„Das ganze Land ist ein Friedhof!“

Marius Oprea gräbt weiter nach Opfern von Securitate-Verbrechen

Historiker Marius Oprea (rechts) und Regisseur Nicolae M²rgineanu diskutieren nach der Vorführung des Films „Vier Arten zu sterben” im Kulturhaus „Friedrich Schiller”.
Foto: George Dumitriu

Mit weißen Handschuhen hält er den Schädel hoch, wie eine Trophäre. Wurzeln hängen aus leeren Augenhöhlen, Erde bröckelt herab. Die Umstehenden schnattern aufgeregt durcheinander. Eine Frau beginnt zu weinen: Tränen der Erleichterung! In „Der Knochenjäger“ (ADZ, 18. Juni 2016) wurde die Suche des Historikers Marius Oprea nach den „Leichen im Keller des Kommunismus“, anonym verscharrt im ganzen Land, bereits ausführlich beschrieben. Grundlage war der Film “Der Securistenjäger”, in dem der Gründer des Instituts zur Aufklärung von Verbrechen des Kommunismus selbst die Hauptrolle spielt, aufgeführt im Kulturhaus „Friedrich Schiller” im Rahmen des Konferenzyklus „Auf der Suche nach dem verlorenen Volk”. Am 10. November fand nun die zweite Veranstaltung aus dieser Reihe statt: Gezeigt wurde diesmal der Film „Patru feluri de a muri” (Vier Arten des Sterbens) von Nicolae Mărgineanu, in dessen Mittelpunkt ebenfalls die Suche nach den Opfern der Securitate steht. Anschließend beantworteten Marius Oprea und der Regisseur Fragen des Publikums.
 

Wenn Knochen sprechen

Um die Todesurteile ohne Gerichtsverhandlung zu vertuschen, wurden die Leichen der Opfer anonym im Wald verscharrt: „In jedem Dorf gab es ein bis drei solche Fälle”, schätzt Oprea das Ausmaß der Morde. Dass die einzige Chance in seiner schwierigen Mission darin besteht, nach den Leichen zu fahnden, wurde ihm klar, als er auf der Suche nach Dokumenten für seine Dissertation von jemandem in den Archiven spöttisch gefragt wurde: „Sie wollen dem Kommunismus den Prozess machen? Wie heißt er denn, wo wohnt er, wie alt ist er?“ Wer Täter enttarnen und verurteilen will, braucht zuerst einmal Opfer, wurde er ironisierend belehrt. Wo keine Leiche, da kein Verbrechen!
Dass Tote beredte Zeugen sein können, hat Oprea seither in zahlreichen gelösten Fällen bewiesen. Die entkalkten Knochen der Häftlinge in Periprava – sie erzählen von einem grausamen Hungertod. Die zahlreichen Einschusslöcher im Bein von Simion Mureşan – sie verraten, dass dieser nicht, wie im Bericht der Securisten festgehalten, auf der Flucht erschossen wurde, sondern aus unmittelbarer Nähe von Maschinengewehrsalven niedergemäht. „Gehen Sie schon mal voraus”, hat man dem ahnungslosen Opfer auf dem einsamen Waldweg wohl gesagt...

Marta, die Tochter des Ermordeten Dumitru Toader, erzählt am Rand der Grube, in der soeben ein Skelett freigelegt wird, wie der Vater bei Nacht und Nebel damals aus dem Bett geholt wurde. „Mitkommen!” hieß es knapp, und nein, eine Jacke dürfe er sich nicht mehr holen, die brauche er dort nämlich nicht. Es war der 14. Juni 1949. Eine Frau aus dem Dorf erinnert sich an die Blutlache im Wald auf dem Hügel, dem Dealul Crucii in Bistritz-Nassod/Bistriţa Năsăud.

„Hier werden wir graben”, beschließt Marius Oprea. Ein fußballfeldgroßes Terrain wird abgesteckt, mit scharfem Blick scannt er die Oberfläche nach Auffälligkeiten ab. Gibt es irgendwo eine Mulde? Dann ist das der Ort, wo mit der Suche begonnen wird. Lockeres Erdreich, dann erste Knochenfunde verraten, dass man dem Ziel nahegekommen ist. Anfangs kann man nur das Kratzen der Spaten hören, beobachtet Oprea. Doch wenn der Fund lokalisiert ist, bricht das Schweigen und alle reden erleichtert durcheinander: die Zeugen, die Helfer, die Menschen aus dem Dorf, die sich regelmäßig am Schauplatz versammeln. Marta Toader erinnert sich, wie die Mutter damals barfuß mit erhobenen Händen im Schnee gestanden hatte, während der Vater abgeführt wurde.
 

„Alle weinen vor Glück...”

Meist sind es Hinterbliebene wie sie, die Oprea mit der Suche nach dem Verschollenen beauftragen. Man fühlt sich verpflichtet, dem Toten ein christliches Begräbnis zu gönnen, oder die Erbfolge soll endlich geregelt werden. Auch Regisseur Mărgineanu bewegte das Schicksal seines eigenen verschollenen Onkels, einer der 13 Häftlinge, die die Securitate aus dem Gefängnis in Hermannstadt/Sibiu nach Klausenburg/Cluj verlegt hatte, wo sich ihre Spur im Nichts verlor. Oprea vermutete, ihre Leichen könnten hinter einer Wand des früheren Sitzes der Securitate im Palatul Copiilor eingemauert sein. Die Suche, im Film gezeigt, bleibt in diesem Fall vergeblich.

Glücklicher ist Terezia Bîrta, als sich der Hinweis auf den Verbleib ihres Vaters als korrekt erweist. Tränen der Erleichterung am Grubenrand, als das Skelett freigelegt wird. „Alle weinen vor Glück, wenn der Vermisste endlich gefunden ist”, erklärt Oprea. Gleich nach dem Fund lässt er noch vor Ort einen Gottesdienst in der Konfession des Verstorbenen abhalten. Nachdem die Knochen gerichtsmedizinisch untersucht wurden, werden sie den Angehörigen zur Bestattung freigegeben.

In der Regel sind auch sie es, die dem Staat die Analysen zur Aufklärung des Verbrechens bezahlen. „Nachdem der Staat ihre Verwandten illegal ermordet hat”, bemerkt er bitter. Und: „Wenn der Staat mehr Interesse hätte, dann hätten auch wir mehr Erfolge.” Zum Vergleich benennt er ein ähnliches Institut in Polen, das mit über 2000 Angestellten Verbrechen des Kommunismus aufklärt. In Rumänien hingegen gibt es weder Unterstützung vom Staat, noch von NGOs oder Sponsoren. „Nicht einmal die Medien sind an einer ausführlichen Berichterstattung interessiert”, klagt der Historiker: „Gefilmt wird nur kurz, in den spektakulärsten Momenten.”

Beispiellose Unterstützung hingegen finden die Knochenjäger in den Dörfern. Manche helfen bei der Suche nach Zeitzeugen, andere beim Graben, andere wieder-um bringen Essen oder Getränke. „Ein ganz armer Bauer akzeptierte, dass wir durch die Suche seinen Garten völlig zerstörten”, erzählt Oprea. „Und brachte uns noch jeden Morgen heißen Kaffee!” Im Angesicht des Grauens entstehen Momente intensiver Freundschaft.
 

„Die Securisten waren stolz auf ihre Verbrechen”

Oprea dreht den Schädel in seiner Hand. „Ich habe ein lebhaftes Vorstellungsvermögen”, sagt er nachdenklich. „In solchen Momenten lebe ich die letzten Momente der Angst des Opfers nach.”

Es war eine unsichere Zeit nach dem Krieg, erklärt auch Mărgineanu – man war ja noch an Demokratie gewöhnt. Schnell wurde jemand verhaftet, nur für ein falsches Wort. „Die neue Macht hat sich perfide eingenistet. Soziale Institutionen wurden aufgelöst, die Leute systematisch demoralisiert.” Als Zehnjähriger beobachtete er in seinem Heimatdorf, wie die Bauern ihre eigene Ernte nachts von den Feldern stahlen, um die unmenschlich hohen Pflichtabgaben zu umgehen. Aber auch, wie die Securitate in den Dörfern junge Leute bis 30 rekrutierte: „Als Bewährungstest mussten sie einem Partisanen eine Kugel in den Kopf jagen. Wer auch nur kurz zögerte, wurde nach Hause geschickt.”
„Angst war der Rohstoff ihrer Arbeit”, beschreibt Oprea die Vorgehensweise der Securisten. Und erinnert: Ihre Aufgabe war der Schutz des Regimes, nicht der des Landes, wie sich ihre Offiziere nach der Wende rechtfertigten. „Die Securisten waren stolz auf ihre Verbrechen und berichteten sie entsprechend an die Zentrale”, erklärt er einen Teil der Hinweise, die als Ausgangspunkt für seine Fahndungen dienen. 1940-50 führte die Securitate sogar handgeschriebene Listen mit den Namen der illegal Ermordeten, deren offizielle Dokumente zu Todesursache oder zum angeblichen Begräbnisort gefälscht worden waren.

Eile ist geboten, mahnt Oprea, denn die Zeitzeugen sterben aus! Und mit ihnen die Täter... „Uns stehen keinerlei Geräte für geophysikalische Untersuchungen zur Verfügung”, klagt der Historiker zudem – nicht wie in Polen, wo Scanner und ein mobiles Labor mit Möglichkeit zur DNA- oder Pollenanalyse vor Ort vorhanden sind. Mehr Unterstützung für sein kleines Team erhofft er sich nun von der neuen Regierung. „Denn wir wissen gar nicht mehr, wie wir uns aufteilen sollen. Das ganze Land ist ein Friedhof!”