„Das Publikum muss beachtet werden“

Interview mit der Schauspielerin Ramona Olasz

"Ich bin nicht dazu geschaffen, eine Berühmtheit zu sein“: Ramona Olasz.
Foto: privat

Über sieben Jahre lang spielte Ramona Olasz in Produktionen des Deutschen Staatstheaters Temeswar. Durch das Theater lernte die Schauspielerin auch ihren Ehemann kennen, den ehemaligen Konsul der Bundesrepublik Deutschland in Temeswar, Klaus Christian Olasz. Inzwischen leben beide in Bukarest. Olasz hat eine neue Stelle in der Deutschen Botschaft angenommen. Mit dem Umzug endet für die Schauspielerin ein Kapitel in ihrem Leben und ein neues beginnt. ADZ-Redakteur Robert Tari unterhielt sich kurz vor der Abreise mit Ramona Olasz über ihre anstehenden Projekte, ihre Zeit am DSTT sowie ihre Beziehung zu ihrem Mann und dem Theater.

Sie arbeiten zur Zeit an einem Projekt: Zusammen mit Boris Gaza sowie Absolventen der Schauspielschule wird William Shakespeares „König Lear“ inszeniert.

Ich würde es nicht als Projekt bezeichnen wollen. Das klingt viel zu prätentiös. Ich betrachte es auch nicht als Stück, sondern eher als eine Suche, als ein Experiment. Ich habe mich mit Boris Gaza darüber lange unterhalten, seit ich Andrei Şerbans Inszenierung von William Shakespeares „König Lear“ gesehen habe. Darin spielen fast ausschließlich Frauen mit. Und mich hat diese Inszenierung so fasziniert, dass ich immer wieder darauf zu sprechen kam, wenn ich mich mit Boris unterhielt. Ich kam auch schnell zu der Schlussfolgerung, dass Boris als Schauspieler perfekt für die Rolle des Königs Lear sei. Ich kenne ihn schon lange sowie auch seine Familie und für mich schien die Wahl mehr als passend. In dieser ganzen Zeit hat mein Unterbewusstsein gearbeitet. Ich suchte nach Parallelen zwischen Shakespeares Stück und unserer heutigen Gesellschaft. Stellte mir die Frage, ob es überhaupt noch aktuell sein kann.

Wenn man Fernsehen schaut, dann findet man schnell Persönlichkeiten, die nicht anders als Lear sind. Jemand wie Ion Iliescu zum Beispiel oder ja, auch selbst jemand wie Gigi Becali. Und es kam auch immer wieder die Frage auf: Wie versteht sich die Kindergeneration mit der Generation der Eltern? Was würde für einen rumänischen Lear die Beziehung zu seinen Töchtern bedeuten? Was bedeutet es für einen Temeswarer, Macht zu besitzen oder von allen und der Welt verlassen zu werden? Diese Fragen möchten wir beantworten. Darum eine Suche. Zudem arbeiten wir nicht unter Zeitdruck. Es gibt keinen festen Zeitpunkt, an dem wir vor ein Publikum treten und unsere Arbeit vorstellen wollen. Wir suchen einfach.  

Mit dem Umzug Ihres Mannes nach Bukarest starten Sie ein neues Kapitel in Ihrem Leben, sowohl beruflich als auch privat. Wie empfinden Sie diesen Neubeginn?

Ein Teil von mir ist traurig, weil ich meine Schauspielkollegen vermissen werde. Es war für mich auch nicht leicht, als andere das Theater verließen, wie zum Beispiel Alex Halka. Du fühlst dich so, als ob ein Stück deiner Seele weggerissen wird. Andererseits ist Bukarest ein andere Welt. Ich ging oft in die Hauptstadt und machte große Augen, wenn ich die großen Schauspieler Rumäniens auf der Bühne erleben durfte. In Bukarest findest du Menschen, die Initiative zeigen, die etwas bewegen wollen, die nach neuen Darstellungsformen suchen. Ganz gleich ob es auf den großen Theaterbühnen passiert oder irgendwo abseits. Die Denkweise ist eine andere. Es ist, wie gesagt, eine völlig andere Welt. Darum kann ich es auch kaum erwarten.  

Nach mehr als sieben Jahren am Deutschen Staatstheater Temeswar, wie fühlen Sie sich nun, da Sie nach Bukarest umziehen und dieses Kapitel abschließen?

Es ist ein willkommenes Gefühl, weil man sich plötzlich frei fühlt und man dadurch gewisse Hemmnisse abbaut. Während meines vorletzten Auftritts am DSTT habe ich diese Veränderung besonders gespürt: Albert Camus „Das Missverständnis“ in der Regie von László Bocsárdi ist wahrscheinlich das Stück mit der größten Herausforderung, in dem ich am Deutschen Staatstheater spielen durfte. Wenn ich darin spielen muss, überkommt mich jedes Mal sowohl ein Gefühl von Angst als auch ein Gefühl von Freude. Und ich habe an dem Abend, wie immer, mir die Rolle von Martha angeeignet und der Abend verstrich. Doch dann unterhielt ich mich am nächsten Tag mit Georg Peetz, der in „Das Missverständnis“ Jan spielt. Und er fragte mich prompt, was gestern Abend passiert sei? Ich wusste nicht genau, worauf er anspielte, weshalb ich auf seine Frage mit einer Frage reagierte. Woraufhin er meinte, dass ihn meine schauspielerische Darbietung angenehm überrascht hat. Es sei so natürlich und so kraftvoll gewesen. Und in dem Augenblick ging mir ein Licht auf. Es war eben dieses Gefühl von Freiheit, diese Unbeschwertheit, als hätte man eine Last von meiner Schulter genommen. Ich fühlte mich so, als würde ich fliegen. Ich flog.

Zwischen Ihrem Mann und dem Theater sind in den letzten Jahren Spannungen entstanden.

Es sind Spannungen entstanden, weil die Denkweisen so verschieden sind. Rumänen und Deutsche denken sehr unterschiedlich. Er ist ein sehr vernünftiger, strukturierter Mensch, äußerst zielgerichtet. Der Rumäne dagegen handelt oft sehr unbedacht. So nach dem Motto „Lass es uns versuchen, vielleicht wird’s was“. Ich bin auch so ein Mensch. Ein Grund, weshalb viele Projekte, die ich anfange, letztendlich scheitern. Er wartet ab, denkt darüber nach und verfolgt dann sein Ziel. Er weiß dann genau, was er zu tun hat, und kommt nicht vom Pfad ab. Ich schlage Kompromisse vor, versuche, es anders zu tun, und verliere dabei sehr viel Zeit, nur um dann festzustellen, dass ich längst auf verlorenem Posten bin. Es hängt von der Denkweise ab. Und ich verstehe ihn.  

Hatten Sie jemals das Gefühl, dass man Sie als Gattin des Konsuls anders als andere behandelt hat?

Ich bin Rumänin, bin ein Banater Mischling, aber wenn mich jemand fragt, bekenn ich mich mit Entschiedenheit zu meinen rumänischen Wurzeln. Ich habe Deutsch gelernt, weil es mir mein Vater beibrachte und weil es nicht schaden konnte. Aber ich habe mich niemals als Angehörige der deutschen Minderheit gefühlt. Das bin ich auch nicht. Ich habe einen großen Respekt vor der deutschen Sprache und liebe sie auch. Sie ist für mich eine Faszination. Ich bin froh darüber, dass ich Brecht und Goethe im Original lesen kann, weil es vollkommen etwas anderes ist. Es ist phänomenal, dass man auf Deutsch lesen kann oder sich das deutsche Theater ohne Übersetzung anschauen kann. Viele fragen sich bestimmt, wieso wir zueinander gefunden haben. Ich habe ihn gemocht und er hat mich gemocht. Darum. Ich bin ein altmodischer Mensch und ich hätte ihn nicht geheiratet, hätte ich nicht gewusst, dass ich den Rest meines Lebens mit ihm verbringen werde. Und er ist es. Das ist sicher.  

Beide sind Sie Personen des öffentlichen Lebens. Viele Menschen tun sich schwer damit, zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen zu unterscheiden.

Es kann sein, aber ich bin nicht dazu geschaffen, eine Berühmtheit zu sein. Damit habe ich nichts am Hut. Was ich mache, mache ich aus der Notwendigkeit heraus, mich auszudrücken. Darum habe ich mich für das Theater entschieden. Dass unsere Wünsche sich nicht immer erfüllen, ist eine andere Sache, aber ich mag es, mit Menschen zu kommunizieren. Und ich verhalte mich nicht anders im Theaterfoyer wie zu Hause. Ich versuche nicht, jemand zu sein, der ich nicht bin. Würde ich es versuchen, würde ich daran kläglich scheitern. Ich sehe auch den Sinn dahinter nicht.

Wenn Sie jetzt zurückschauen, welche Rolle am DSTT hat Ihnen am meisten bedeutet?

Ich möchte Regie studieren und muss dafür eine Auswahl der Stücke vorlegen, in denen ich mitgewirkt habe. Darum habe ich mir in letzter Zeit meine Stücke angeschaut und festgestellt, dass sie sehr verschieden sind. Ich glaube, alle sind gleich bedeutend, weil man mit dem Herzen bei der Sache ist. Unabhängig davon, mit wem man arbeitet, ob es ein großer, weltberühmter Spielleiter ist oder ein Debütant. Letztendlich bist du diejenige, die auf der Bühne stehen wird. Darum bemühst du dich, versuchst alles zu geben, damit es gut rauskommt. Es steckt viel Arbeit dahinter. Aber am meisten liegt mir ein Stück am Herzen: „Das Missverständnis“. Als ich Camus Text gelesen habe, fühlte ich mich emotional am Boden zerstört. Wahrscheinlich hat mich der Spielleiter darum genommen.

Weil der Text mich so berührt hat. Bis heute habe ich den Tod meines Vaters nicht verschmerzen können. Für mich war mein Vater die Welt. Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht an ihn denken muss, und mein Atem stockt und ich kann es nicht fassen, dass er nicht mehr da ist. Und als Bocsárdi ankündigte, dass ich die Rolle kriege, wusste ich nicht, wie ich damit umgehen soll. Ich dachte, ich schaffe es einfach nicht. Und er meinte nur, dass wir es versuchen sollten. Und es ist ein unglaubliches Gefühl, wenn du weißt, dass das, was du auf der Bühne sagst, so viel Wahrheit beinhaltet. Es ist echt. Und man sieht dann Menschen im Saal mit Tränen in den Augen, weil sie genau wie du wissen, was Schmerz wirklich bedeutet.

Es wird immer schwieriger, das Publikum ins Theater zu locken. Auch das DSTT kämpft damit. Woran, glauben Sie, liegt das?

Ich habe keine Studien darüber gemacht, aber ich bin der Meinung, dass das Publikum nicht dumm ist. Du kannst niemanden reinlegen. Besonders heute. Wenn der Zuschauer in fremde Welten eintauchen möchte, kann er es im Kino machen. Er schaut sich einfach „Krieg der Sterne“ oder „Der Herr der Ringe“ in 3D an und kriegt so seine fantastische Scheinwelt. Damit kann das Theater nicht konkurrieren. Dafür aber kann man im Theater authentisch sein und dem Publikum eine Nähe geben, die ein Kino niemals geben kann. Man kann Themen ansprechen, die alle betreffen. Und dadurch provozieren und zu Diskussionen anregen. Und der Zuschauer wird antworten, wird darauf reagieren, weil er jemanden hat, mit dem er sich unterhalten und interagieren kann.

Also mehr Dialog zwischen Schauspieler und Zuschauer...

Ja, genau. Theater muss publikumsorientierter sein. Das Publikum muss beachtet werden. Wir machen „Kunst“ nur für uns. Weil uns die Meinung des Zuschauers nicht interessiert. Wenn jemand sagt, dass ihm das Stück nicht gefällt, dann verbietet man ihm den Mund mit der Begründung, er sei ohnehin kein Experte und darum hätte er überhaupt nichts zu sagen. Das macht man nicht. Wenn es ihm nicht gefallen hat, dann hat er schon etwas zu sagen. Gerade dann müsste man mit ihm diskutieren und ihn fragen, wieso es ihm nicht gefällt.