Chaos und Demokratie

Angenommen, die von Präsident Johannis mit der Regierungsbildung betraute PNL stolpert zweimal über das Investiturvotum des Parlaments. Oder der Boykott der PSD funktioniert, die durch Fernbleiben von der Parlamentstagung ein fehlendes Quorum provozieren kann. Dann bestünde praktisch die Möglichkeit, dass der neue Präsident Rumäniens (egal, wer es wird), der am 21. Dezember den Amtseid ablegt, am 22. Dezember das Parlament auflösen kann, weil es zweimal in Folge der Bildung einer neuen Regierung nicht zugestimmt hat. Das heißt Neuwahlen.

Dann hätten wir am 1. März, nach einer 30-tägigen Wahlkampagne, Neuwahlen. Das Datum ist praktisch: Es ist ein Sonntag. Sollte also Ludovic Orban zweimal scheitern mit der parlamentarischen Autorisierung seiner Regierung, könnten wir im kommenden Frühjahr, theoretisch – NUR theoretisch – eine neue politische Konfiguration an der Macht haben. Doch das passt wohl keinem der Parlamentarier, die gegenwärtig die Stühle im Parlament wetzen. Es passt keinem, denn ein unvollständiges Mandat heißt für sie persönlicher Geldverlust. Unvollständiges Mandat, Urlaubsgeld Januar, Bezüge Dezember 2019... 

Der Abbruch des laufenden Mandats passt auch den Parteien nicht, aus unterschiedlichen Gründen. Die PSD hat keine Chance, bis Anfang kommenden Jahres ihre Krise zu überwinden; die USR/PLUS kann so schnell keine Organisationsbasis aufbauen, die ihr reelle Chancen bei den Kommunalwahlen verschafft (außerdem zeigt sie sich außerstande, die gegenwärtigen inneren Kämpfe, die sie schädigen, in den Griff zu kriegen); die PNL dürfte nach dem sich abzeichnenden Scheitern der ersten Phase der Regierungsbildung an Glaubwürdigkeit verlieren (Ähnliches haben wir vor fünf Jahren nach dem Johannis-Sieg bei der PNL erlebt, die aus politischem Ungeschick in den Umfragen absackte); Pro România von Joker Ponta dürfte bis Winterende ungenügend Überläufer gesammelt haben, um als schwergewichtige Partei die politische Bühne zu beherrschen.

Wir befinden uns in einer Phase, wo der Wähler nichts tun kann, als grummelnd das Wurschteln der Politiker zu beobachten. Uns Wählern sind Hände und Füße gebunden. Da tut auch der Präsidentschaftswahlkampf nichts zur Sache. Die gestürzte Dăncilă-Regierung kann nicht gestoppt werden, ihre finanziellen Purzelbäume zu schlagen, um alle für sich mit Geldsegen einzunehmen – erst vergangene Woche hat sie wieder eine Esel-streck-dich-Ausschüttung angekündigt (den Knüppel-aus-dem-Sack der Rückzahlung des geliehenen Geldes sollen andere hervorzaubern!). 

Praktisch – oder doch eher theoretisch? – besteht natürlich auch die Möglichkeit, dass die Parteien, die sich zum Sturz der PSD-Regierung zusammenfanden, sich letztendlich doch noch zur Bildung einer Koalitionsregierung zusammenraufen. Überdenkt man aber, wie langwierig es war, ein gemeinsames Anti-Votum fertigzubringen, wird einem bewusst, dass es für ein Pro-Votum noch schwieriger werden könnte. Das ist menschlich, allzu menschlich.

So bleibt dem Beobachtenden der Eindruck, dass sämtliche Parlamentarier als Hauptbeschäftigung dem Schinden von Zeit frönen. Und werden dann von den Herren Parlamentariern zwei Regierungen nicht akzeptiert, dann soll´s halt in Gottes Namen trotz allem vorgezogene Wahlen geben! Die Situation ist am treffendsten im „Verlorenen Brief“ des unsterblichen Caragiale beschrieben, dessen Dandanache, der „seit ´48“ im Parlament saß, plötzlich die Tatsache beweint, dass er so, von heut auf morgen, ohne seine „Kollegen“ bleibt, ohne die lieben „coledzi“, wo er doch „in allen Kammern, mit allen Parteien, wie jeder unparteiische Rumäne“ immer dabei war... 
In diesem Chaos denkt niemand daran, dass nur noch rund sieben Wochen bleiben bis zum 30-jährigen Jubiläum der Wende in Rumänien. Ist nun politisches Chaos der Ausdruck jener Demokratie, die mit Opfern errungen wurde?