Der amerikanische Albtraum

Baupläne eines Bukarester Unternehmens drohen die Kronstädter Obere Vorstadt zu zerstören

Alles begann vor wenigen Wochen, als ein Kronstädter bemerkte, dass auf einem der Hügel in der Oberen Vorstadt (Schei-Viertel), entlang der Straßen Piatra Mare und Cetinii eine Baustelle entsteht. Erste Arbeiten für eine Zufahrt vom neuen Schulerauweg waren schon im Gange. Was fragwürdig war: Es gab kein Plakat mit Informationen betreffend die Baugenehmigung und den Zweck der Bauarbeiten, obwohl dieses eigentlich Pflicht ist. Eine einfache Suche auf Google lüftete das Geheimnis: Auf den Hügeln, die das Schei-Viertel umgeben, soll ein moderner Wohnkomplex entstehen – laut Plan das zukünftige Zuhause von über 2000 Kronstädtern. Die Information verbreitete sich in Windeseile, immer mehr Bewohner der Oberen Vorstadt erfuhren davon und waren zu Recht empört. Derartige Wohnblöcke passen überhaupt nicht in die Landschaft. Es ist auch nicht das erste Mal, dass so etwas passiert. Im Frühjahr hatte die Kronstädter Filiale des Architektenordens die Pläne bezüglich des Baus eines 10-stöckigen Wohnblocks in der Nähe des neuen Schulerauwegs kritisiert.

Nachdem man erfahren hatte, dass der Vertreter der Bukarester Firma, der diese Arbeiten durchführt, keine offizielle Genehmigung vorweisen konnte, haben mehrere Stadtviertelbewohner eine Beschwerde an das städtische Bauamt gerichtet. Gleichzeitig wurden auf einer Onlineplattform Unterschriften gesammelt, mit denen dagegen protestiert wird, dass für einen raschen Gewinn ein Hügel geopfert werden soll. Die Reaktion der zuständigen Behörden sei „schockierend“ und „unglaubwürdig“, weil sie bisher nichts unternommen hätten, obwohl die Arbeiten schon seit Wochen laufen. Verschiedene Facebook-Gruppen diskutierten darüber, Fotos wurden ins Netz gestellt. Es dauerte nicht mehr lange, bis das suspekte Bauprojekt in der Kronstädter Lokalpresse Schlagzeilen machte. Die Arbeiten gingen trotzdem weiter.

Als erste Reaktion auf die Proteste hat das Bürgermeisteramt eine Strafanzeige gegen die Bukarester Baufirma eingeleitet. Der ganze Skandal wurde von dem Kronstädter USR-Senator Allen Coliban aufgegriffen, der auch dem Fachausschuss für Umweltschutz vorsteht. Coliban unterstrich, dass durch solche Projekte der einmalige Charakter dieses Stadtteils, aber auch die gesamte Landschaft gefährdet werden. Die Straßeninfrastruktur sei nicht für weitere rund 1500 Pkw gedacht. Eine öffentliche Debatte bezüglich der Bebauungspläne in der Oberen Vorstadt fand am Freitag, dem 30. Juni, im Bürgermeisteramt statt. Dabei wurde klargestellt, dass das Vorhaben der Bukarester Firma illegal ist und dass die Bauarbeiten vorerst gestoppt werden. Trotzdem fragt man sich: Bis wann?

Suspekte Pläne

Um sich den amerikanischen Traum zu verwirklichen, muss man nicht über den Atlantik fahren. Man braucht nur nach Kronstadt zu ziehen. Ein bisschen Amerika gibt es auch hier – die sechs Buchstaben „BRAŞOV“ auf der Zinne erinnern an die berühmte Hollywood-Inschrift. Und seit Kurzem wird auf der Webseite http://dezvoltatorimobiliarbrasov.ro in einem Rumänisch mit Rechtschreibfehlern eine neue Wohnanlage angepriesen, die den Namen „American Dream“ (deutsch: Amerikanischer Traum) trägt.
„1000 Wohnungen und Studios in einem überwachten Luxus-Wohnkomplex mit Parkplätzen und Top-Ausrüstung. Genießen Sie ein wunderschönes Panorama über die Stadt! Unsere Wohnblocks sind kokette Gebäude, nur drei Etagen hoch, mit höchstens 15 Wohnungen pro Block“, lautet der Text auf der Homepage. Einzimmerwohnungen sollen nur 36.000 Euro, Zweizimmerwohnungen 50.000 und Dreizimmerwohnungen 66.000 Euro kosten. Außerdem werden unter- und oberirdische Parkplätze angeboten. Was die Lage betrifft, steht auf der Webseite: „Nur drei Minuten vom Anger/ Piaţa Unirii entfernt, fünf Minuten bis auf die Skipiste! Eine Wohnanlage von 50.000 Quadratmetern mit der schönsten Aussicht auf die Stadt. Es gibt zwei Zugangsvarianten: durch das Schei-Viertel und durch Belvedere 1 (in Richtung Schulerau)“. Nicht nur die Internetseite verspricht den potenziellen Käufern ein kleines Wohnparadies mitten in den Bergen, auch Werbeplakate im öffentlichen Raum tun es.
Laut den Informationen auf derselben Webseite hat das Bukarester Unternehmen „American Dream SRL“ vor, sechs Wohnanlagen in Kronstadt zu bauen. Vier von ihnen in der Oberen Vorstadt (1750 Wohnungen), die anderen zwei (235 Wohnungen) im Tractorul-Viertel. Einer der beiden Hauptaktionäre des Unternehmens ist der Bukarester Nicolae Liseanu. Laut Informationen in der Presse hatte dieser im Vorjahr einen Bauvorbescheid vom Kreisrad Vâlcea erhalten, um anstelle eines Waldes eine Hotelanlage im Bergkurort Voineasa zu errichten.

„Den Leuten wird eine Illusion angeboten“

Auf Anfrage der Bewohner der Oberen Vorstadt bestätigte das Bürgermeisteramt, dass in der Gegend an einer Zufahrt zu einem Privatanwesen gearbeitet wird, jedoch existiere keine Baugenehmigung dafür. „Es gibt noch keine Dokumente, die beweisen, dass der Vertreter der Firma Eigentümer des Grundstücks ist, auf dem gerade gearbeitet wird. Gegen die Firma wird zur Zeit ermittelt und die Staatsanwaltschaft wird die Unterbrechung der Bauarbeiten anfordern“, erklärte Sorin Toarcea, Pressesprecher des Bürgermeisteramts, Anfang vergangener Woche. Einen Tag vor der öffentlichen Debatte am 30. Juni traf sich Bürgermeister George Scripcaru mit Vertretern des Stadtarchitektenbüros und der Lokalpolizei. An der Sitzung nahmen auch Lokalräte der Städtebau-Kommission teil. Beim Treffen wurde das Thema „American Dream“ aufgegriffen. Scripcaru unterstrich dabei, dass das Unternehmen keine Baugenehmigung vom Bürgermeisteramt angefordert hat.

„Die einzigen Dokumente sind zwei Bauvorbescheide für zwei Grundstücke von je 40.000 Quadratmetern. Diese Dokumente erlauben jemandem aber nicht, Bauarbeiten zu starten. Dafür braucht man eine Baugenehmigung. Auf der Webseite der Firma ‘American Dream’ wird eine Illusion angeboten. Zur Zeit weiß man nicht, ob diese Gegend so ein riesiges Bauwerk überhaupt tragen kann und ob die Straßeninfrastruktur es erlaubt, dass so viele Autos hier verkehren. Vorläufig sind es nur ein paar schöne Bilder im Internet. Jemand verspricht etwas, was er noch nicht hat“, erklärte Scripcaru. Marilena Manolache, Chef-Architektin des Munizipiums, schloss sich dem Bürgermeister an und meinte dass es sich im Fall von „American Dream“ um ein Verbrchen handele, „weil die Bauarbeiten ohne eine Genehmigung durchgeführt worden sind“.

Strafrechtliche Ermittlungen gegen Baufirma

Am nächsten Tag fand im Bürgermeisteramt die vom USR-Senator Allen Coliban initiierte Debatte bezüglich der Bebauungspläne in der Oberen Vorstadt statt. An der Debatte nahmen unter anderen der Bürgermeister Scripcaru, Vize-Bürgermeister Mihai Costel, Pressesprecher Sorin Toarcea, der Chef der Kronstädter Stadtpolizei Nicolae Aldea, die Lokalräte Christian Macedonschi, Lucian Pătraşcu und Şerban Şovăială, Vertreter des Architektenordens und der Zivilgesellschaft teil. Auch der Hauptaktionär von „American Dream“, Nicolae Liseanu, war dabei. Er wurde von mehreren jungen Leuten unterstützt, die T-Shirts mit fragwürdigen Aufschriften wie „Rezist Schei“ trugen.
Während der Debatte wurde Folgendes bekannt gemacht: Gegen die Vertreter der Baufirma wird strafrechtlich ermittelt, außerdem müssen sie 87.000 Lei Strafe für die Zerstörung des Hügels zahlen und die Arbeiten werden gestoppt.
An der Sitzung nahm auch ein Vertreter des Eigentümers des Grundstücks, eines amerikanischen Staatsbürgers, teil. Dieser reklamierte, dass der Eigentümer einen gültigen Flächenwidmungsplan für 97 Hektar hat und dass ihm das Bürgermeisteramt trotzdem die Baugenehmigung verweigern würde. Architekt Johannes Bertleff entgegnete, dass der Flächenwidmungsplan allein nicht genügt, um eine Genehmigung zu erhalten, sondern dass eine Reihe von anderen Dokumenten und Genehmigungen erforderlich sind.

Vorläufig ist das Projekt „American Dream“ stillgelegt. Doch sind sich die Bewohner der Oberen Vorstadt nicht sicher, dass es für immer gestoppt ist und nicht etwa in ein paar Monaten weitergeführt wird, falls die notwendigen Genehmigungen trotzdem erhalten werden. Der schlimmste Albtraum könnte wahr werden: Langsam werden die Wälder Kronstadts verschwinden, um hochmodernen Wohnanlagen Platz zu machen. Nicht nur „American Dream“ droht, das schönste Viertel Kronstadts zu zerstören. Maurer, Kronstadts größtes Immobilienunternehmen, hat 10.000 Quadratmeter auf der Warthe gekauft, um dort einen unterirdischen Parkplatz und zehnstöckige Wohnblocks zu bauen. Solche Bauklötze passen architektonisch überhaupt nicht in die Gegend und schaden der Umwelt. Aus Geldgier greift der Mensch immer mehr in die Natur ein, Bäume und grüne Hügel fallen Wohnkomplexen zum Opfer. „Es gibt neben dem Belvedere-Parkplatz auf dem neuen Schulerauweg eine andere Monstrosität, Seasons Residence genannt. Der Wohnkomplex respektiert kein einziges Gesetz. Er ist zu nahe am Autoweg gebaut und hat acht Etagen“, kommentiert ein Kronstädter auf der Facebook-Seite des Bürgermeisteramts. So wie andere Wohnanlagen in der Gegend entstanden sind, könnte es auch „American Dream“ schaffen. „Hier ist Kronstadt, nicht Amerika. Und der Traum der Kronstädter ist: Hände weg von unserem Hügel!“, lautet ein anderer Kommentar. Falls in Zukunft trotzdem gebaut wird, sind die Proteste der Bewohner Kronstadts die einzige Rettung.