Demokratische Werte in den Herkunftsländern stärken

Bundestagsstipendiaten aus 20 Ländern trafen sich in Siebenbürgen

Podiumsdiskussion im Tagungsraum der Kirchenburg Deutsch-Weißkirch (v. l.): Botschafter Emil Hurezeanu, Botschafter Cord Meier-Klodt, Kreisrätin Caroline Fernolend und die Organisatoren der Konferenz, Ursula Radu-Fernolend und Victor Bashkatov
Fotos: Janek Wiechers

Kennenlernrunde der Stipendiatinnen und Stipendiaten

Die Konferenzgäste vor der Kirchenburg Deutsch-Weißkirch

Politisches Engagement, Weltoffenheit und eine gemeinsame Erfahrung im Herzen der deutschen Demokratie – diese Merkmale kennzeichnen ein länder- und altersübergreifendes Netzwerk, das mittlerweile 2500 Menschen aus mehr als 40 Ländern umfasst. Die Alumni des Internationalen Parlaments-Stipendiums (IPS) – eines seit 1986 bestehenden Programms des Deutschen Bundestags – nennen sich noch lange nach Abschluss ihres mehrmonatigen Praktikums in Berliner Abgeordnetenbüros „IPS-ler“. Sie veranstalten regelmäßig Alumni-Konferenzen, bei denen Erfahrungen ausgetauscht, Kontakte gepflegt und Freundschaften aufgefrischt werden.

40 ehemalige Stipendiatinnen und Stipendiaten des IPS trafen sich nun am verlängerten Wochenende des 1. Mai im siebenbürgischen Deutsch-Weißkirch/Viscri zu einer überregionalen Konferenz mit dem Titel „Die Rolle Deutschlands in den Heimatländern der IPS-Alumni aus politischer, wirtschaftlicher und kultureller Sicht“. Die Initiative zu dieser Veranstaltung kam von zwei ehemaligen Stipendiaten des Jahrgangs 2008, Ursula Radu-Fernolend aus Rumänien und Victor Bashkatov aus Russland, die ursprünglich „nur“ ihr zehnjähriges IPS-Jubiläum gemeinsam mit einigen anderen Alumni feiern wollten. Daraus wurde ein dreitägiges Treffen, an dem „IPS-ler“ der Jahrgänge 1990 bis 2017 teilnahmen. 20 Länder waren vertreten, von Kasachstan bis zu den USA, von Tschechien bis Jordanien und Syrien, von der Ukraine bis Israel. Im Mittelpunkt der Konferenz stand nicht allein die langjährige, internationale Freundschaft der Alumni, sondern vielmehr „der Versuch, mit diesem Netzwerk den aktuellen Rückschritten der Demokratie entgegenzuwirken und gemeinsame Werte im europäischen Sinne in unseren Herkunftsländern zu stärken“, wie Ursula Radu-Fernolend in ihrer Begrüßungsansprache hervorhob.

Im Rahmen der Podiumsdiskussionen am ersten Konferenztag ging es thematisch um politisches Engagement und Gemeinschaftssinn, aber auch um aktuelle Herausforderungen der Demokratie, um Populismus und Krieg. So baute Cord Meier-Klodt, Botschafter Deutschlands in Bukarest, seine Rede auf „vier Hurras und eine Sorge“ auf. Er würdigte das zivile Engagement, die europäische „Einheit in der Vielfalt“, die gelebte parlamentarische Demokratie und die „IPS-ler als Vertreter eines eingeschworenen internationalen Netzwerks“, äußerte aber auch seine Besorgnis über die weltweit zunehmende „Tendenz zu politischen Alleingängen“, das „populistische Arbeiten mit Ängsten“ und die „absichtliche Eskalation von Problemen, die eine einfache Lösung haben könnten“.

Den Arbeitsalltag im Europäischen Parlament beschrieb aus erster Hand der rumänische EU-Abgeordnete Siegfried Mureșan, der vor zwölf Jahren selber das Internationale Parlaments-Stipendium absolviert hatte, und für dessen politische Karriere nach eigener Aussage das IPS „ein Meilenstein“ repräsentierte. Er plädierte für mehr Transparenz in der Politik und für eine verstärkte Kontrolle der Politiker durch die Bürger. Insbesondere im heutigen Rumänien sei es wichtig, „dass die Menschen den Politikern ganz genau auf die Fersen schauen“.

Als Gastgeberin sprach Caroline Fernolend, Leiterin der Stiftung Mihai Eminescu Trust, Kreisrätin und Vorsitzende des Demokratischen Forums der Deutschen im Kreis Kronstadt/Brașov. Sie warf einen Blick zurück auf die jüngste Geschichte ihres Heimatdorfes Deutsch-Weißkirch, das „ursprünglich abgerissen werden sollte, nach der Wende seine traditionelle siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft fast vollständig verlor und bis vor zwanzig Jahren nicht auf der Karte existierte“. Mit kleinen Schritten und dem gemeinsamen Ziel, ein besseres Leben für alle zu schaffen, sei es gelungen, Differenzen zwischen Rumänen, Sachsen und Roma zu überbrücken und dem Dorf eine Zukunft zu geben. „Heute erhalten nur noch vier Familien Sozialhilfe von noch 45 im Jahr 2007“, unterstrich Fernolend, und Deutsch-Weißkirch habe rund 40.000 Besucher im Jahr. Das „Geheimnis“, das sie den IPS-Alumni mitgab, sei, „den Mitmenschen auf gleicher Augenhöhe zu begegnen und gemeinsam zu versuchen, etwas für die anderen zu tun – denn das alles kommt sicherlich vielfach zurück.“ Auch Emil Hurezeanu, Botschafter Rumäniens in Berlin, hieß die ehemaligen Stipendiatinnen und Stipendiaten des Bundestags willkommen in Siebenbürgen, „einer in Rumänien und Europa einmaligen Kulturlandschaft“, und forderte sie auf, „Schnittstellen zu finden, da wo andere Trennlinien sehen und Spaltung fördern“. Zu den Podiumsgästen zählten zudem Alina-Roxana Gîrbea, politische Berichterstatterin bei der Vertretung der Europäischen Kommission in Bukarest, Stephan Meuser, Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung Bukarest, Raimar Wagner, Projektmanager der Friedrich-Naumann-Stiftung in Bukarest (und IPS-Alumnus), sowie Robert Schwartz, Leiter der rumänischen Redaktion der Deutschen Welle. Über die politische Lage in seinem Heimatland Syrien und die Erfahrung als Stipendiat im Deutschen Bundestag berichtete Kenan Melhem, Architekt und Alumnus des IPS-Jahrgangs 2017. Die Erkenntnis, dass „Politik die Gesellschaft vollkommen zerstören, oder ganz im Gegenteil, eine zerstörte Gesellschaft wieder aufbauen kann“, habe ihn dazu bewogen, sich politisch zu engagieren. Eine kontroverse, politisch brisante Diskussion ergab sich schließlich rund um die amerikanische Präsidentschaft zwischen Arik Kotkowski, Unternehmensberater für geopolitische Risiken und IPS-Alumnus aus den USA, und einigen seiner Mitstipendiaten. Dies wurde jedoch bald als willkommene Meinungsverschiedenheit gedeutet und im Laufe des Abends in kollegialer Atmosphäre weiterdiskutiert.

An den darauffolgenden Tagen lernten die Alumni das siebenbürgisch-sächsische bauliche Kulturerbe und die Geschichte Siebenbürgens näher kennen. Sie erkundigten sich über die kommunistische Vergangenheit, die politische Entwicklung Rumäniens nach der Wende sowie die aktuelle Lage der deutschen Minderheit und der Roma. Außerdem besuchten sie die Kirchenburg in Deutsch-Weißkirch und die Stadt Schäßburg/Sighișoara – beides Teil des UNESCO-Weltkulturerbes. Spontane Tanzveranstaltungen in einer frisch sanierten Scheune, stimmungsvolle Abende auf einfachen Holzbänken unter blühendem Flieder, traditionelle Gasthäuser und Kostproben der siebenbürgischen Kulinarik rundeten das Treffen ab.

 

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Das Internationale Parlaments-Stipendium des Deutschen Bundestags


Auch in diesem Jahr hat der Deutsche Bundestag das Internationale Parlaments-Stipendium ausgeschrieben. Das IPS richtet sich an politisch interessierte junge Menschen aus Mittel-, Ost- und Süd-osteuropa, Frankreich, Israel, Nordamerika und dem arabischen Raum, die sich in ihren Heimatländern aktiv für demokratische Grundwerte engagieren wollen. Das Programm dauert vom 1. März bis zum 31. Juli 2019 und umfasst eine dreimonatige Tätigkeit im Büro eines Mitglieds des Deutschen Bundestags sowie Informationsprogramme und Seminare, die der Bundestag und die politischen Stiftungen veranstalten. Die Stipendiatinnen und Stipendiaten können zudem an Lehrveranstaltungen der Humboldt-Universität, der Freien Universität und der Technischen Universität Berlin teilnehmen. Das Stipendium soll ihnen ermöglichen, das deutsche parlamentarische System und politische Entscheidungsprozesse kennenzulernen und praktische Erfahrungen im Bereich der parlamentarischen Arbeit zu sammeln.
Kandidatinnen und Kandidaten aus Rumänien müssen sich bis zum 30. Juni 2018 bewerben und folgende Voraussetzungen erfüllen: Sie müssen rumänische Staatsangehörige sein, ein Universitätsstudium abgeschlossen haben und über sehr gute Deutschkenntnisse verfügen (mindestens auf Stufe B2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen). Zudem werden gesellschaftspolitisches Engagement und Kenntnisse der deutschen Politik, Gesellschaft und Geschichte vorausgesetzt. Die Stipendiatinnen und Stipendiaten dürfen zum Zeitpunkt des Programmbeginns das 30. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.bundestag.de/ips und bei der Deutschen Botschaft in Bukarest.