„Den Flammen blieb nichts vorenthalten“ (I)

Aus den Tagebuchaufzeichnungen über den Großen Brand in Kronstadt von 1689

Marcus Fronius als Stadtpfarrer. Aquarell von Theodor Georg Fronius. Archiv der Honterusgemeinde

/417/ Am Donnerstag, oder am 21. April, vor dem Sonntag Misericordias domini, als der Tag sich schon neigte, etwa drei Stunden vor Anbruch der Nacht brach für uns alle völlig unvermutet in einem Haus in der Schwarzgasse plötzlich Feuer aus. Ein Nachbar der Unglücksstelle versichert, dass zu jener Zeit nicht einmal in der Asche des Herdes noch Feuer gewesen sei weil nämlich zum gleichen Zeitpunkt die Kaiserlichen im Haus gewesen seien, die dort im Winterquartier lagen und die aus Feuerstein Funken zu schlagen und Feuer zu machen versuchten. Gerade an dieser Feuerstätte also brach unvermutet und plötzlich das Feuer aus und griff mit ungeahnter Schnelligkeit auf die benachbarten Gebäude über. Bald darauf kamen der Stadtrichter und die Offiziere zu Pferde heran, und eine große Volksmenge war zugegen. Man lief zusammen.

Zwischenhinein detonierten ein ums andere Mal die Geschütze vom Schloss her, geradezu ein Zeichen des Beifalls zum grausigen Brand, wie wir meinten. Ebenso feuerten auch die Soldaten ihre Handgewehre häufig in die Flammen hinein ab. Da die ganze Mühe des Heranschleppens von Wasser ja doch vergeblich war, begann ein jeder für sich in den Keller zu schaffen, was er an wertvollen Sachen hatte. Dass ich mir vom übrigen ein Bild machen oder mich um meine eigenen Sachen kümmern konnte, daran hinderten mich die Kaiserlichen. Mit Ungestüm waren sie in das Haus meines Schwiegervaters, eines Ratsherrn eingedrungen und fuhren, als sie nicht sofort eingelassen wurden, auf den Hausherrn los, schlugen ihn mit dem Bajonett und richteten den Säbel auf seine Brust.

Die das sahen, erhoben ein Geschrei, ich eilte hinzu, es war höchste Zeit, doch besänftigte ich durch mein Zureden die erzürnten Gemüter, so gut ich konnte. Jene sagten, sie seien geschickt worden um den Brand zu verhüten und zumal, um das Dach zu entfernen. Wenn sie aber die eine oder andere Schindel abgeschlagen hatten, standen sie untätig herum, meinten hier und da, dass der Hausrat schneller hinausgeschafft werden sollte, und dazu bot jeder seine Hilfe an (aber eine verdächtige Hilfe, wie die Vorfälle gezeigt haben). Deshalb verriegelten wir lieber die Tür und ließen sie nicht herein.

/418/ Als jene sich schon freuten, uns sogar den Knüttel aus den Händen zu entreißen, wütete das Feuer eben jetzt in nächster Nähe, und sie gingen aus dem Haus, wobei sie mitnahmen, was weit und breit zerstreut herumlag. Das waren die Ereignisse dort. In gleicher Weise waren sie besonders auch mir eine Behinderung, als ich hinausschaffen wollte, was möglich war; zu dem Zeitpunkt aber hatte man noch alles hinausschaffen können, was sich in meinem Hause befand. Mittlerweile hatte die Flamme schon von einem großen Teil der Stadt Besitz ergriffen. Das Feuer war nicht nur an einer Stelle, sondern an vielen ausgebrochen, auf dieser und auf jener Seite, im unteren ebenso wie im oberen Teil.

Schon brannte nach der Schwarzgasse auch die benachbarte Straße, die wir Neugasse nennen, und da das Feuer aus der entgegengesetzten Richtung herankam, stand gleichfalls die Seilergasse am Oberen Tor in Flammen. Ich hatte keine Gelegenheit, mir das Übrige genauer anzusehen, weil ich damit beschäftigt war, meine Frau hinauszuführen. Es war grauenvoll anzusehen, wie sich mit dem Wind von der Schwarzgasse her das Feuer zuerst mit unglaublicher Gewalt nach oben hin (wie wir sagen) ausgedehnt hatte, bald darauf zu sehen war, wie es von einem stürmischen Wind aus der anderen Richtung zum Rossmarkt hin fortgetragen und weitergetrieben wurde, sich von dort sogleich in die Klostergasse zog wo das Wüten etwas nachließ, und wie sich dann das erste Feuer aus der Schwarzgasse durch die Purzengasse, Nonnengasse, Johannis-Neugasse hindurch mit diesem vereinigte.

Plötzlich stand also die ganze Stadt mit ihrer Schönheit und Kultur in Flammen. In eben der gleichen Nacht geriet auf irgendeine Weise die erhabene und prächtige Kirche in Brand. In ihrer Nachbarschaft war schon mehr alles Asche als Feuer, und soweit ich es bei dem dichten Qualm beobachten konnte, hatte es nicht den Anschein, dass das Feuer aus den benachbarten Gebäuden auf die Basilika übergriff, sondern in der Mitte und wo das Dach am höchsten ist, zuckte der Brand zuerst auf, verwüstete nach und nach jenen bemerkenswerten Bau, und – es klingt wie ein Wunder – obwohl das Kirchendach mit seinen gewaltigen Ausmaßen in Flammen stand, wurde das Gewölbe der ganzen Kirche, das wegen seiner großen Weite und Höhe sehr schlank ist, doch nirgends beschädigt.

Nichtsdestoweniger gelangte das Feuer auch ins Innere der Kirche und wütete dort so, dass es nicht nur alles, was aus Holz war, völlig verzehrte, sondern auch die Steine ausbrannte und fast unbrauchbar machte. So verbrannten das Gestühl, die Sitzbänke, die Kanzel, der Altar, der Chor, die Orgel, die Bücher, die Epitaphien und die verzierten Grabsteine. Die Steine aber und die Säulen waren halb verbrannt und zusammengeschrumpft, zum Staunen derer, die es sahen. Es brannte gleichzeitig auch der Turm, und die Glocken fielen halb geschmolzen herunter. Und auch das klingt wie ein Wunder, dass die ungeheuer großen Glocken beim Herabstürzen den Turm nicht durchschlagen haben und auf dem letzten Gewölbe liegen geblieben sind, wo sie heute noch liegen, ohne es durch den gewaltigen Sturz zu beschädigen.

Der nächstgelegene Gewölbebogen aber, der von gleich großer Stärke war und über dem die größere Orgel ihren Platz hatte, ist mit einem Teil des schlanken oberen Gewölbes zusammengestürzt und selbst die dicken Säulen sind zusammengebrochen. Ich gestehe jedoch, dass ich nicht durchschaue, auf welche Weise das geschehen ist oder durch was für ein Gewicht die gewaltige Festigkeit der Säulen zerstört worden ist. Schon zuvor war die Kirche, die St. Johannes Kirche heißt, und das Spital in Flammen aufgegangen und das Rathaus mit dem daneben stehenden Turm und die öffentliche, hochberühmte Bibliothek mit einem Teil der Schule und das Pfarrhaus wie auch die Häuser der Lektoren und Diakone und was es sonst noch an öffentlichen sakralen oder profanen Gebäuden gab, ausgenommen allein das Kloster und die Kirche der Ungarn die ein Teil des Klosters ist: sowie ein Teil desjenigen Gebäudes, das die Kaiserlichen für ihre Messgottesdienste geweiht haben, ferner entbehrt es nicht einer Vorbedeutung, dass so gut wie alles an bedeutenden Schriften von diesem Brand dahingerafft worden ist. Ich hatte meine Bibliothek nach bestem Vermögen und möglichst praktisch aufgestellt. Bestände meines Vaters und Großvaters hatten sie nicht unbeträchtlich vergrößert. Auch meine drei Brüder und sogar meine Mutter besaßen reichhaltige Bibliotheken. Hinzu kamen Handschriften aus den Gebieten der Physik, Chemie, Medizin, Geschichte, Theologie und zu keineswegs

/419/ alltäglichen Gegenständen. Meine Bücherschätze wie auch die meiner Mutter und meiner Brüder gingen zugrunde; so auch die des Albelius, so die Schriftdenkrnale gerade der berühmten Männer. Ebenso sind die Bibliotheken von drei Diakonen und von drei Lektoren und die recht gut eingerichtete des Herrn Mankesch und von anderen durch den gleichen Schicksalsschlag zu Asche geworden. Wohl allein der Schuldirektor Magister Valentin Greissing und der Diakon Joseph Bolthosch behielten ihre Bücher.

(Fortsetzung folgt)