Das traurige Lied der Carmen Sylva

Bewegende Einblicke in das Leben der dichtenden Königin Elisabeth von Rumänien

Gabriel Badea-Păun: „Carmen Sylva. Königin Elisabeth von Rumänien – eine rheinische Prinzessin auf Rumäniens Thron“, mit einem Vorwort von Carl Fürst zu Wied und einem Nachwort von Silvia Irina Zimmermann, Ibidem Verlag, Stuttgart, 2011

Das Lied des Waldes, auf Lateinisch Carmen Sylva – so lautete das literarische Pseudonym der dichtenden Königin, auch wenn natürlich jeder wusste, um wen es sich tatsächlich handelte. Die autobiografisch geprägten Werke der ehemaligen rheinischen Prinzessin zu Wied, die als Gemahlin des Hohenzollernkönigs Karl/Carol I. als Königin Elisabeth von Rumänien in die Geschichte einging, waren zeitlebens stark umstritten – genau wie ihre Persönlichkeit. Bewegende Einblicke in ihr von selbstloser Nächstenliebe und tiefem Leid geprägten Leben liefert Gabriel Badea-Păun auf 298 Seiten in dem Buch „Carmen Sylva“. Die akribisch recherchierten historischen Details rücken zusammen mit dem Nachwort der Literaturwissenschaftlerin Silvia Irina Zimmermann das historisch verzerrte Bild über die dichtende Königin wieder ins richtige Licht.

Als glühende Verehrerin der Künste hatte Königin Elisabeth zeitlebens begabte, mittellose Genies gefördert, die das kulturhistorische Landschaftsbild Rumäniens heute entscheidend prägen: den Musiker George Enescu, den Bildhauer Constantin Brâncuşi, den Dichter Mihai Eminescu, den sie, als er sich der königlichen Protektion erwehren wollte, sogar anonym aus eigener Kasse weiter unterstützte. Auch für moderne Infrastrukturprojekte setzte sich die Königin ein, etwa ein Kanalisierungsprojekt für Curtea de Argeş, das sie selbst finanzierte, weil die Regierung es damals für unwichtig hielt. Doch vor allem für die Armen und sozial Schwachen hatte Elisabeth ein großes Herz. Königin Maria schreibt über ihre Vorgängerin: „Aunty arbeitete ständig an irgendeinem gewaltigen Entwurf, einem phantastischen Plan für die Wohlfahrt ihres Volkes... Eine großzügigere Frau hat es nie gegeben, sie war bereit, ihren letzten Pfennig zu teilen, ihren Mantel auszuziehen, um Schmerzen zu lindern.“ 1906 gründete Elisabeth auf einem 12 Hektar großen Gelände die Blindenkolonie „Vatra Luminoasă“ (die leuchtende Heimstätte) mit Häusern, Werkstätten, Schule und Braille-Bibliothek, für die sie selbst durch Interviews und Spendenaufrufe im Ausland gesammelt hatte. Das für die damalige Zeit einzigartige soziale Projekt unterstützte sie mit der Hälfte ihres eigenen Jahreseinkommens. Als sie starb, standen bereits 50 Gebäude. 1949 wurde die Einrichtung von den Kommunisten aufgelöst und ihr Name fortan offiziell verschwiegen. Nach fast 50 Jahren Kommunismus ist der Mythos von Carmen Sylva nahezu vollständig verblichen.

Dabei gehörten einst internationale Größen aus Politik, Kunst und Kultur zu ihren Bewunderern – etwa der amerikanische Präsident Theodor Roosevelt, dem sie auch über ihr Blindenprojekt berichtet hatte. Kaiserin Sisi von Österreich war ihre engste Vertraute und Seelenfreundin. Die intellektuelle und künstlerische Ausbildung der späteren Königin Maria geht ebenfalls auf ihr Konto. „Maria hatte von ihren Eltern nahezu keine Ausbildung erhalten. Ihr Vater, der Herzog von Coburg, hatte sein Leben als britischer Admiral auf See verbracht... Ihre Mutter, die einzige Tochter Alexanders II., des Zaren aller Russen, wurde in dem Glauben erzogen, dass Lernen nur für die niedrigen Stände gut sei“, schreibt Elisabeth. Neben eigenen literarischen Werken – Lyrik, Märchen und Romanen, mit denen sie vor allem im Ausland Interesse an Rumänien weckte – übersetzte die Königin auch Werke bedeutender rumänischer Künstler ins Deutsche, etwa Eminescu oder Aleksandri. In den Pelesch-Märchen finden sich Sagen und Mythen aus dem einfachen rumänischen Hirtenvolk wieder, die sie mit großer Akribie gesammelt und für die Nachwelt bewahrt hatte. So kann man Carmen Sylva heute vor allem als Vermittlerin zwischen der deutschen und rumänischen Kultur erkennen, auch wenn ihre Werke aufgrund schlechter Übersetzungen in Rumänien nur wenig Popularität erlangten.

Literaturkritiker werfen der königlichen Dichterin triviale Rührseligkeit und einen unprofessionellen Stilmix vor. Doch Carmen Sylva gelang es, das strenge Herz der englischen  Königin Victoria zu erobern, die nach einer Lesung in Pelesch mit Tränen in den Augen abreiste, wie sie in ihrem Tagebuch selbst bekannte. Kaiserin Sisi schwärmt in einem Brief: „Oh Carmen Sylva, wenn Du in den Herzen lesen kannst, dann musst Du wissen, dass die unsrigen von jener Stunde an Dein waren – Dein ohne Rückhalt.“ Die Vielfalt ihrer Werke, gibt Silvia Zimmermann in ihrem Nachwort zu bedenken, reflektiert nicht unbedingt Dilettantentum, sondern eher die Anpassung an ständig wechselnde Zielgruppen. Für Carmen Sylva ist Schriftstellerei nicht nur Kunst, sondern vielmehr ein willkommenes Sprachrohr zur internationalen Gesellschaft, die Inhalte sind stets flammende Botschaften einer volksnahen, unpolitischen, von Weltverbesserungsdrang und Nächstenliebe beseelten Königin.

Doch auch persönliche tragische Momente spiegeln sich in ihren Werken wider: der frühe Tod des einzigen Töchterchens, die spätere Kinderlosigkeit trotz 17 begonnener Schwangerschaften... Auch ihr allzu oft missverstandener Einsatz für Menschen und idealistische Projekte bereitete ihr Schmerzen. Königin Maria bekennt: „Wie entsetzlich sie litt, wenn einige Menschen, denen sie vertraut hatte, ihre Zuversicht und ihre Großzügigkeit betrogen und ihre Hoffnungen enttäuschten“. Ihre mütterliche Hingabe zu der dichterisch begabten, medial veranlagten jungen Hofdame Elena Văcărescu wurde ihr beinahe zum Verhängnis. Zwei Jahre verbrachte sie in Italien im Exil, weil ihre auf Vorhersagen in spiritistischen Sitzungen basierenden Ehepläne für Elena Văcărescu mit dem Thronnachfolger Ferdinand, der dem Mädchen ebenfalls in romantischer Schwärmerei zugetan war, von der rumänischen Regierung nicht gebilligt wurden... Als der Pressesturm sich gelegt hatte, kehrte Elisabeth schließlich nach Rumänien zurück. Obwohl Elisabeth als Dichterin und Königin viel bewirkt und bewegt hat, ist ihr persönliches Lebensbekenntnis dennoch erschütternd traurig: „Man verzeiht dir weder dein Talent, noch dein Gelingen, noch deine Freunde, noch deine Heimat, noch dein Vermögen, kaum dein Unglück; nur den Tod verzeiht man dir, und den nicht immer...“

Carmen Sylva, das Lied des Waldes, verstummte überraschend am 2. März 1916, nur zwei Jahre nach dem Tod ihres Mannes. Ihr Vermögen vermachte sie fast vollständig  Wohltätigkeitsorganisationen und als Stipendien rumänischen Künstlern.