Daten, die neue Dimension

Andreea Kremm (Foto) hält derzeit Präsentationen in mehreren Städten in Rumänien, aber auch in Deutschland, zum Thema Datenschutzgesetz. Über die rechtlichen Konsequenzen bei Nichteinhaltung sprechen darauf spezialisierte Anwälte. Foto: Siegfried Thiel

Theoretische Physiker arbeiten seit Jahren daran, die Formeln die auf quantischer Ebene gelten mit den Formeln der Makrophysik zu vereinbaren. Eine Variante sie kompatibel zu machen, die Zeit einfach wegzulassen. Mathematisch passt dann alles. Eine zweite Methode ist es, Information als physikalische (und nicht nur informationelle) Größe mit in die Formeln einzubauen. Wie genau weiß aber noch niemand, denn selbst über die genaue Definition von Information ist sich die Wissenschaft noch nicht ganz einig.

Dass Daten mehr als nur die Lieblingsspielzeuge von Buchhaltern und Statistikern sind, ist der breiten Öffentlichkeit erst durch den Cambridge Analytica-Skandal aufgefallen. Ein Lauffeuer der Empörung zog durch die internationale Presse als die Diskussion über Privatsphäre und psychologische Manipulation in politischen Werbekampagnen in den USA entfachte. Der US-Kongress lud Mark Zuckerberg, den Mitbegründer von Facebook, vor, um Rechenschaft abzulegen. Während die Amerikaner das Ganze noch gar nicht so recht wahr haben wollen, lähmt die EU eine regelrechte Panikwelle vor dem in Kraft treten des vor zwei Jahren bereits im EU Parlament beschlossenen neuen EU-Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO oder GDPR). Der Sachverhalt und die Kausalitäten sind komplex und nicht linear, was das Verständnis der Situation vielen erheblich erschwert. Dabei liest sich die Geschichte am leichtesten wie ein Hollywood Film mit einem Rudel paralleler Erzählfäden die am Ende alle in dem fulminanten Jetzt enden.

 

Die Wirtschaftliche Dimension

 

„Kostenlose Abendessen gibt es nicht“, lautet eine bekannte US-kapitalistische Maxime. Einleuchtend, aber trotzdem leicht vergessen, denn welcher Konsument freut sich nicht über Kostenloses? Soziale Medien, wie z.B. Facebook, Instagram, Twitter oder Whatsapp sind kostenlos. Von nichts kommt aber nichts, also muss es da eine andere Währung geben: Daten. Da im öffentlichen Bewusstsein aber nur Geld wert hat, entsteht die Illusion der Kostenlosigkeit. Das erklärt die öffentliche Empörung über den subjektiv als störend empfundenen Eingriff in die Privatsphäre. Schnell vergessen ist die Tatsache, dass auf sozialen Medienplattformen nur das draufstehe, was da enthalten ist, was der Benutzer selber dorthin gestellt hat. Nochmal im Klartext: alle diese Dienste kosten nur deshalb kein Geld, weil sie mit den eigenen Daten bezahlt werden. Daten sind wertvoll.

 

Die psychologische Dimension

 

Jeder Mensch ist anders. Um diese enorme Diversität zu bewältigen arbeiten menschliche Gehirne mit Schemata. Der/die Ängstliche, der/die Geizige, der/die Abenteuerlustige, darunter kann sich jeder etwas vorstellen und jeder kann aus seinem Bekanntenkreis Beispiele nennen. Es gibt viele verschiedene psychologisch fundierte Kategorisierungssysteme für Persönlichkeitstypen. Im englischsprachigen Raum sind die OCEAN-Profile am bekanntesten. OCEAN ist die Abkürzung der englischen Kategorien: Offenheit für neue Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus. Ein hochneurotischer Mensch reagiert am besten auf das Zuckerbrot „Sicherheit“ und die Peitsche „Angst“. Wenn das psychologische Profil bekannt ist, kann die Nachricht entsprechend angepasst werden, damit sie mit höchster Wahrscheinlichkeit beim Empfänger den gewünschten Effekt auslöst. Klassische psychologische Tests sind Fragebögen die auf Papier oder elektronisch ausgefüllt werden. Am Ende dieses Prozesses werden die Daten ausgewertet. Sind Daten aber bereits im Vorfeld bekannt, ist das Ausfüllen des Fragebogens nicht mehr notwendig.

 

Die informatische Dimension

 

Alles was im Internet passiert hinterlässt eine digitale Spur, den sogenannten digitalen Fußabdruck.  Wie jede andere Verhaltensspur lassen diese Daten Rückschlüsse auf den Verursacher zu. Cambridge Analytica hat z.B. Facebook „Likes“ („Gefällt mir“) als Datengrundlage für die Erstellung von OCEAN Profilen verwendet. Dass über Cookies Daten gesammelt und ausgewertet werden können, ist inzwischen recht gut bekannt. Aber, dass auch der Idiolekt (der Wortschatz) oder die individuell spezifische Art wie jemand auf einer Tastatur schreibt (Tipparterkennung oder „Typing DNA“) so einen psychologisch klassifizierbaren Datensatz liefern ist z.Z. noch Expertenwissen. Dass alle diese Auswertungen probabilistisch und nicht deterministischer Art sind wird durch die statistische Treffwahrscheinlichkeit von über 70% stark relativiert.

 

Die politische Dimension

 

Die Demokratie ist die weltweit meistverbreitetste Regierungsform unserer Zeit. Sie basiert auf der humanistischen Annahme von Menschenrechten als positiven Wert und auf dem Glauben an das menschliche Entscheidungsvermögen. Als die alten Griechen die Demokratie erfanden, war die höchstmögliche Komplexität einer politischen Wahlentscheidung durchaus im Rahmen dessen, was das durchschnittliche menschliche Gehirn leisten kann. Die Informationsüberflutung und der jetzige weltweite Informationsaustausch in Echtzeit sorgt aber dafür, dass nicht einmal mehr Wahrheit von Lüge unterschieden, geschweige denn eine informierte politische Wahlentscheidung getroffen werden kann. Daher reagiert das Gehirn erneut mit einer Vereinfachung: nicht die beste Entscheidung wird gesucht und getroffen, sondern die Einfachste. Einfach ist für das menschliche Gehirn alles bereits Bekannte dem ohne viel Überlegen zugestimmt werden kann.

 

Die steuerliche Dimension

 

Der verbreitetste Steuergrundsatz lautet: finanzieller Gewinn (nicht Umsatz) wird besteuert und zwar dort wo der Firmensitz ist, nicht unbedingt da wo der Gewinn in Geld erwirtschaftet wird. Daten haben Wert, werden aber (noch) nirgends besteuert. Die EU hat internationalen Handel in Europa sehr leicht gemacht. Das Internet hat Datenaustausch sehr leicht gemacht. EU-Bürger produzieren täglich Daten in Größenordnungen mit 30 Nullen. Durch diese Daten wird finanzieller Gewinn erwirtschaftet, der aber nicht in der EU besteuert werden kann, wenn die Firma nicht den Sitz in der EU hat. Strafen andererseits fallen dort an, wo eine Straftat begangen worden ist, unabhängig vom Firmensitz.

 

Die Zusammenfassung

 

Da jede Operation im Internet auswertbare und damit werthaltige Datenspuren hinterlässt, die es über psychologische Profilierung ermöglichen eine Nachricht so zu formulieren, dass sie vom Empfänger leicht angenommen wird, ist das Internet die ideale Plattform zur Manipulation von Wahlkampagnen und Werbebotschaften. Da es noch keine andere (als besser erachtete) Regierungsform als die Demokratie gibt und das individuelle Wahlrecht eben (noch eine Weile) erhalten bleiben muss, die Komplexität unserer Umwelt aber nicht reduziert werden kann, hatte das EU-Parlament nur eine einzige Wahl: diejenigen Daten zu schützen die politische Manipulation ermöglichen. Da die EU-Weltkonzerne, deren Geschäftsmodel auf Daten basiert und die ihren Firmensitz nicht in der EU haben nicht besteuern kann, wurde die nächstbeste Maßnahme ergriffen: bestrafen, wenn besteuern nicht geht.

 

Und zum Schluss, der Anfang

 

All dies wäre möglicherweise gar nicht in die Öffentlichkeit gerückt, gäbe es da nicht ein paar Akteure die ihre eigene Agenda hatten. Max Schrems heißt der österreichische Anwalt, der Facebook zuerst vergeblich verklagt hat, weil er seine Daten zurückhaben wollte. Michael Kosinki heißt der Wissenschaftler von Cambridge Analytica der vor zwei Jahren in der Presse mit den Wahlkampfmanipulationen in den USA geprahlt hat. Und die EU-DSGVO wäre nie im EU-Parlament gewählt worden, wenn nicht Eduard Snowden per Videokonferenz den EU-Parlamentariern vor der Abstimmung so richtig Angst eingejagt hätte.

Angeblich soll das Datenschutzgesetz gut sein für die Bürger. Es ist aber auf dem Stand der Technik von vor zwei Jahren verfasst und längst überholt. Tatsächlich sind die sehr hohen Strafen nur eine versteckte Steuer für Weltkonzerne. Die Leidtragenden sind die mittelständischen Unternehmen, die sich die zusätzliche Bürokratie kaum leisten können.