Der Aufbruch der rumänischen Sozialarbeit

Deutscher Freiwilliger möchte sich für Rumänien einsetzen

Auf der Caritas-Farm in Bakowa: Sechs Monate arbeitete Enrico Noack Seite an Seite mit den Obdachlosen und lernte so nicht nur die Menschen kennen sondern auch das rumänische Sozialsystem.

Ein Reisender durch Rumänien: Enrico nahm sich einen Monat Zeit, um das Land kennenzulernen. Seine Reise führte ihn bis ins Donaudelta.
Fotos: Privat

Die in Cottbus ansässige Fachhochschule Lausitz kooperiert seit Jahren mit der West-Universität Temeswar. Schwerpunkt ihrer Zusammenarbeit ist der von beiden Einrichtungen angebotene Studiengang „Soziale Arbeit“. Durch die Partnerschaft sind viele Studenten nach Rumänien gekommen und haben so das Land und die Menschen kennengelernt. Sie erhielten auch Einblick in die rumänische Sozialpolitik. Sie hapert. So das Fazit zahlreicher Nichtregierungsorganisationen, die sich darum bemühen, die Bedürfnisse des Landes zu decken. In allen sozialen Bereichen herrscht ein Mangel an Personal und Geldern. Dagegen wirkt das deutsche System geradezu utopisch, besonders in der aktuellen Lage.

Denn Einrichtungen wie Pentru Voi bemühen sich Erwachsenen mit geistiger Behinderung ein würdevolles Leben zu garantieren. Sie versuchen eine Stütze für diejenigen zu sein, die keine Familie haben oder die Familie mit der Situation überfordert ist. Dabei können sie allerdings nur einen Bruchteil des eigentlichen Bedarfs decken. Die Liste potenzieller Nutznießer ist ellenlang. In eines ihrer Hilfsprogramme aufgenommen zu werden, gleicht für viele an ein Wunder.

Auch Armut bleibt in Rumänien ein weitreichendes Problem. Die staatlichen Einrichtungen sind überfordert. In ihren Tageszentren können sie nur eine geringe Anzahl an Personen aufnehmen. Wobei wichtiger die Beratung der Obdachlosen ist. Soziale Arbeiter müssen Überstunden leisten und werden schlecht bezahlt. Unterstützung kommt auch hier in Form von nicht staatlichen Vereinen und Verbänden wie etwa der Caritas. Die Wohlfahrtsorganisation der römisch-katholischen Kirche betreibt in und um Temeswar/Timişoara mehrere Einrichtungen, die sich unter anderem um Obdachlose, Waisenkinder oder Altersschwache kümmern. 

In Bakowa/Bacova, einer kleinen Ortschaft in der Gemeinde Busiasch/Buziaş im Kreis Temesch, betreibt die Caritas eine Farm für Obdachlose. Dort werden Personen, die auf der Straße landen, nicht nur aufgenommen, das Hilfszentrum bietet ihnen auch eine Arbeitsstelle an. Die Obdachlosen können auf dem Feld arbeiten, in den Ställen oder in der Mühle. Sie helfen beim Anbau landwirtschaftlicher Erzeugnisse, bei der Herstellung von Brot, bei der Tierzucht und erhalten so Kenntnisse in einem neuen Berufsfeld.

 

Ein Freiwilliger in Bakowa

Hier – nur eine halbe Stunde von Temeswar entfernt – machte auch Enrico Noack, 24, ein halbes Jahr Praktikum. Der BA-Absolvent studierte in Cottbus Soziale Arbeit und möchte sich nun an seiner Hochschule für eine neue Projektstelle bewerben, die darauf abzielt, die Zusammenarbeit zwischen der Fachhochschule Lausitz -  seit dem 1. Juli 2013 Brandenburgische Technische Universität (BTU) Cottbus-Senftenberg – mit der West-Universität Temeswar. Für Enrico wäre es die ideale Arbeitsstelle. Denn der aus Frankfurt (Oder) gebürtige Brandenburger hat sich in das Land Rumänien verliebt. Er möchte sich darum einsetzen, die bestehenden sozialen Probleme zu verbessern und auch neue Möglichkeiten schaffen, sowohl für Sozialarbeiter als auch für die Bedürftigen.

Darum arbeitete Enrico auch sechs Monate lang auf der Caritas Farm in Bakowa Seite an Seite mit den ehemals Obdachlosen. Er bemühte sich, trotz sprachlicher Barrieren, mit den Menschen zu kommunizieren, sie zu verstehen und, wenn es ging, ihre Probleme zu lösen. Er möchte aber auch ein Mittler sein, besonders nach den persönlichen Erfahrungen die er gemacht hat.  „Durch die Arbeit auf der Farm, aber auch außerhalb habe ich von vielen verschiedenen Schicksalen erfahren, wie Menschen in Notsituationen geraten sind“, sagt Enrico. „Besonders erschreckend fand ich, dass es immer nur ein kleiner Schritt von einem geregelten Alltag in die Obdachlosigkeit ist. Ob nach einer Scheidung oder dem Jobverlust, wenn die Basis der Familie wegfällt sind es nur noch ein paar Monate, bis auch das Geld für die Miete ausfällt und einmal in der Obdachlosigkeit gelandet ist es so schwer wieder hinauszugelangen.“

In Deutschland sei die Soziale Arbeit streng institutionalisiert. „Es ist mehr wie eine Art Dienstleistung, die einen gesetzlichen Leistungsanspruch der Betroffenen bedient“, sagt er.

Darum spricht der zukünftige Sozialarbeiter mit viel Hochachtung über seine rumänischen Kollegen. Weil es in Rumänien mehr eine Berufung sei als nur ein Beruf.

Gleichzeitig aber betrachtet er die Herangehensweise mancher Sozialarbeiter sehr kritisch. Nur zu oft würde der Fokus auf Disziplin und Strenge fallen. Dafür wird Verständnis geopfert. „Es gab ein größeres Gefälle zwischen den Bewohnern und den Anleitern. Hier fehlte mir oft etwas Raum für eigene Vorstellungen.“

Enrico wollte die Obdachlosen darin bestärken, mitzudenken. Sie sollten fragen, wenn sie nicht weiter wussten, um dann gemeinsam eine Lösung für Aufgaben zu finden. „In der Arbeit mit den Farmbewohnern habe ich oft gemerkt, dass es auch ihnen wichtig war, ein gutes und gewissenhaftes Ergebnis abzuliefern,“ sagt Enrico. „ Dann waren sie auch selbst zufriedener und motiviert. Vor allem, wenn ein Vorgesetzter oder eine Besucherdelegation zum Beispiel aus Deutschland das auch noch bemerkte.“

In seiner Zeit in Rumänien lernte Enrico auch andere Freiwillige kennen, die für andere Hilfsorganisationen im Land tätig sind. Er reiste auch durch das Land, suchte dabei stets den Kontakt zu den Menschen. Diese hätten ihn am meisten beeindruckt, weil sie offen und gastfreundlich sind.

Doch jenseits dessen bleiben die aktuellen sozialen Probleme des Landes erhalten. Rumänien muss eine Strategie entwickeln und anfangen in seine Menschen zu investieren. Beispiele, wie man es macht, findet man unter anderem in Deutschland. Gerade darum sei eine intensivere Zusammenarbeit zwischen Universitäten der beiden Ländern im Bereich Soziale Arbeit wichtig.

Für Enrico Noack könnte erst hier das Abenteuer Rumänien beginnen. Der künftige Soziale Arbeiter möchte seine Tätigkeit, die er auf der Farm in Bakowa begonnen hat, weiterführen und weitreichender denken, planen und handeln.