Das touristische Potenzial des Landes wird wenig ausgeschöpft

Zum Masterplan „Tourismus“ der Regierung Rumäniens – eine Diagnose (Teil 1)

Die Schwarzmeerküste – im Bild Mamaia – ist eines der wichtigsten Touristenziele in Rumänien, allerdings meist nur für inländische Urlauber. Viele bevorzugen auch die Strände in Bulgarien.

Mit großem Getöse wurde Anfang August vom Tourismusministerium ein Masterplan für Tourismusinvestitionen, einschließlich der Kriterien für die Projektförderung vorgelegt. 36 Projektbereiche, darunter an vorderster Stelle der Bergtourismus im Fogarascher Gebirge, das Donaudelta und die Schwarzmeerküste, sollen ausschließlich aus nationalen Mitteln finanziert werden, wobei der Beitrag des Tourismusministeriums bei 70-90 Prozent liegen soll. Leider liest sich der vorgelegte Projektkatalog wie eine Auflistung sämtlicher Fehlentwicklungen in der europäischen Tourismus-“Industrie“ des 20. Jahrhunderts. Hier eine kleine Auswahl: Skipisten, Beschneiungsanlagen, Parkplätze, Vergnügungsparks, Yachthäfen, Delphinarien, „Einrichtung von Seen mit therapeutischen Eigenschaften“??? …
 

Der Sachstand

Rumänien zeigt wohl ein außergewöhnlich kräftiges und auch stabiles Wirtschaftswachstum von 7 bis 8 Prozent pro Jahr, das aber ausschließlich auf dem Konsum importierter Waren wie Gebrauchtautos und billiger Massen-Marken-Konsumgüter beruht. Dagegen krankt der Bereich des Tourismus, obwohl dieser weltweit zur bedeutendsten Wachstumsbranche geworden ist.

Rumäniens Bilanz des grenzüberschreitenden Reiseverkehrs ist negativ. Im ersten Halbjahr 2017 lag das Defizit bei 480 Millionen Euro, was einer Vervierfachung gegenüber 2016 entspricht. Rumänen bevorzugen Bade- und Ski-Urlaub im billigeren Nachbarland Bulgarien. Wer es sich leisten kann, z. B. die Gruppe der gutbetuchten Rentner aus dem öffentlichen Sektor – in Rumänien sind die durchschnittlichen Renten um 7 Prozent höher als das durchschnittliche Einkommen aus Beschäftigung – will endlich die touristischen Highlights Europas und der Welt sehen.

Dagegen kommen ausländische Touristen nur in geringer Zahl, vor allem nach Bukarest und in wenige touristische Hotspots. Die Zahl der Ausländer-Ankünfte lag im ersten Halbjahr 2017 bei 1,2 Millionen. Dem standen etwa 3,6 Millionen Inländer-Ankünfte gegenüber. Diese Zahlen entsprechen in etwa den Zahlen kleinerer deutscher Bundesländer!

Der rumänische Tourismus ist also in erster Linie Binnentourismus, teils als Wochenendtourismus – man denke an die Autoschlange(n) im Prahova-Tal am Freitagnachmittag und am Sonntagabend – teils als Ferientourismus an Ostern und im August. Dadurch erfolgt keine Generierung von Devisen. Dieser Tourismus ist für die Handelsbilanz Rumäniens weitgehend unerheblich, da ausschließlich eine Umverteilung aus den wirtschaftlich starken Teilräumen in die touristischen Hotspots erfolgt. Die nur geringe Auslastung der Beherbergungsbetriebe (August und Feiertage + Wochenende) ist unwirtschaftlich. Das Hauptverkehrsmittel ist der eigene Pkw. Das führt zu Staus, Abgasbelastung und Lärm in den Tourismusdestinationen, wie täglich in Bukarest, Temeswar oder Klausenburg.

Einen kleinen Teil des Kuchens bekommen natürlich auch die peripheren, wirtschaftlich schwachen Regionen im Norden Rumäniens, in den Karpaten, abseits der Zentren und Hauptverkehrsachsen, also die rückständigen Dörfer inmitten traumhaft schöner Landschaften, in denen in 11 Monaten des Jahres nur alte Menschen und ein paar Kinder wohnen und von der Subsistenz-Landwirtschaft leben. Etwas Geld bleibt in den wenigen Pensionen, die meist mit in Italien verdientem Geld in grässlichem, modernistischem Baustil erstellt wurden.
 

Eine Diagnose

Warum wird das touristische Potenzial Rumäniens so wenig ausgeschöpft? An der Präsenz auf den Tourismusmessen kann es nicht liegen, denn hier ist die Anwesenheit Rumäniens nicht zu übersehen: Ein protziger Messestand mit vielen „Counters“, an denen spärlich irgendwelche Prospekte ausliegen, die längst bekannte Ziele anpreisen. Dazu „amtliche“ Vertreterinnen und Vertreter des staatlichen Tourismusamtes, gelangweilt, überfordert, eigentlich überflüssig – wie so viele „Beschäftigte“ in der staatlichen Verwaltung Rumäniens.

Dies alles spiegelt die völlig funktionsunfähige Organisation des rumänischen Tourismus wider, gleich ob staatlich oder privat. Langfristige Quartierbestellung erfordert eine Vielzahl von Telefonaten, in regelmäßigen Abständen, damit der Quartiergeber tatsächlich glaubt, dass der Gast wirklich kommt. Die von Buchungsportalen propagierte kurzfristige Absagemöglichkeit verstärkt die Unsicherheit, wie auch das Verhalten der „Damen“ in den Busbahnhöfen, wenn man versucht, zuverlässig einen Platz im Bus zu reservieren oder gar Fahrkarten im Voraus zu kaufen. Mangelnde Zuverlässigkeit durch fehlendes Knowhow der Akteure wird aber oft durch unglaubliches Improvisationsvermögen wettgemacht. Der Reisestress ist dennoch immens.
An europäische Standards gewohnte Touristen finden die Vermüllung der Landschaft abstoßend. Sieht es in einer Gemeinde einigermaßen sauber aus, gibt es eine Müllabfuhr. Umso schlimmer dann der Gestank der kommunalen Müllverbrennung in einem etwas abgelegenen Tal.

Noch mehr Gestank, dazu Lärm und Staub, produzieren auch in abgelegenen Gegenden Quads/ATVs, Enduros und Geländeautos, oft mit perfekter Sahara-Ausstattung. Saharafahrten sind derzeit risikoreich, die Karpaten müssen als Ersatz dienen

Eine sanfte Anreise und Reisen in Rumänien mit der Bahn ist meist unzumutbar: Die Verbindungen sind selten, oft zu völlig ungeeigneten Tageszeiten, es geht im Schneckentempo vorwärts, was die Fahrtdauer verlängert. Die Zahl der Bahnhöfe wurde reduziert, touristisch wichtige Strecken stillgelegt. Vor allem auf Nebenstrecken verkehren alte, verdreckte Waggons, deren sanitäre Ausrüstung schlichtweg unwürdig ist.

Hat der Tourist endlich die Karpaten erreicht und will Landschaft und Natur genießen, immer noch wichtigstes Motiv für Urlaub in den Bergen, und sich erholen bei gastfreundlichen Menschen, steht er vor dem nächsten Problem: die schlechte Qualität der Wanderkarten – sofern es überhaupt welche gibt! Ungeeignete Höhendarstellung, fehlende Wege und Wegmarkierungen, ungerade, oft zu kleine Maßstäbe, veraltete Daten – die Mängelliste ist lang, bei allen Karten. Die Wanderwegmarkierungen in der Landschaft, wenn überhaupt vorhanden, entsprechen nicht europäischen Richtlinien und auch nicht den Bedürfnissen der Normaltouristen. Devise: „Hauptsache, es ist ein Weg markiert, egal wie und wo und wohin“.

Alternative: Einen Führer engagieren! Aber hier setzen oft mangelnde Sprachkenntnisse der Anbieter Grenzen. Wichtigste potenzielle Tourismus-Quellmärkte sind Deutschland, Österreich, die Schweiz und die Niederlande – Länder, in denen die Verkehrssprache Deutsch ist! Wandertouristen kommen häufig auch aus Tschechien und Polen. Gute Englisch- und Deutschkenntnisse sind immer von Vorteil! Ungarische Touristen fühlen sich natürlich in Siebenbürgen und besonders im Szeklerland wie zuhause. Ansonsten versteht aber kaum ein Tourist diese Sprache.

Das Donaudelta und die Schwarzmeerküste spielen Sonderrollen auf dem Tourismusmarkt, wobei das Weltnaturerbe Donaudelta mit seinen vielen ökologisch orientierten Projekten, oft im Rahmen der EU-Donaustrategie, auf einem guten Weg ist. Als Defizit stellen sich die heruntergekommenen städtischen Siedlungen dar. Die rumänische Schwarzmeerküste hat ihre besten Zeiten hinter sich: Verschmutzte Strände, hässliche Betonburgen, mäßige Qualität der Gastronomie und nicht zuletzt die Konkurrenz der kostengünstigeren bulgarischen Nachbarschaft machen schwer zu schaffen.
In einem Folgeartikel wird ein alternativer Masterplan vorgestellt.