Der bekannte Unbekannte

Interview mit Dr. Wiegand Fleischer, stellvertretender Vorsitzender des Kreisrates Hermannstadt

Dr. Wiegand Fleischer, der stellvertretende Vorsitzende des Hermannstädter Kreisrates
Foto: Hannelore Baier

Dr. Wiegand Helmut Fleischer hat seit bald 15 Jahren verschiedene Ämter im Rahmen des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR) inne: Von 2003 bis 2006 war er zunächst Referent, dann Geschäftsführer in der Landesgeschäftsstelle des DFDR und vertrat das Deutsche Forum von 2004 bis 2008 sowie von 2012 bis 2016 im Hermannstädter Kreisrat. Ferner war der gebürtige Hermannstädter, Jahrgang 1976, der ältere Bruder des viel zu früh verstorbenen ehemaligen Unterstaatssekretärs im Departement für interethnische Beziehungen, Helge Dirk Fleischer, Leiter des Hermannstädter Büros des Abgeordneten Ovidiu Gan]. Seine Nominierung zum stellvertretenden Kreisratspräsidenten betrachten die meisten dennoch als Überraschung. Insbesondere die rumänischen Medien fragten, wer der Unbekannte sei.

Dr. Fleischer hat an der Lucian-Blaga-Universität in Hermannstadt die Fakultät für Wirtschaftsingenieurwesen und an der Universität für angewandte Studien in Fulda Europäische Unternehmensführung studiert, ebenda den Master in Interkultureller Kommunikation und Europäischen Studien abgelegt und danach an der Lucian-Blaga-Uni im Bereich Wirtschaftswissenschaften promoviert. Tätig war er zunächst in mehreren Firmen als Manager und Unternehmensberater und kehrte vor fünf Jahren als Dozent an die Fakultät für Ingenieurwissenschaften zurück. Dr. Fleischer ist zudem Geschäftsführer des Deutschen Wirtschaftsclubs Siebenbürgen (DWS). In der Leitung des Kreisrates Hermannstadt ist er für den Wirtschaftsbereich, Entwicklungsstrategien und –projekte zuständig. Mit Dr. Fleischer sprach Hannelore Baier.

Herr Fleischer, zu welchem Thema haben Sie promoviert?

Im Mittelpunkt meiner Promotionsarbeit standen die deutsch-rumänischen Wirtschaftsbeziehung im Kontext der Europäische Union.

Werden Ihre Wirtschaftsstudien bzw. was Sie jetzt den Studierenden vortragen von Nutzen sein in Ihrem neuen Amt?

Neben theoretischen Kennt-nissen aus dem Bereich der Wirtschaft war und bin ich bemüht, meinen Studenten auch einen Teil meiner Praxiserfahrung zu vermitteln, d.h. ihnen Erfahrungen mitzuteilen, die ich in der Unternehmensberatung gemacht habe. Meine ökonomische und technische Ausbildung, vor allem aber meine berufliche Erfahrung in mehreren Firmen, bieten eine solide Grundlage für die Erfüllung meiner Aufgaben als stellvertretender Kreisratsvorsitzender. Mein Tätigkeitsbereich umfasst das Planen und Umsetzen des Haushaltes sowie die Entwicklung von Strategien und die Ausarbeitung sowie Koordinierung von Projekten für den Kreis Hermannstadt.

Wie kam es zu Ihrer Nominierung zum stellvertretenden Kreisratsvorsitzenden?

Bereits letztes Jahres hatte ich ein Gespräch mit Spitzenvertretern des DFDR, bei dem mir eine mögliche Nominierung in eine leitende Position im Hermannstädter Kreisrat in Aussicht gestellt wurde. Auf mich ist sicher zugegangen worden, weil ich sowohl über eine Ausbildung als auch Erfahrung in der Wirtschaft und Verwaltung verfüge, wohl aber auch, weil ich zu den jüngeren und dennoch bereits langjährigen Mitarbeitern im Deutschen Forum gehöre. Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit bei Herrn Dr. Paul Jürgen Porr und Herrn Martin Bottesch für das Vertrauen, das sie mir entgegengebracht haben, herzlich bedanken.

Warum haben Sie diese gar nicht leichte Aufgabe angenommen?

Das Amt des stellvertretenden Kreisratsvorsitzenden habe ich übernommen, weil ich erstens seit 1990 Mitglied des DFDR bin und mich der politischen Vertretung der deutschen Minderheit verbunden fühle, und zweitens bedeutetet die Nominierung für mich eine Ehre und eine Herausforderung, der ich mich gerne stelle. Zwar hatte ich seit dem Beginn meiner beruflichen Laufbahn verantwortungsvolle Stellen inne, wie jene des Geschäftsführers des DFDR und danach des Managers in verschiedenen Unternehmen, die Stelle als stellvertretender Kreisratsvorsitzender bringt jedoch eine Verantwortung anderer Art mit sich, d.h. sowohl die Komplexität des Tätigkeitsbereiches als auch die Anzahl an Personen und Institutionen, die damit in Verbindung stehen, sind sehr viel größer geworden. Aus dieser Perspektive ist das neue Amt der bisherige Höhepunkt meiner beruflichen Laufbahn.

Werden Sie weiterhin an der Uni unterrichten und der Geschäftsführer des DWS sein?

Den Unterricht an der Hermannstädter Ingenieursfakultät werde ich weiterführen. Für mich ist die Beziehung zwischen Lehre und Praxis sehr wichtig. Aus Kompatibilitätsgründen bin ich wenige Tage nach meiner Wahl zum stellvertretenden Kreisratsvorsitzenden aus meiner Vorstandstätigkeit im DWS und als DWS-Geschäftsführer jedoch zurückgetreten.

Welche Erfahrungen können Sie aus dem Amt des DWS-Geschäftsführers in Ihren neuen Tätigkeitsbereich einbringen?

Als DWS-Geschäftsführer habe ich die Ansprüche der DWS-Mitglieder und die Herausforderungen, denen sie gerecht werden müssen, um am Wirtschaftsstandort Siebenbürgen Fuß zu fassen, kennengelernt. Aufgrund meiner Aufgaben im Hermannstädter Kreisrat bin ich Ansprechpartner für Investoren, die in Erwägung ziehen, sich im Kreis Hermannstadt niederzulassen und werde diesen gerne Auskunft erteilen betreffend der Kernfragen, die bei deren Entscheidungsfindung von Interesse sind.
Welches sind die Probleme und Projekte des Kreisrates, denen Sie sich prioritär widmen möchten?
Die erste Priorität für mich war, dass die Tätigkeit des Hermannstädter Kreisrates transparent und ohne Anlaufschwierigkeiten fortgeführt wird. Für mich ist eine enge und erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen den Städten und Gemeinden einerseits und dem Hermannstädter Kreisrat anderseits sehr wichtig. Eine gute Zusammenarbeit ist beiden Seiten von Nutzen und davon profitieren letztendlich die Bürger.

Was nun die konkreten Projekte angeht, so ist die Umsetzung des integrierten Müllmanagements, d.h. von Mülltrennung, -entsorgung und –recycling im Kreis Hermannstadt vorrangig. Da es wiederholt Anfechtungen gegeben hat in Bezug auf die Firmen, die die verschiedenen Aufgaben in diesem Bereich gemäß Ausschreibungen übernehmen sollten und es folglich zu Prozessen deswegen gekommen ist, konnte das Vorhaben immer noch nicht in allen Ortschaften und Etappen umgesetzt werden. Weitere Prioritäten sind die Verbesserung der Infrastruktur im Kreis Hermannstadt, d.h. das Bemühen, weitere Verbindungsstraßen zwischen Ortschaften zu reparieren oder gar neu zu asphaltieren, sowie die Modernisierung der sozialen Einrichtungen.

Welche neuen Projekte müssten im Kreis unbedingt in Angriff genommen werden?

Gemeinsam mit der Kreishauptstadt Hermannstadt wird der Kreisrat einen Projektantrag für die Bewerbung als Gastronomie-Hauptstadt Europas stellen. Diesen Titel hofft Hermannstadt im Jahr 2019 zu tragen. Ein Bemühen, für das sich seit mehreren Jahren sowohl das Hermannstädter Rathaus als auch der Kreisrat einsetzen, ist ein neues, modernes Krankenhaus, doch leider bislang vergebens. Ich möchte diesbezüglich mit den Kollegen alle Möglichkeiten analysieren, sowohl bezüglich der Finanzierung als auch der Verwaltung des neuen Kreiskrankenhauses. Sollten wir zu einem positiven Ergebnis kommen, können wir die weiteren Schritte und einen Zeitablauf der Investition planen.

Wie steht es mit der Umsetzung der Projekte aus europäischen Mitteln? Sind weitere Projekte eingereicht worden für die neue Finanzierungsperiode bzw. welche Chancen bestehen, dass sie angenommen und umgesetzt werden?

Soweit ich mir einen Einblick verschaffen konnte, gibt es bei der Umsetzung der Vorhaben aus europäischen Fördermitteln keine großen Verzögerungen – außer im oben genannten Bereich des Müllmanagements. Die Direktion Strategie und Projekte des Kreisrates hat eine hohe Erfolgsquote bei der Abrufung von europäischen Fördermitteln verzeichnet und viel Erfahrung in diesem Bereich, so dass die Chancen bezüglich der Annahme weiterer Projekte sehr gut sind. Ins Auge gefasst wurden mehrere Modernisierungen von Kreisstraßen, für welche die Machbarkeitsstudien erstellt worden sind. Im Sommer 2016 wurden die Finanzierungsanträge für die Instandsetzungsarbeiten an den Kreisstraßen zwischen Salzburg/Ocna Sibiului – Abtsdorf/Tapu sowie Mediasch/Medias – Bürgisch/Barghis eingereicht, weitere werden folgen.

Desgleichen sind mehrere Anträge für die Sanierung von Gebäuden abgegeben worden oder in Vorbereitung. Darunter befinden sich folgende Immobilien in Hermannstadt: das historische Gebäude der Astra-Bibliothek, das Gebäude des „Emil Sigerius“-Museums und das Haus Nr. 12 am Kleinen Ring/Piata Mica. Besonders wichtig sind für mich die nachhaltigen Projekte, bei Straßen zum Beispiel jene, die eine raschere Zufahrt in entlegene Ortschaften und damit ihre Einbindung in den Wirtschaftskreislauf des Kreises ermöglichen.

Zur Uni fuhren Sie „in den Dienst“ mit dem Fahrrad, nutzen Sie es auch für den Weg zum Kreisrat?

Nicht nur zu der Uni, sondern auch zum Business Center Hermannstadt bin ich häufig mit dem Fahrrad gefahren. Mein Weg zum Kreisrat ist so kurz, dass ich ihn zu Fuß zurücklegen kann, das Fahrrad also nicht erforderlich ist. Ich hole es aber weiterhin sowohl für Fahrten zu Terminen als auch in der Freizeit hervor.

Wurde Ihre Entscheidung in die Politik zu gehen beeinflusst vom Wirken des jüngeren Bruders Helge und seinem frühen Tod?

Einen Zusammenhang gibt es diesbezüglich mit Sicherheit. Zwischen uns hat immer ein Wettbewerb geherrscht, im guten Sinne, wir haben uns gegenseitig motiviert mehr zu lernen und zu tun. Ich war zunächst in der Wirtschaft tätig und habe meinen Werdegang in diesem Bereich auch gesehen. Dadurch aber, dass mein Bruder so früh verstorben ist, habe ich schrittweise auch seine Aufgaben übernommen, wie zum Beispiel die Leitung des Hermannstädter Abgeordnetenbüros von MdP Ovidiu Ganţ, eine Stelle, die er vorher inne hatte, ich ging an die Uni zurück, wie er auch, er hat bekanntlich Politikwissenschaften unterrichtet. Und jetzt stehe ich im Bereich der Kommunalpolitik in der Verantwortung.