„Call me Baby“

Symbolgrafik: pixabay.com

Bei Kleinkindern ist das ja süß, wenn auf dem Strampler „Mamas Liebling“ steht, oder „Papa, du schaffst das!“, während die mit „Arm“, „Kopf“ und „Bein“ beschrifteten Pfeile auf die entsprechenden Löcher verweisen. Warum aber tragen Erwachsene Kleider mit Aufschrift?

Aus Stolz, zum Beispiel: Das Sweatshirt mit „Memphis State University 1985“ vorne drauf – immerhin in Amerika studiert, das muss man doch zeigen! Oder bloß vom großen Bruder geerbt? Dann vielleicht aus Loyalität: Wo sonst kann man den Lieblingsfußballverein am besten zur Schau tragen, wenn nicht auf dem baumwollbespannten Bauchgewölbe? Vielleicht auch aus rein praktischen Gründen, wie bei einem Paar auf dem Münchner Oktoberfest gesehen: bei ihr stand einfach „Christine“ auf dem Rücken, bei ihm „Falls ich zu betrunken bin, bringt mich zu Christine“. Auch das „Leave me alone“ (lass mich allein)-T-Shirt mit dem gelben Riesen-Smiley, der nicht smilte, sondern mit heruntergezogenen Augenbrauen geradezu gefährlich böse dreinblickte, kaufte ich an einem Kiosk in den USA wegen genau dieser Aussage: Mir ging es auf die Nerven, als allein reisende, damals junge Frau dauernd angebaggert zu werden. Der Schuss ging nach hinten los: Das witzige Kleidungsstück lieferte gerade dafür Grund! Amerikaner sind eben sehr kontaktfreudig. Und pflegen eine ausgeprägte T-Shirt-Aufschrift-Kultur

. Kaum jemand, der sich ohne persönliches Bekenntnis auf Brust, Bauch oder Rücken auf die Straße wagt. Da erfährt dann man das Abitur-Abschlussjahr oder den Arbeitsplatz, von der Teilnahme am Space Camp oder der Mitgliedschaft im Box-Club Haumichblau, Vienna, Mississippi (ein ganz kleines Kaff), mit allen Sponsoren auf dem Rücken: dem Pizzaservice, dem Mechaniker, dem Optiker. Mein Mann fragte sich einmal, wieso auf seinem (geschenkten) Schlaf-T-Shirt ausgerechnet „Morgen“ steht – „mâine“ auf Rumänisch –, wenn auch ohne das diakritische Zeichen. Entsprechend vorbelastet, klärte ich ihn auf: Wahrscheinlich heißt es „Maine“ und gibt damit zu verstehen, dass es eine weite Reise hinter sich hat, von seinem patriotischen Erstbesitzer aus dem gleichnamigen US-Bundesstaat bis zu uns, dem Enduser in Ilfov. Egal, zum Schlafen ist „Maine“ so gut wie „Ilfov“ und einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Doch der rumänische Forstarbeiter, auf dessen Trainingsjacke „Frauenfußballverein Gütersloh“ stand, darunter eine 12 und ganz groß „Margot“, hätte dies besser getan! Nur schwer widersteht man der Versuchung, ihn feixend aufzuklären...

Im Donaudelta begegnete ich einmal einem Mann, dessen stattliche Wampe in roten Lettern „Shut up and fish“ (halt's Maul und fische) zierte. Seine ganz persönliche Lebensphilosophie? Der Bauch kam bestimmt nicht vom Fisch – es sei denn, Kugelfisch. Oder auch aus der Kleiderspende? Und wie verhält es sich mit der Verkäuferin am Flughafen, auf deren Speckröllchen in goldenen Lettern auf schwarzem Grund prangte: „I'm so sexy“? Man(n) wäre sonst nicht auf die Idee gekommen.
Ganz anders im Falle der nicht mehr ganz jungen, doch durchaus ansehnlichen blonden Frau, die in Bukarest den Zebrastreifen querte: „CUTIE“ stand da in Brusthöhe auf dem hautengen rosa Hemdchen – „Schachtel“ auf Rumänisch! Oops? Wer trägt denn so was? Dann dämmerte es mir – falscher Sprachraum! Es soll wohl „cutie“ heißen – auf Englisch „Süße“.

Kleideraufschriften waren eigentlich nie so mein Ding. Warum sollte man so offen aller Welt etwas mitteilen?

Letzten Sommer brachte mir meine Schwägerin eine Tasche voll Klamotten mit, super chic und kaum getragen. Nachdem all die Blüschen und Tops begutachtet und verstaut waren, zog ich das allerletzte hervor, hauchzart, mit pastellfarbenem Rosenmotiv, eindeutig mein Favorit! Nur, dass da auf der Brust stand: „I love it...“. Naja, damit kann ich leben. Erst als ich die Brille auf hatte, entdeckte ich, dass es darunter in kleineren Lettern weiterging: „...when you call me Baby!“

Das schränkte die Verwendungsbreite dieses zauberhaften Gebildes schlagartig ganz enorm ein! Streng genommen kann man es nur noch zur Gartenarbeit tragen. Falls mich irgendjemand, irgendwann trotzdem mal damit sehen sollte, sei er gewarnt: Wehe!