Chronistin der Vergangenheit und Kommentatorin des Zeitgeschehens

Bildband „Siebenbürgische Fetzenbilder“ von Lilian Theil im Schiller Verlag erschienen

„Siebenbürgische Fetzenbilder von Lilian Theil“, Schiller Verlag Bonn-Hermannstadt 2018, ISBN: 9783946954095

Das schön gestaltete, großformatige Kunstbuch zu den von Lilian Theil geschaffenen Stoff-Collagen, den „ Siebenbürgischen Fetzenbildern“, wurde jüngst im Schiller Verlag herausgebracht. Im Wesentlichen beruht es auf dem Anfang 2013 in kleiner Auflage publizierten „Bilderbuch für Greise“, in dem, so wie in der jetzigen Neuauflage, den Bildern die Dialoge zwischen Josef und Josefine zur Seite gestellt wurden. (wir berichteten: „Mit Fetzen und Faden dargestellt“, Hannelore Baier, ADZ, 1. April 2013)

„… tatsächlich muss der Betrachter wenigstens eine Ahnung davon haben, was der ‚Hersteller‘ sich dabei gedacht hat, sonst hat er ja gar nichts davon!“, erklärt Josefine dem etwas ratlosen Josef (S. 18). Auch wenn es sich bei den von Lilian Theil verfassten Dialogen um reine Fiktion handelt, ist unschwer zu erkennen, dass sie sich von Gesprächen mit ihrem im Winter 2013 verstorbenen Mann, dem bekannten Schäßburger Neurologen Josef Theil, inspirieren ließ. Ihrem Ehemann sind der letzte, jüngst entstandene Monolog „… und jetzt bist du tot“ und die dazugehörigen eindrucksvollen Fetzenbilder gewidmet.

„Starke Farben bedeuten ja nicht, dass es ‘schön’ ist, was sie uns zeigen“ (S.9), erläutert Josefine denn auch direkt im ersten Dialog über das Bild „Das 20. Jahrhundert“ ihrem Josef. Vielmehr sei es die Intensität des Erlebten während der schlimmen Jahre im Kriege und danach, die sich eingebrannt hätten und nun durch leuchtend intensive Farben wiedergegeben würden. Die dumpfe Zeit des Kommunismus wird in einem weiteren Bild gleichen Titels von Grautönen dominiert.

Um eben diese Phase des Stillstands abzuschütteln, begann Lilian Theil nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft im fortgeschrittenen Alter von 68 Jahren, sich dieser besonderen Kunstform zuzuwenden. Ihr Kunststudium in Bukarest am Nicolae-Grigorescu-Institut hatte sie einst aus politischen Gründen nach kurzer Zeit abbrechen müssen. Erst jetzt, die Söhne erwachsen, motiviert durch die neue Zeit, wendet sie sich ihrer Leidenschaft für Tapisserien zu. Und wohl ebenso bedeutsam ist ihr die Feststellung, dass sie kein „Freund der Wegwerfgesellschaft sei“, gerne aus alten weggeworfenen Stoffresten Neues entstehen lässt. Meist sammelt sie selbst oder besorgt Stoffreste, die dann auf eine Leinwand appliziert werden.

Am Entwurf und der Umsetzung mit Nadel und Faden sitzt sie oft monatelang. Aber mitunter nötigt sie auch freundlich-charmant einen der mittlerweile zahlreichen Besucher aus nah und fern, die ihr Atelier in Schäßburg besuchen, ihr ein interessantes Kleidungsstück zu „spenden“, wie Anselm Roth in der Einleitung des Buches süffisant anmerkt. Denn mittlerweile ist ihre Kunst weithin bekannt, durch erfolgreiche Ausstellungen in Deutschland und Rumänien.

Die mitunter recht großformatigen Stoff-Collagen – bis zu zwei Quadratmeter groß – entstehen Stück für Stück. Die Textur der Stoffe, die Farben, aber auch die konturgebende, detailreiche Stickerei geben den Tapisserien ihre einzigartige Wirkung. Ob Blumenbilder, Landschaften oder Szenen, die von treffend charakterisierten Personen bevölkert werden – dies sind keine dekorativen Bilder, keine nur fröhlich naive Kunst, auch wenn stilistisch die Anlehnung an diese dörflich balkanische Stilrichtung unverkennbar ist. Einige, wie die oben erwähnten Werke aus dem Zyklus „Das 20. Jahrhundert“, aber auch „Geschichte des Kommunismus“ oder „Deportation 1945“ erinnern in ihrem chronologischen Charakter an historische Tapisserien wie den Teppich von Bayeux.

Andere Collagen kreisen um persönliche Erfahrungen und Überlegungen, wie „Szenen einer Ehe“, „Mütter“ oder „Familienstreitigkeiten“, dies – und das wird in den entsprechenden Dialogen auch ausgeführt – aus der Perspektive des Alters. Auch wenn diese Perspektive nicht unbedingt an eine altersmilde Haltung gekoppelt ist. Differenziert und durchaus selbstkritisch fallen ihre Beobachtungen zum Zeitgeschehen aus in Werken wie „So sind wir jetzt“, „Der Unterschied“ oder „Rockkonzert“. In Bild und Wort konfrontiert sie das Vergangene mit dem Heute, reflektiert über eine übersteigerte Erwartungshaltung, über Fluch und Segen des Konsums, oder versucht der Bedeutung des aggressiv wirkenden Gebarens in der modernen Kultur auf die Schliche zu kommen. Nicht immer ist der Zusammenhang zwischen Text und Darstellung offenkundig. So überrascht die Gegenüberstellung von rosa (Lotus?)-Blumen auf himmelblauem Grund mit dem Textauszug aus der „Bhagavad Gita, dem Gesang des Erhabenen“ und zu „Der andere Schrei“ und „Engel, die auch treten können“ gibt es einen amüsant-nachdenklichen Disput über die „richtige“ Erinnerung an ein erstes Rendezvous. Natürlich beschäftigt sich Lilian Theil auch mit dem großen Thema, „Dem Exodus der Sachsen“. Die Collage „Der Abschied“, die ein verlassenes sächsisches Dorf zeigt, in dem nur noch eine Greisin ausharrt, hat sie schon oft, individuell angepasst an die Bedürfnisse der verschiedenen Auftraggeber, ausführen müssen. Dem gegenüber steht das Jahre später angefertigte Bild der „Sommersachsen“, das auch das Cover des Umschlags schmückt. Leise Ironie oder Hoffnungsschimmer? Im Text fällt das Urteil dazu eher günstig aus. Wenn auch anders als gedacht, das Leben geht weiter.

Zwischen Tradition und Moderne gibt Lilian Theil ihren „Fetzenbildern“ eine ganz individuelle Note, wobei man jedoch nicht umhinkommt, sich die Originale auch einmal in natura ansehen zu wollen.