Das Galactic Gym – Klettern in Rumänien

Die Berge sind Cornel Sains Zuhause – das Klettern seine Lebenseinstellung

Die Routen werden von Cornel und seinen Freunden konstruiert.
Foto: Cornel Sain

Für Cornel Sain bedeutet Klettern alles.
Foto: Teo Crăciunescu

Beim Felsklettern müssen Tritte und Griffe erst gefunden werden.
Foto: Cristina Grecu

Train hard - train smart: Im Hintergrund die Griffbrettleiter
Foto: Cornel Sain

Sonnenstrahlen wärmen den Rücken und zugleich wird er von einer leichten Brise gekühlt. Die Blätter rascheln durch den Windhauch, die Vögel zwitschern. Ein perfekter Tag in den Bergen. Der Körper schmiegt sich an die noch kalte Felswand. Es geht über 50 Meter steil bergab. Die Fußspitzen stehen auf kleinen Felsausbuchtungen, die Hände halten sich an Leisten. Der nächste Griff muss genau anvisiert werden, der Zug muss sitzen – sonst fällt man. Koordination, Konzentration und Körperspannung sind der Ersatz für Spidermans klebrige Spinnennetze. Die Absicherung ein Seil und am Fels befestigte Exen. Wer beim Klettern vorsteigt, muss mit einem Sturz rechnen. Wieso man mit dem mulmigen Gefühl lebt? Es ist die Freude an ungewöhnlichen Bewegungen, an körperlichen Herausforderungen, das Spüren jeder einzelnen Muskelfaser und deren Zusammenspiel und natürlich das Verlangen die Spitze zu erreichen. Der Weg ist Ziel.

Kletterer oder Freak?

Rumänien bietet in den Karpaten eine unglaubliche Vielfalt an Klettermöglichkeiten. Trotzdem ist Klettern  hier eher eine Nischensportart. „Der Großteil der Bevölkerung hält uns für verrückt,“ erzählt Cornel Sain, Inhaber der Kletterhalle „Galactic Gym“ in Bukarest: „Die Leute wissen nichts über die Sportart, weil Klettern für die Massenmedien nicht interessant ist. In anderen Ländern gibt es zwar nicht oft, aber manchmal richtige Filme über Klettern in den Kinos. Darin wird den Leuten die Spiritualität der Sportart näher gebracht.“ In vielen Ländern hat sich dabei inzwischen eine gewisse Vorstiegsmoral etabliert. Nach dem Motto: Wenn du nicht stürzt, dann kletterst du nicht. In Rumänien wird das lockerer gesehen. Topropen, also klettern an einem Seil, das schon über einen Umlenker eingehängt ist und somit von oben kommt, wird als normal angesehen. „Jeder muss eben für sich entscheiden, ob er an seinem Limit klettern und Angst haben oder einfach nur klettern will“, meint Cornel.

Trotz der somit minimierten Gefahren, umgibt das Klettern in Rumänien noch eine gewisse unantastbare Aura. Zwar probieren inzwischen viele die Sportart aus, allerdings wird man immer noch schief angesehen, wenn man vom Klettern schwärmt. Das Gefühl, dass Kletterer in einer anderen Welt leben, bestätigt sich, wenn man zum Galactic Gym geht. Die Kletterhalle ist in einer größeren Sporthalle untergebracht. Das heißt, wenn man zur Halle will, läuft man an der Glasfront eines Fitnessstudios vorbei und sieht Leute radeln, Gewichte stemmen oder auf dem Laufband, nur um Sekunden später die quietschende Tür zur Kletterhalle zu öffnen. Musik schlägt einem entgegen, man hört Leute lachen und sich gegenseitig Kommandos zurufen. Es ist laut, bunt und man fühlt sich willkommen.

Jeder kann Spaß am Klettern haben, wenn er sich gerne zusammen mit Freunden bewegt. Denn das ist der Sinn der Sportart: Freude an ungewöhnlichen Bewegungen. Für ein paar wenige ist es aber noch mehr, für sie ist es eine Lebenseinstellung. So etwa für Cornel. Was für ihn Klettern bedeutet? Die Antwort ist schlicht: „Alles.“ Nach ein paar Sekunden nachdenken, erzählt er: „Alles, was ich erreicht habe und was gut ist in meinem Leben, steht in irgendeiner Weise mit Klettern und den Bergen in Verbindung. Selbst meine Arbeitsstelle in den USA, wo ich eine Zeit lang gelebt habe, bekam ich, weil ich klettere. Die Voraussetzung war auf einem hohen Turm ohne Angst zu arbeiten – für mich kein Problem.“ Für Cornel ist Sportklettern das Werkzeug, seine Kletterfähigkeiten in den Bergen zu verbessern und die Kletterhalle „Galactic Gym“, die am sechsten Juli ihr zehnjähriges Jubiläum feiert, ist der dafür vorgesehene Werkzeugkasten.

Vom Traum zur Realität

„Angefangen hat alles mit einem verrückten Traum“, berichtet Cornel. „Selbst mein Expartner hat nicht an das Projekt geglaubt, weil es nichts mit dem eigentlichen Sport zu tun hat: Berge. Aber ich war überzeugt davon, dass es ein Boom wird. Aber in jedes Geschäft muss eben auch erstmal eigenes Kapital investiert werden. Fragt man andere Unternehmer, ob sie das Projekt unterstützen wollen – keine Chance. Versucht man, Geld von der europäischen Gemeinschaft für den Aufbau zu bekommen – keine Chance. Der Bau, die Montage – alles wurde mit privaten Geldern finanziert. Das Problem war, dass es nicht vorgesehen war, dies über einen so langen Zeitraum zu tun. Erst vor ungefähr dreieinhalb Jahren wurde die Kletterhalle wirklich zu einem Business. Das heißt rund sechs Jahre nur Arbeit, kein Einkommen und kein Erfolgserlebnis.

Würde man mich fragen, ob ich es noch einmal machen würde, die Antwort wäre vermutlich ‘Nein’.“ Man kann froh sein, dass Cornel sich nicht mehr umentscheiden kann, denn das Galactic Gym war die erste reine Kletterhalle und ist immer noch die größte Rumäniens. Im Sommer 2013 zog das Gym in größere Räumlichkeiten und bietet so nun für die Anfänger bis hin zu den Profis individuelle Möglichkeiten, die eigenen körperlichen Grenzen nach oben zu verschieben. „Es war zwar eine Monsteraufgabe, die alte Halle abzubauen, sie in die neue zu bringen und wieder aufzubauen. Aber es war die richtige Entscheidung“, beteuert Cornel: „Das neue Gym ist um einiges größer und gemütlicher.“

Seine Ideale hat Cornel damit verwirklicht. „Mein Traum war es, einen Ort zu schaffen, wohin jeder kommen kann, der sauber und wo die Luft frisch ist, wo gute Musik läuft und die Atmosphäre entspannt ist – kurzum: Ein Ort, der alles hat, was ein Kletterer braucht. Und das habe ich erreicht,“ erzählt er stolz. Dieses Selbstbewusstsein besitzt Cornel zu Recht. In der Halle gibt es eine vertikale Wand zum Topropen, eine überhängende, die in ein Dach übergeht, einen Boulderbereich und eine Art Leiter aus Griffbrettern, mit denen man besonders hart trainieren kann. Letzteres ist in der Welt einzigartig und ruft jedes Mal bei ausländischen Kletterern Staunen hervor. Es wurde von einem Freund Cornels entwickelt und konstruiert. Das System besteht aus fünfzehn Griffbrettern, die übereinander geschraubt sind und an denen man sich mit einer Sicherung empor hangeln kann. Nach dem dritten Griffbrett blickt einem ein trauriger Smiley an. Erst ab dem zehnten beginnt er zu lachen. Hart trainieren ist also nicht untertrieben.

Die Kletterhalle ist das Resultat der Wünsche und Vorstellungen der Kletterergemeinschaft. „Man muss mit den Kletterern in Kontakt sein, sonst hat man verloren“, so Cornel: „Wenn die Kunden sehen, dass man etwas tut, um die Qualität und den Service zu verbessern, dann schätzt das die Mehrheit der Kletterer. Als nächstes werde ich eine neue Wand bauen. Ich habe gestern damit begonnen, Pläne und Kalkulationen aufzustellen.“ Cornel ist zuversichtlich. In zwei Monaten soll die Kletterwand fertig sein. „Wenn ich etwas anfange, dann bringe ich das auch schnell zu Ende.“ Trotzdem ist die Konkurrenz zu den anderen Kletterhallen groß. Je mehr es gibt, desto stärker verteilen sich die Kletterer auch. Viele wissen gar nicht, dass es die Halle gibt. „Erst letztens waren zwei Mädchen da, die überrascht waren, dass es so eine große Halle hier in Bukarest gibt. Ich kann das Gym nicht zu den Leuten bringen, sie müssen schon herkommen. Wenigstens anschauen könnten sie es sich. Die meisten, die einmal kamen, bleiben.“

„Man passt aufeinander auf“

Dazu trägt vor allem die Atmosphäre im Galactic Gym bei. Die Kletterer sind offen und hilfsbereit. Nach einer Woche in der Halle  kennt man schon die meisten Gesichter. Braucht man einen Kletterpartner, dann findet sich hier bestimmt einer – wenigstens für ein paar Routen. Aber das ist auch ein allgemeines Phänomen, das mit dieser Sportart zusammenhängt. Man hat eine Gemeinsamkeit – eine gemeinsame Liebe zu den Bergen, zu dem Bedürfnis, an seine körperlichen Grenzen zu stoßen. Das verbindet – gerade, wenn die Kletterszene nicht besonders groß ist und man von außen als „verrückt“ angesehen wird. „Wir sind eine kleine Gemeinschaft, deshalb müssen wir einander helfen – am nächsten Tag könnte man schließlich selbst alleine sein“, sagt Cornel.

Für Cornels Regeln hat Sicherheit oberste Priorität. Begeht jemand einen Sicherungsfehler, dann werden die Betroffenen darauf aufmerksam gemacht, aller-dings oft nicht sehr freundlich. „Ich möchte keinen Unfall riskieren und das sollen die Kletterer respektieren. Ich habe eine viertel Million Euro in diese Halle investiert. Ein Kunde bringt mir 30 Euro im Monat ein. Deshalb frage ich sie, ob sie glauben, dass ihre 30 Euro es wert sind, mein Geschäft zu riskieren? Dadurch habe ich natürlich auch schon viele Kunden verloren, die dann in andere Hallen gehen und dort machen, was sie wollen. Das passiert. Die Regeln sind eben die Regeln und Sicherheit geht vor. In den zehn Jahren gab es im Galactic Gym keinen einzigen schwerwiegenden Unfall. Was vorkommen kann, sind verstauchte Beine oder Finger, allerdings war das immer der Fehler der Kletterer, nicht der Halle.“ Kein Wunder, dass Cornel auf das Galactic Gym stolz ist. Er hat viel Arbeit, Energie und Herzblut hineingesteckt, um die Halle zu einem Ort zu machen, wo jeder willkommen ist, wo aufeinander geachtet wird und wo Freundschaften entstehen.