Der Chronist und die Frauen von damals und heute

Was Altlehrer Adam Krapfl 1880 Gültiges über die Deutschböhmen notiert hat und was Deutschböhminnen von heute an Wolfsberg schätzen (1)

Panorama der Kammsiedlung Wolfsberg auf 950-1000 m Seehöhe, unterm Plateau des Semenik. Man sieht die Spuren der Eingriffe in die Natur, die seit 1992 vorgenommen wurden: die Straße zum Skigebiet, die von der Dorfmitte, hinterm Pfarrhaus, parallel zum neuen Kreuzweg ausgeht (dessen Bau die Familien Duca und Winterberger initiiert haben), man sieht auch, rechts im Tal des Wolfsbachs (zu Füssen des Fotografen), die Wolfswiese mit ihrer Bühne, wo das Internationale Jazzfestival stattfindet.
Foto: Lucian Duca

Blick vom Oberen Dorfende auf die Hauptgasse von Wolfsberg. Weiter oben war früher nur noch das Lehrerheim der „Banatia“ und das Auffangbassin für das Trinkwasser der Ortschaft, das sich die Wolfsberger in den 1960-70er Jahren in Eigenregie einführten. Heute hat auch hinter dieser ehemaligen Endlinie der Besiedlung das Bauen begonnen
Foto: Werner Kremm

Es ist noch nicht entschieden, was Wolfsberg künftig einmal wird: Feriensiedlung, Kulturdorf, Wochenendsiedlung bzw, Zufluchtsort für Betuchte, Wintersportort oder Erholungsort jener (und deren Nachkommen), die dem Ort 1990-92 wie fluchtartig verlassen haben? Fakt ist, dass der Gemeinderat und die Gemeindeleitung viel, viel aufmerksamer sein müssten, wenn es um den Erhalt des Aussehens der Ortschaft geht, der durch Umbauarbeiten zweifelhaften Geschmacks akut gefährdet ist.
Foto: Werner Kremm

„So wenig Einladendes das Dorf an und für sich hat, so liebt es der Weidenthaler mit seltener Anhänglichkeit, und es ist eher eine Zuwanderung als eine Wegwanderung zu verzeichnen“, schreibt einer der interessantesten Chronisten von Weidenthal, Altlehrer Adam Krapfl (die anderen beiden konsekrierten Chronisten waren Peter Graßl und Josef Schmidt), der seine Pensionszeit, nach langjähriger Lehrertätigkeit in Weidenthal, in Ternitz in Niederösterreich verbrachte und seine Chronik 1880 (in etwa gleichzeitig mit der Auflösung der k.u.k. Grenzregimenter, der das Schicksal das leben der Deutschböhmen entscheidend beeinflussenden Institutionen),  abschloss.

Krapfl, der zur ersten Generation der am Bergrücken unterm Semenik geborenen Deutschböhmen gehört und ihre Ansiedlungssaga noch aus erster Hand, von Eltern und Großeltern, erfuhr (spätere Chronisten, etwa Pfarrer Josef Schmidt in seiner umfassenden „Chronik der Deutschböhmen aus dem Banate“, haben sich bei ihm ausgiebig „bedient“, fast immer ohne ihn zu zitieren), war ein aufmerksamer Beobachter seiner Mitbürger, deren „Grundcharakter“ er umschreibt mit: „im starken Mannesleibe ein zartes Herz“.

Der Deutschböhme, nach Adam Krapfl

„Er fühlt sich am wohlsten, wenn er gut und milde sein kann“, meint Krapfl über seine männlichen Mitbürger, und positioniert sich damit unisono mit den temeschtalwärts, im Norden und Osten von ihnen wohnenden Rumänen: „Au to]i inima buna, sunt to]i de traiu bunu“, zitiert sie Krapfl in ihrer Sprache.
Krapfl geht aufs starke Individualisierungsbestreben der Deutschböhmen ein („der Weidenthaler erträgt das Zusammenwohnen mit mehreren Familien, Brüdern oder Schwestern nicht und trachtet, wie möglich, eine eigene, nur ihm gehörende Wirtschaft zu gründen“ – daher auch der schwer erträgliche Zwang der Grenze zur „Hauscommunion“, zum erzwungenen Zusammenleben in Familienverbänden, um den Unterhalt eingerückter – „inrollierter“ – männlicher Familienmitglieder und deren Ausrüstung zu bestreiten, bzw. ihre Abwesenheit als Arbeitskräfte in der Wirtschaft zu kompensieren – was akut war während der Kriege von 1848-49, 1854 und 1866, als bis zu 100.000 Grenzsoldaten im Feld standen). Krapfl beweist seine Beobachtungen durch´s konkrete Aussehen der Dörfer: „...die vielfach geteilten Wirtschaften im Dorfe beweisen es zur Genüge“, meint er. „Darum war das Gränzsistem ein bitteres Gesetz für alle: man konnte sich in das Communalleben nicht finden, als sich die Familien vergrösserten.“

Zu den Charaktereigenschaften der Deutschböhmen zählt Adam Krapfl die Weichherzigkeit, die Bereitschaft zum Verzeihen, aber auch das Aufbrausende, die Liebe zu Tanz und Geselligkeit (Krapfl zitiert einen hier entstandenen Vierzeiler: „Doert sitz a, dourt loant a´r/ Wenn man´n onschaut so woant a´r/ Warum woant a´r so?/ Weil´r´s Tanzen nöt konn!“), Derbheit, „aber selten etwas Beleidigendes“, Liebe zu Musik und Gesang, Witz und Gewitztheit, Treue, zum gegebenen Wort stehen („es gilt noch der Handschlag“), tiefe Gläubigkeit, „unermüdlich bei der Arbeit“ sein.

Krapfl über die Deutschböhminnen

Doch das größte Lob zollt der Chronist und Altlehrer Adam Krapfl den Frauen der Deutschböhmen – bei ihm, stellvertretend, den Weidenthalerinnen. Nachdem er das Loblied der fleißigen und wetterfesten Männer ausgiebig gesungen hat, schreibt er: „Nicht minder thätig ist das Weidenthaler Mädchen oder die Frau. Bis Mitternacht sitzen sie am schnurrenden Spinnrad, und das Krähen des Hahnes findet sie schon wieder vor demselben. Ein erwachsenes Mädchen spinnt in der Regel zwei Strähn Garn täglich und muss dabei noch das Vieh füttern und manchmal noch kochen helfen. Nicht selten muss das junge Mädchen, kaum den Kinderschuhen entwachsen, mit dem Bruder oder Vater in den Wald hinaus und versteht, die bauchige Holzsäge ebenso zu führen und der eisigen Kälte zu trotzen, wie ihr männlicher Gehilfe, wenn auch Arme und Hände krebsroth, wie abgebrüth erscheinen. Nicht selten frieren der Armen die Röcke /Kittel/ an den Leib an und oft kommt es vor, dass sie sich Knie und Füsse erfrieren.“ Man merke: Krapfl spricht von “männlichen Gehilfe(n)“ dieser Frauen...

„Unermüdlich“ seien die Deutschböhminnen „als Feldarbeiterin“, die „Massen Erdäpfel“ anbauen, bearbeiten und ernten. „Wenn im Sommer die Mannsleute sehr schwer arbeiten, so leistet das Weidenthaler Weib gewiss noch mehr. Ein Kind auf den Rücken gebunden, beide Hände mit dem Mittagessen bepackt, oft noch hochgesegneten Leibes, sieht man sie eilenden Schrittes den Berg hinankeuchen, nicht in der Lage, sich den triefenden Schweiss von der Stirne wischen zu können. Während der Mann unter einem Baume sein Pfeifchen schmaucht und dabei, gemüthlich im Schatten sitzend, seine Sense tangelt, arbeitet das Weib mit ihrem Rechen das gemähte Gras durcheinander, und es ist gewiss der Mühe wert, diesen flinken Heugerinnen zusehen zu können, namentlich, wenn der Himmel wolkenlos und die Sonnenstrahlen mit ganzer Kraft niedersengen auf das duftige blumige Wiesengras.“(...)

„Ist dann gegen Abend der Heuwagen beladen, nämlich das Fuder gefasst, was die Weiber oder Mädchen thun und worauf sie auf ein „schön g´fasstes Fahrtl“ großen Werth und einen eigenthümlichen Stolz legen, dann müssen sie wieder im schnellsten Tempo voraus nach Hause, wo ihrer nicht etwa Ruhe und Erholung winkt, sondern neuerdings Arbeit und wieder Arbeit auf sie wartet. Die Kälber und Schweine schreien im Stalle und wollen gefüttert werden, ebenso das Geflügel; Gras zum Melken muss gemäht und geholt werden, der Stall gereinigt, das Nachtmahl gekocht und, mein Gott!, das Kind liegt in der Wiege und schreit und schreit! – muss auch gestillt werden. Und kommt sie mit der Arbeit nicht flink und hurtig zu Stande, wo erwartet sie am Abend des mühevollen Tages noch ein unfreundliches Gesicht, wenn nicht gar böse Worte von Seiten eines schroffen Ehegatten.“

Selten kann man im noch ausdrücklich patriarchalisch geprägten 19. Jahrhundert so viel – und beim aufmerksamen Lesen noch viel mehr - Verständnis für die Frauen der Gebirgsbauern nachlesen wie bei Altlehrer Adam Krapfl in seiner Chronik von Weidenthal. Und was er um 1878-80 schreibt und beschreibt, das konnte ein aufmerksamer Beobachter noch bis 1990 in all seiner harten Ursprünglichkeit, Urwüchsigkeit, aber auch in seiner bitteren Wahrheit in Wolfsberg oder Weidenthal, gelegentlich auch im (stärker von seinem Umfeld und der „Zivilisationsnähe“ beeinflussten) Alt-Sadowa, erleben. (Fortsetzung auf der nächsten Berglandseite)