Das malerische Kronstadt

Gedanken am Rande eines Buches über die Obere Vorstadt (II)

Das mag daher rühren, dass es vor 1900 wohl weniger Postkarten gab. Aber auch aus der (kommunistischen) Zeit nach 1945 gibt es nur einige wenige Aufnahmen wie die aus den Jahren 1951, 1963, 1970 und 1981.

Ein Bruder des Rezensenten, der in Kronstadts Oberer Vorstadt geborene Dr. Wolfgang Knopp, besitzt ein Exemplar des Buches. Sein Eindruck: „es kommt einem beim Blättern darin vor, als ob man auf Kindheitspfaden wandele“. Das zu besprechende „Album“ hat aber über diesen Nostalgie-Effekt hinaus einen dokumentarischen Wert. Viele der abgebildeten Gebäude stehen nicht mehr oder wurden im Laufe der Jahre erheblich umgebaut. Sollte das eingangs angeführte Bauvorhaben umgesetzt werden, was hoffentlich noch verhindert werden kann, würde das den Informationswert des Buches noch steigern.

Die dem Bildmaterial zu Recht gezollte Anerkennung gilt leider nicht zu gleichen Teilen dem Kommentar dazu, den E. Moga verfasste. Das beginnt schon mit dem Konzept. Das Buch ist, wie gesagt, überwiegend der rum. Oberen Vorstadt gewidmet.Viele der Aufnahmen stellen aber nicht die rum. Obere Vorstadt dar. Auf Seite 5 sind beispielsweise das Waisenhausgässer- und das Katharinentor zu sehen. Ebenso wenig ist das der Fall mit den Aufnahmen von Seiten 7 und 8. Dabei handelt es sich um Panoramabilder von der Zinne bzw. vom Kreuzberg oberhalb des Angers, sowie eines vom Schwarzen Turm aus gesehen. Nicht zur rum. Oberen Vorstadt gehört weiterhin das erwähnte Schützenhaus (Seiten 9 – 10). Die Seiten 10 - 11 stellen die Schützenwiese dar.

Darauf die später entstandene rumänische Paraschiva-Kirche mit Groaveri-Friedhof am Anfang der Oberen Burggasse. Der rum. Flurname erinnert an sb.-s. „Grawer“ = „Gräber“. Befanden sich hier, vor dem Katharinen-Tor, später ersetzt durch das Waisenhausgässer Tor, vielleicht frühere sächsische Bestattungen von Bewohnern aus der Inneren Stadt, nachdem sie innerhalb der Mauern untersagt wurden? Etwa analog zum Innerstädtischen Friedhof vor dem Klostergässer Tor am Anfang der Langgasse? Das Ende der Oberen Burggasse (sb.-s. „Burchgasz ober der Stadt“) hieß zeitweise Siechenhaus-Gasse. Ein vermögender Rumäne erbaute hier später ein jetzt verfallendes Altersheim.

Unweit davon, am Anfang der Anger-Gasse, die auf Seite 11 sichtbare, ältere, sächsische Obervorstädter Kirche (mit Friedhof und Schule), die aber in der Aufschrift nicht erwähnt wird. Sie dient nur dem Heldenfriedhof auf der gleichen Schützenwiese als Hintergrund. Auf dem Friedhof sind deutsche und österreichische Soldaten begraben, was übergangen wird, obwohl er bei der Bevölkerung „der deutsche Heldenfriedhof“ heißt. Überhaupt werden (mit Ausnahme des Schützenhauses) kaum direkte sächsische Bezüge genannt.

Deshalb die vom Rez. fallweise hinzugefügten Anmerkungen. Seite 11 ist noch die „Hohe Warthe“ zu sehen, früher ein Mittelding zwischen Schutzhütte und Gastwirtschaft, die genauso wenig mit der rum. Oberen Vorstadt zu tun hat. Auf den Seiten 20 – 24 sieht man die Katharinengasse, das Riemer-Sanatorium, das Wirtshaus am Hangestein, das Eforie-Strandbad (zwischen Anger- und Dampfbadgasse) sowie auf den Seiten 71 – 81 die Schulerau, das dort befindliche Höhenheim, die Ruia, den Schuler. Ein besserer – weil dem Bildmaterial eher angemessener - Titel wäre demnach vielleicht „Die rumänische Obere Vorstadt und deren Umgebung“ oder Ähnliches gewesen. Ein Kenner der „sächsischen“ Oberen Vorstadt wird also unverhofft viel Vertrautes finden, obwohl, wie gesagt, die meisten Buchbilder deren traditionell rum. Teil darstellen.

Die genannte Konzeptschwäche des Verfassers („Verf.“) geht auf mangelhafte Geschichtskenntnisse zurück. Verf. lässt die rum. Obere Vorstadt irrigerweise an der Stadtmauer beginnen. Dagegen steht das Wort von Maja Philippi, Von der Gründung zur Autonomie, in: Harald Roth (Hg.), Kronstadt. Eine siebenbürgische Stadtgeschichte, München 1999, Seite 40. Dort heißt es u. a.: „… eine Korrektur der üblichen Vorstellung ist nötig: Der kompakte rumänische Siedlungskern begann nicht direkt außerhalb der Stadtmauern, sondern von dem Platz aus, den die Rumänen Prund, die Sachsen Anger nennen.

Bis dahin erstrecken sich als Fortsetzung der innerstädtischen Straßen die drei großen Parallelstraßen Obere Burggasse (Ciocrac), Angergasse und Katharinengasse, die samt ihren Nebenstraßen bis 1500 hauptsächlich von Sachsen ... bewohnt waren. (...)

Für den ganzen Stadtteil (sb.-s. - Anm. des Rez.) Obere Vorstadt ergibt sich ... 1489 folgendes Bild: 304 sächsische, 116 rumänische und 86 ungarische Hausbesitzer.“ Das erklärt, „dass sich das enge Zusammenleben verschiedener ethnischer Gruppen hier zuerst herausbildete.“ Ein guter Beweis dafür ist die Beschriftung der auf den Seiten des vorliegenden Buches reproduzierten Ansichtskarten. Sogar auf denen vor 1918 finden sich oft neben den ungarischen und deutschen Bezeichnungen auch rumänische. Die auf ihnen teilweise sicht- und lesbare Korrespondenz wird ebenfalls in allen drei Sprachen geführt. H. Roth betont in seinem bereits angeführten Buch (S. 73), dass die Sachsen, selbst bei zunehmender rum. Bevölkerung, nie ganz aus der Oberen Vorstadt verschwanden.

Deren überwiegend einst sb.-s. Teil gehörte verwaltungsmäßig enger zur Innenstadt als die anderen Vorstädte. Maja Philippi vermutet in ihrem Buch „Kronstadt“, auf den Seiten 68 - 69, sinngemäß etwa folgendes. Die Namen der drei Hauptstraßen würden zeigen, dass dieser Teil der Oberen Vorstadt früher zur Inneren Stadt gehört hätte und nur aus verteidigungstechnischen Zwängen her-aus durch den Bau der Stadtmauer von dieser abgetrennt worden wäre. Auch kirchengeschichtlich gesehen ist die Verbindung der Inneren Stadt mit ihrer Oberen Vorstadt inniger als diejenige zu den anderen Vorstädten. Die hiesige evangelische Kirchengemeinde gehörte ursprünglich ganz zur Stadtpfarrgemeinde in der Inneren Stadt. Erst 1718 erhielt sie einen eigenen evangelischen Prediger, wie Wachner in seinem obigen Buch, Seite 26, zu berichten weiß. Die einstmals sb.-s. Obere Vorstadt kann also auf keinen Fall der rum. Oberen Vorstadt zugerechnet werden, auf die das nicht zutrifft. Letztere ist schon immer ein Hort des griechisch-orthodoxen Glaubens gewesen und wird bis heute nachhaltig von diesem geprägt.

Welche Schäden der oben genannte Mangel an fundierten Geschichtskenntnissen anrichten kann, zeigt sich schon auf Seite 7. Dort erwähnt der Verf. eine rum. Siedlung, „Catun“. Der Catun habe sich vor der Stadtmauer unter der Zinne befunden. Seine Bewohner wären die Verteidiger der Zinnenburg gewesen. Der Catun hätte sich von dort über die Schützenwiese und das Katharinen-Tor bis hin zur Warte erstreckt, und damit die Grenze zwischen Kronstadt und der rum. Oberen Vorstadt markiert. Mit genanntem Catun habe die rum. Obere Vorstadt demnach schon an der Stadtmauer begonnen. Belege dafür werden nicht vorgelegt.

Das alles, nur um zu beweisen, was nicht zu beweisen ist, nämlich, dass die rum. Obere Vorstadt direkt bis an die mittelalterliche Stadtmauer von Kronstadt herangereicht hätte? Kann man die zwischen beiden liegende, vor 1448 erwie-senermaßen noch überwiegend siebenbürgisch-sächsische Obere Vorstadt einfach ignorieren? Die Burg auf der Zinne wurde bereits in den Jahren 1448 – 1453, also noch im Mittelalter, abgetragen. Die riesige Anlage hätte unmöglich von den wenigen damals verstreut unter Sachsen und Ungarn in der Oberen Vorstadt lebenden Rumänen verteidigt werden können.

Ähnliches gilt für die Bewohner des vom Verf. genannten Catun. Es gab wohl eine Siedlung des Namens. „Catun“ heißt nämlich rum. „Weiler, kleines Dorf“. Der Genitiv in einem rum. Straßennamen, Strada Cotunului (rum. etwa: „Dorfstraße“), Cotunu-Gasse, weist darauf hin. Allerdings war sie weit von den Mauern des mittelalterlichen Kronstadts entfernt. Dazwischen erstreckte sich die damals zum Großteil sb.-s. Obere Vorstadt mit ihrer Oberen Burggasse (ung. Csokrak = Schindanger, davon rum. Ciocrac) und deren sämtlichen Nebengassen. Der Catun lag, wie auch die heutige Cotunu-Gasse, der Zinne zu. Die Bewohner des kleinen Catun, wer auch immer sie waren, konnten die große Zinnenburg nicht verteidigen. Dank ihrer Nähe rekrutierte die Burgbesatzung aber mögli-cherweise einen Teil des von ihr benötigten Hilfspersonals (Eseltreiber, Viehhirten, Holzfäller etc.) im Catun. Natürlich wurde es abends ähnlich ausgesperrt wie etwa die Hilfsarbeiter aus Bulgarien, die sich seit 1392 tagsüber zum Bau der großen Marien-Kirche in Kronstadts Innerer Stadt aufhielten. Wegen eines Stadtbrands im 17. Jahrhundert wurde diese innerstädtische Hauptkirche später als „Schwarze“ Kirche bekannt. Der Rat hatte die genannten Arbeiter in großer Zahl in der rum. Oberen Vorstadt angesiedelt.
 

(Fortsetzung folgt)