Der Abenteuer-Winzer aus Bogeschdorf

Helmuth Gaber: „Hätte ich einen Geschäftsplan schreiben müssen – jede Bank hätte mich für verrückt erklärt!“

Helmuth Gaber vor dem Anwesen von „Terra Regis“ in Bogeschdorf
Fotos: George Dumitriu

Heinrich Gaber kommt nun wieder gern in die alte Heimat.

Auch das „Haus mit den Löwen“, heute Sitz der Firma, konnte Helmuth Gaber zurückkaufen.

„Ich will das alles wiederhaben“, sagte Heinrich Gaber plötzlich aus einer Laune heraus. Trotzig blickte er vom Bogeschdorfer Friedhof auf das ringsum liegende Land. Seit Jahrhunderten hatten die Sachsen hier Weinbau betrieben. „Du spinnst!“ rief Sohn Henry und wandte sich an seinen jüngeren Bruder Helmuth. „Komm, wir bringen ihn weg von hier, Vater hat einen Sonnenstich.“ Es war August 2006 – 32 Jahre nach ihrer Auswanderung, erzählt Helmuth Gaber. Längst war Deutschland ihr neues Zuhause. Seit 1974 waren sie nicht mehr in der alten Heimat gewesen. Dann, zu seinem 70. Geburtstag, hatte sich sein Vater plötzlich diese Reise gewünscht, um Fotos von den Familiengräbern aufzunehmen.

„Kurz danach hatten wir eine Familienfeier“, erinnert sich Helmuth Gaber. „Nach der Diashow stand mein Vater auf und sagte vor 70 oder 80 Gästen, alles Siebenbürger Sachsen: Übrigens, ich habe meinen Söhnen den Auftrag gegeben, alles Land zurückzukaufen.“ Der Bruder wollte erbost aufspringen, die Mutter hielt ihm den Mund zu, erzählt Gaber weiter. Auf der Heimfahrt fragten ihn die Kinder, damals zwischen 12 und 14: „Warum hat sich Onkel Henry mit dem Opa gestritten?“ Helmuth Gaber erzählt von dem Moment am Friedhof in Bogeschdorf/Băgaciu. „Dann tu ihm doch den Gefallen“, meint Alexandra Gaber, und die Söhne fallen ein: „Ja, das machen wir, dann freut sich der Opa!“

Ziel ohne Plan

„Es war eine rein emotionelle Geschichte“, lächelt Helmuth Gaber. Wir sitzen in seinem kühlen Büro im „Haus mit den Löwen“, ein paar hundert Meter von der Bogeschdorfer Kirchenburg entfernt. Das schmucke Anwesen ist Sitz des Weinguts „Terra Regis“, das Gaber hier seit 2011 betreibt und demnächst von 18 auf 45 Hektar ausbauen will. Die spritzigen Weißweine haben wir am Vortag verkostet, bald soll es auch Rotwein aus Bogeschdorf geben. 2015 ist eine biozertifizierte Landwirtschaft hinzugekommen. „Aber alles nur als Hobby!“ versichert der Kaufmann für Krisenmanagement aus Bremen, der beruflich kommerzielle Sport- und Freizeitanlagen saniert und einen Wellness-Park betreibt. In der Gründungsphase von „Terra Regis“ bis 2012 war er jeden Monat ein bis zwei Nächte vor Ort. Mittlerweile genügen ihm drei Kurzbesuche im Jahr, der Rest geht per Telefon und Whatsapp, dank loyaler Mitarbeiter vor Ort, wie dem Verwalter Harald Sălceanu, und Netzwerken an Fachleuten, die mit Rat und Tat zur Seite stehen. „Die Firmen finanzieren sich selbst, nur die Expansion bezahlen wir“, versichert der Geschäftsmann. Die Investition hat er alleine getätigt, ohne Vater oder Bruder. „Doch meine Frau und die drei Söhne sind stark involviert, sie sind meine besten Sparring-Partner“, lobt der Unternehmer, der gerne bereit ist, noch mehr „Abenteuer und Lust“ in das Projekt reinzustecken.

„Der Landkauf damals war eine rein emotionale Geschichte“, wiederholt Helmuth Gaber. Kein Gedanke, den Boden auch zu nutzen. „Es ging uns nur ums Gewinnen. Wir bestraften die politischen Umstände Rumäniens dafür, dass die Siebenbürger Sachsen ihre Lebensgrundlage verloren hatten. Wir wollten gewinnen und zeigen, dass wir jemand sind, dass wir einer Gemeinschaft angehören, die hier alles erreicht hat und wieder erreichen kann.“ Erklärend fügt er an: „Das ist typisch für die Siebenbürger Sachsen. Wir sind immer wieder überrannt und zerstört worden – wir sind wie Stehaufmännchen!“

„Wieder 50 Hektar eingenommen!”

Kurz nach dem Familientreffen fliegen Helmuth und Heinrich Gaber gemeinsam nach Rumänien. Ein Anwalt wird gesucht, eine Gmbh gegründet, ein Kopierer gekauft und Vorverträge für den Grundkauf vorbereitet. Noch haben beide keinen blassen Schimmer, wie es weitergeht. Im Flieger nach Hause sagt der Vater: „Ich weiß, wie wir das anstellen. Ich gehe zum Bürgermeister, er soll den Dorftrommler losschicken, und der soll ausrufen: Der Heinrich Gaber ist wieder da und will sein Land zurückkaufen.“ Es hieß, um 17 Uhr am Dorfbrunnen soll sich einfinden, wer verkaufen will, erinnert sich Helmuth Gaber. „Ich dachte, wir machen uns lächerlich, da kommt sicher kein Mensch...“ Es kamen 12 Leute. Nach kurzer Zeit hatten sie 30 Hektar erworben, nach drei bis vier Tagen 40 - kleine Versatzteppiche, überall verstreut. „Wir waren besoffen vor Glück!“ Bis 2010 ging der Kaufrausch weiter. Gut eine halbe Million investierte Helmuth Gaber in etwa 200 Hektar. „Für meinen Vater war das unglaublich bedeutsam.“ Er erinnert sich, wie dieser mit einem Cousin im VW-Bus losgefahren war, um weiteres Land aufzutun. „Am Abend rief er mich an, und es klang wie Frontberichterstattung: Wir haben wieder 50 Hektar ‘eingenommen’ - komm her und bring Geld mit!“

Helmuth Gaber genoss die intensive Zeit mit seinem Vater, das gemeinsame Abenteuer. Geld war für ihn kein Thema. Auch mit Rumänien hatte er keine Rechnung offen. Zur Zeit der Auswanderung war er elf Jahre alt gewesen, an Bogeschdorf oder die Schulzeit in Mediasch, wo er mit dem Bruder ein Internat besuchte, hatte er nur schöne Erinnerungen. Auch Deutschland war kein Kulturschock gewesen: „Wir sind früh ausgewandert und wurden herzlich aufgenommen, nicht wie die Spätaussiedler.“ Ganz anders fühlte der Vater, der, von den Kommunisten als „Chiabur“ stigmatisiert, nicht studieren durfte und die politische Entwicklung Rumäniens mit Besorgnis verfolgte. Nach der Auswanderung hatten sich die Eltern schnurstracks nach Eltville begeben, weil die staatlichen Weingüter dort von Siebenbürger Sachsen geführt wurden. Die Mutter fand Arbeit im Verkauf, der Vater, gelernter Polier, setzte die Steinmauern der Weinberge instand und kümmerte sich um die Maschinen. An das kurze dramatische Vorspiel zur Auswanderung erinnert sich Helmuth Gaber nur vage. Eines Tages, 1972, verabschiedete sich der Vater besonders herzlich. Er sollte, wie schon einmal, nach Deutschland reisen, um für den Cousin eines Arbeitskollegen, der für die Securitate arbeitete, „Geschenke“ zu beschaffen: „Zwei Koffer voll Reichtümer, Braun Rasiergeräte und Föhne“, lächelt er. Nur, dass der Vater nach seiner ersten Mission so begeistert zurückgekommen war, dass es seither in der Familie kein anderes Thema mehr gab: Deutschland. „Dort müssen wir hin!“ Der Vater fuhr lachend weg, die Mutter spielte zwei Jahre lang überzeugend die Verlassene. Beim Wiedersehen entschuldigte sich Heinrich Gaber dann bei den Söhnen, dass er sie hatte belügen müssen.

Alte Schuld

Über 30 Jahre später stehen Heinrich und Helmuth Gaber wieder am Dorfbrunnen in Bogeschdorf, als sich eine „gefühlt 110-jährige“ Roma-Frau nähert, wie es Helmuth Gaber ausdrückt. Schnurstracks kam sie auf die beiden zu, packte den Älteren an der Hand und fragte auf Sächsisch: „Heinrich, kennst du mich nimmer?“ Dieser beugt sich ungläubig hinunter: „Carolina, bist du’s?“ „Du bist mir was schuldig“, sagt die Alte, die seinerzeit im Haus der Gabers gearbeitet hatte und zur gleichen Zeit wie Heinrichs Mutter ein Kind gebar. Weil die Mutter ein paar Wochen wegen einer Brustwarzenentzündung nicht stillen konnte, wurde Carolina in der Sommerküche einquartiert, gut gefüttert, und musste zwei Kindern die Brust geben. „Was willst du?“ fragt Heinrich bereitwillig und die Alte erzählt von ihrer Enkelin, die Jura studiert hat, doch als Roma keinen Job findet. „Die Anca ist ein gutes Mädchen – kannst du sie nicht einstellen?“ „Da musst du mit Helmuth sprechen“, verweist dieser auf seinen Sohn. Man trifft sich. Ohnehin wird jemand gebraucht, der vor Ort die Dinge regelt. Der Haken ist nur: Helmuth Gaber weiß nicht, wie man in Rumänien jemanden anstellt. „Aber ich weiß es!“ springt Anca ein. Fortan ist sie es, die sich um die Grundbucheintragungen kümmert. Nach und nach schafft sie es, Erbfolgeprobleme zu klären, Besitzverhältnisse zu legalisieren, an manchen Fällen hat sie drei, vier Jahre zu tun, Familienmitglieder sind sich uneins oder müssen im Ausland aufgefunden werden. „Wir sind eine der wenigen Firmen, die alles korrekt im Grundbuch hat, was gekauft wurde“, freut sich Gaber schließlich.

Crashkurs zum Winzer

Das Land zu nutzen, daran hatte Helmuth Gaber nie gedacht. Doch es gab nur die Wahl, es entweder stillzulegen, oder zumindest einen Vertrag mit einem Schäfer abzuschließend. Das Erstaunen war groß, als hierfür schließlich sogar Fördergelder der EU auf dem Firmenkonto landeten. Hatte Anca das beantragt?

Eines Tages erhält Helmuth Gaber einen merkwürdigen Anruf. Dr. Müller, Weinexperte, „Siebenbürger Sachse aus Leidenschaft“, stellt sich dieser vor. „Ich kann Ihnen helfen“, sagt Müller bestimmt. „Sie werden mich brauchen! Aber Sie müssen mich bald kontaktieren, denn ich bin schwer an Krebs erkrankt.“ „Eine anonyme Person, die mir helfen will?“ Gaber schüttelt misstrauisch den Kopf. „Das war im Frühling. Im Herbst rief er wieder an: ‘Ich lebe noch!’, erinnerte er mich. Da habe ich mich geschämt und einen Termin mit ihm vereinbart.“ Zu dem Treffen kam ein weiterer Sachse, Dr. Binder, beide Kapazitäten im Weinbau. Müller lehrte an der Veitshöchheimer Fachhochschule, Binder leitete die Kellerei an der Fachhochschule Neustadt, wo Gaber heute seine Weine aus Bogeschdorf ausbauen lässt. Müller insistierte, sofort nach Rumänien zu fliegen. „Ich hatte noch gar nichts beschlossen - er hatte das.“ Am Flughafen wandte er sich an Gaber: „Ich sehe, Sie haben keine Ahnung von Weinbau. Nehmen Sie einen Zettel und schreiben Sie mit!“ Der Crashkurs, in dem er ihm die Grundfeste des Weinbaus eintrichterte, dauerte die ganze Reise, vom Frühstück bis zum Schlafengehen.

Gemeinsam begingen sie die Weinberge. Auf einigen Flächen war Gaber zum ersten Mal persönlich. „Sie haben hier beste Lage“, urteilte Müller und klärte ihn auch über die Bedeutung des Königsbodens auf - unveräußerbarer Grund und Rechte, ca. 800 Jahre lang: „Als freie und erfolgreiche Siebenbürger Sachsen zogen wir unsere Kraft und unser Selbstverständnis aus dem Königsboden!“ „Dann“, erinnert sich Gaber, „sagte er, ohne mich zu fragen: „Sie werden hier wieder Wein anbauen!“
Ein ganzes Jahr konnte Helmuth Gaber nicht mehr schlafen. „Ich hatte keine Ahnung von Wein und keinen Plan - aber das nötige Geld und Vertrauen in Dr. Müller“, beschrieb er die Zeit von 2010 bis 2011. Dann wagte er den Sprung ins Abenteuer.

Heute ist „Terra Regis-Wein vom Königsboden seit 1318“ eine eingetragene Marke. Mit Technologie und neuesten Erkenntnissen aus Deutschland, wurde 2011 bis 2013 der Weinberg bestellt, zunächst auf 18 Hektar, die Weine - Riesling, Chardonnay, Grauburgunder und Königsast - bauten Dr. Müller und Dr. Binder aus, die die Stärken und Schwächen der Reblagen kannten. „Es ist gut gegangen, weil ich mit Leichtigkeit und locker rangegangen bin“, lächelt Helmuth Gaber. „Hätte ich einen Geschäftsplan schreiben müssen, jede Bank hätte mich für verrückt erklärt!“