen beim Christentum (durch Entscheidung) und beim Islam (durch Geburt)“ (S. 140). Er warnt: „Ein Islam, der von den vernünftigen, aber ‚stillen‘ Mehrheiten, den wenigen, aber lautstarken Fundamentalisten und Extremisten überlassen würde, hätte mittelfristig keine Zukunft.“ (S. 152) Für ihn gleicht der Islam „einem Schwerkranken, der vor Verzweiflung und Schmerz um sich schlägt“ (S. 8). Er zeigt aber auch, wie etwa saudi-arabische Schulbücher Juden und Christen als Affen und Schweine diffamieren, wobei es sich dabei bereits um nach den Terrorangriffen vom 11. September 2001 „entschärfte“ Bücher handelt (Zitate vgl. S. 105). Schulische und akademische Bildung im westlichen Sinne stehe grundsätzlich unter Verschwörungsverdacht, und das nicht nur bei der Terroreinheit „Boko Haram“ (auf deutsch „Westliche Bildung ist Sünde“).


Dem Buch kommt das große Verdienst zu, trotz mancher monokausaler Vereinfachung der Ursachen, die islamische Wirklichkeit und auch latente Gewaltbereitschaft sowie das Problem muslimischer Staaten und Gruppen mit Demokratie, Menschenrechten und Religionsfreiheit bis hin zur Todesgefahr beim Übertritt vom Islam zum Christentum in islamischen Ländern schonungslos und damit für heutige Verhältnisse politisch unkorrekt anzusprechen. Das schärft gerade angesichts mancher Diskussionstabus und der Naivität in der deutschen Politik und den deutschen Medien den Blick für dieses Thema. Gleichzeitig wird der Islam hier nicht grundsätzlich abgelehnt, sondern deutlich differenziert zwischen radikalen und nicht-radikalen Muslimen. So bietet er eine Sicht auf den Islam ohne unkritische Idealisierung als bloße bunte Bereicherung westlicher Kulturen (mit denen sich der Islam in Reinform als unvereinbar versteht), wie auch ohne Generalverriss. Das ist informativ und lesenswert.


Im Hinblick auf Südosteuropa bleibt der Band freilich unbefriedigend. Denn gerade die historisch wie aktuell interessanten und höchst unterschiedlichen islamischen Lebenswelten zwischen Bosnien und den anderen Nachfolgestaaten Jugoslawiens, Rumänien und Bulgarien kommen in Blumes Darstellung schlicht nicht vor. Das ist überaus bedauerlich und ein echtes Defizit des Werkes. Lassen sich doch hier zwischen der äußerst gelungenen Integration der Muslime in der rumänischen Dobrudscha und dem nach wie vor fragilen Zusammenleben zwischen den Volksgruppen und Religionen in Ex-Jugoslawien aufschlussreiche Vergleiche und Schlüsse ziehen, die eine andere Folie der Wahrnehmung anbieten, als die Optik der traditionellen arabisch-islamischen Welt und des Diaspora-Islams in Europa heute. Das wäre aber gerade für die Diskussion in Europa durchaus relevant und hätte auch in diesem Buch Beachtung verdient.