Der Deutschunterricht im Teufelskreis des Bildungssystems

ADZ-Gespräch mit Sorin Giurumescu, Referent für Deutsch als Fremdsprache im Bildungsministerium

Sorin Giurumescu, Referent für Deutsch als Fremdsprache (DaF) im Bildungsministerium, unterzieht im folgenden Interview das rumänische Bildungswesen einer gründlichen Untersuchung und erklärt die Entwicklung des Deutschunterrichts hierzulande. Im Mittelpunkt befinden sich die Stärken und die Schwächen des Systems: Wo liegen problematische Aspekte? Wodurch werden diese verursacht und wie kann die Situation verbessert werden? Sorin
Giurumescu wirft im Gespräch mit ADZ-Redakteurin Aida Ivan einen Blick auf die Perspektiven des Deutschunterrichts in unserem Land.


Herr Giurumescu, zurzeit sind es etwa 173.000 Schüler, die Deutsch als Fremdsprache lernen. Dazu kommen weitere 21.000 im DAM-Unterricht (Deutsch als Muttersprache). Ist das viel oder wenig?

Es gibt eine klar steigende Tendenz. Das Einzige, das diese Tendenz hindert, ist nur die Tatsache, dass wir nicht genug Deutschlehrer haben. Das hat verschiedene Ursachen. Das Grundproblem ist das Lohnsystem in Rumänien. Es gibt im Allgemeinen zu wenig Lehrer im rumänischen Bildungssystem, oder zu wenig Leute, die sich wirklich wünschen, Lehrer zu werden. Aus diesem Grund haben wir einen Teufelskreis: Sehr wenige wollen Germanistik studieren, um Lehrer zu werden, und von diesen Wenigen bleiben noch weniger Lehrer, denn viele werden von der Wirtschaft übernommen und arbeiten als Dolmetscher oder Übersetzer bei Firmen. Sie gebrauchen ihre Kompetenz in Deutsch als Fremdsprache in lukrativerer Weise. Das ist eigentlich das größte Problem. Es hat mit dem Ruf des Systems zu tun. Um aus diesem Teufelskreis rauszukommen, brauchen wir politische Entscheidungen, wobei das Bildungswesen wichtiger für die Politik sein sollte. Und das hat mit der ganzen Gesellschaft zu tun.

Welche Rolle spielen die Gehälter?

Ich möchte die letzte Studie vom Europarat erwähnen. „Eurydice“ zeigt einen Vergleich der Lehrergehälter in Europa als BIP-Prozent. Das zeigt, wie wichtig der Lehrer für das Land ist und wie viel jedes Land in ihn investiert. In diesem Vergleich ist Rumänien insbesondere mit den jungen Lehrern auf dem letzten Platz in Europa. Für die Gesellschaft Rumäniens ist Bildung am wenigsten wichtig im Vergleich zu anderen europäischen Ländern. Es gibt keinen Minister, der mit dem Lohnsystem zufrieden ist.

Die Entscheidung wird aber auf einer höheren Ebene getroffen und sogar die Parteichefs und Präsidenten können kaum etwas ändern, solange die Gesellschaft kein Thema daraus macht. Außerdem hat die Investition in Bildung nur langfristige Wirkungen: Wenn wir heute die Gehälter erhöhen würden, würde das nicht bedeuten, dass die Qualität wirklich in den nächsten paar Jahren steigt – man kann durch höhere Gehälter die Qualität des Unterrichts nicht sofort erhöhen. Das braucht Zeit, und die Politiker haben keine (immer bis zu den nächsten Wahlen…). Das große Problem ist die sehr schwache politische Bildung in Rumänien. Für die breite Gesellschaft ist Bildung kein wichtiges Thema.

Wie konkurrenzfähig sind die Lehrer?

Zurzeit ist die Unterrichtsqualität sehr schwach, weil die meisten, die Lehrer werden, nicht wirklich aus Leidenschaft Lehrer geworden sind. Sie hatten keine bessere Alternative und wir als System haben auch keine bessere Alternative (bei den aktuellen Gehältern). Bei den Deutschlehrern ist die Situation viel besser als bei anderen Kategorien von Lehrern, und das danken wir der Zusammenarbeit mit den deutschen Institutionen im Bereich Fortbildung.

Welche Institutionen meinen Sie?

Ich meine Institutionen wie Goethe-Institut und die Zentralstelle für Auslandsschulwesen (ZFA), die Institution, die DSD-Schulen unterstützt und DSD-Prüfungen organisiert. Dazu kommt das Österreichische Institut. Mit diesen Institutionen gibt es eine sehr gute Zusammenarbeit – sie organisieren Fortbildungen und das erhöht die Qualität. Dazu gibt es auch den Deutschlehrerverband, der zurzeit eigene Schwierigkeiten hat. Seit vielen Jahren hat der Deutschlehrerverband Tagungen mit deutschen Partnern organisiert. Bei diesen Deutschlehrertagungen und Fortbildungsveranstaltungen geht es um eine gute Qualität.

Außerdem gibt es ein reales Problem, über das man nicht offen spricht. Dieses würde ich doch gerne ansprechen. Es geht um die Motivation, Deutschlehrer zu werden oder nicht: Was nicht alle wissen, ist, dass die guten Deutschlehrer kein schlechtes Leben haben. Nach Deutsch besteht eine große Nachfrage. Es ist aber nicht korrekt für die ganze Gesellschaft und die Lehrer selbst, dass sie zusätzlich arbeiten. Wenn sie gut bezahlt würden, dann könnten sie diese Zeit nützen, sich auch für ihren Unterricht vorzubereiten. Sie sind aber auf diese zusätzlichen Einnahmen angewiesen – das ist die Wirklichkeit. Im Endeffekt verdienen die guten Deutschlehrer viel besser als ein Dolmetscher oder Übersetzer bei einer Firma. Aber diese intensive Arbeit kann nur jemand durchhalten, der wirklich seinen Beruf mag, sonst ist es wirklich zu schwierig. Die guten Lehrer verdienen gut privat.

Wieso gibt es eine so große Nachfrage?

Das hat mit der Wirtschaft und mit dem guten Bild von Deutschland zu tun, auch mit der Geschichte Rumäniens und der Modernisierung des Landes. Rumänien ist seit 150, fast 200 Jahren auf dem Weg nach Europa. Deutschland war eine Art Vorbild. Es gibt einen guten Teil der rumänischen Gesellschaft, der sich wünscht, nach europäischen Werten zu leben. In Rumänien gibt es sehr viele deutsche Investoren. Deutschkenntnisse führen auf dem Arbeitsmarkt sofort zu einem viel besseren Gehalt als andere Fremdsprachenkenntnisse. Das hat dazu geführt, dass Deutsch sehr stark gefragt ist.

Da kommt noch was hinzu, schon seit mindestens 15 Jahren oder mehr. Deutsch war sehr beliebt bei bildungsorientierten Eltern. Seit ungefähr drei Jahren ist etwas passiert, dass diese Schicht von Leuten, die an Deutsch interessiert sind, sich verbreitet hat. Meiner Meinung nach war das die Folge des neuen Bildungsgesetzes – die Sprachprüfung für die Aufnahme in die deutschen Schulen war nicht mehr erlaubt worden. Um einen Platz für ihr Kind zu sichern, haben viele beim Notar eine notarielle Erklärung unterschrieben, dass sie deutscher Abstammung seien. Es gab Promis, die in dieser Situation mit ihren Kindern waren. Dadurch ist viel mehr Menschen bewusst geworden, dass sich bestimmte Leute Deutsch für ihre Kinder sehr stark wünschen. Das hat zur Erweiterung dieser Schicht geführt, die an Deutsch interessiert ist. Seitdem fragen uns ständig eine Menge Schulleiter, ob wir ihnen Lehrer empfehlen könnten. Es gibt aber nicht genug Deutschlehrer.

Wie viele Deutschlehrer gibt es in Rumänien?

Wenn man die sozialen Probleme nicht in Betracht zieht, z. B. die Französischlehrer, die dadurch ihre Stellen verlieren würden, dann könnte man innerhalb von zwei Jahren 1000 Deutschlehrer ins System übernehmen. So groß ist die Nachfrage. Zurzeit haben wir ungefähr 1000 Lehrer für DaF im ganzen Land und es sind ungefähr 100 Lehrer für Deutsch als Muttersprache und noch 300 Grundschullehrerinnen, 300 Erzieherinnen und über 200 Lehrer, die verschiedene Fächer auf Deutsch unterrichten, sogenannte DFU-Lehrer (Deutsch als Fachunterricht). Der Bereich DaM und der Bereich DaF sind als Lehrerschaft gleich stark, nur die DaM-Schüler sind viel weniger als DaF-ler, weil beim DaM mehr Lehrer für weniger Schüler arbeiten.

Diese Lehrer sind in staatlichen Schulen tätig. Wie sieht die Lage des Privatunterrichts aus?

Ich kenne Personen, die auch auf dem freien Markt arbeiten oder nur da. Sie arbeiten auch als Dolmetscher oder Übersetzer und auch bei privaten Sprachschulen. Dieser Markt ist auch sehr groß. Wir sind dabei, diese Zahlen zu sammeln, aber es ist schwierig, genaue Zahlen zu haben. Das ist ein großer und immer mehr wachsender Markt. Was das staatliche Bildungssystem nicht übernehmen kann, übernimmt der freie Markt. Das ist nicht gerade sozial! Deutsch hat sowieso einen elitären Status. Es ist schwierig, denn man kann der Nachfrage nicht nachkommen. Das führt dazu, dass die Deutschlehrer eine besondere Position haben, sie sind sehr wichtig, sie werden verwöhnt von Schulleitern, von Eltern. Niemand kann sich leisten, einen guten Deutschlehrer zu verlieren, es ist schwierig diesen zu ersetzen.

Wenn es mehr Deutschlehrer gäbe, würde die Anzahl der Kinder, die Deutsch lernen, steigen?

Ja, das ist sehr klar. Um mehr Deutschlehrer zu haben, muss man die Attraktivität des Berufs erhöhen. Ich sage ehrlich, dass es den guten Deutschlehrern eigentlich viel besser geht, als man denkt. Ich weiß nicht, ob man Zahlen nennen sollte, aber ich sage einfach so: Ein guter Deutschlehrer kann in seiner „Freizeit“ zwischen 1000 und 2000 Euro im Monat verdienen. Ein Dolmetscher oder Übersetzer verdient meistens nicht so viel und arbeitet viele Überstunden, außerdem hat er wenig Urlaub. Ein Lehrer hat mehr Urlaub und kann Exkursionen mit den Schülern organisieren. Man kann zum Beispiel, ohne eigene Kosten, Europa besuchen. Um das durchzuhalten, braucht man aber Spaß an diesem Beruf, sonst ist es natürlich schwierig, so viel zu unterrichten. Es gibt sehr viele Deutschlehrer, die sehr gut verdienen. Die Eltern fragen mich ständig nach Lehrern für ihre Kinder für Privatunterricht und ich kann ihnen nicht helfen. Die guten Lehrer sind voll besetzt.

Wo sehen Sie den Deutschunterricht in fünf-zehn Jahren?

Diese steigende Tendenz wird dazu führen, dass wir mehr Deutschlehrer haben werden. Vermutlich nicht so viele, wie nötig wären, bis sich etwas in der Politik ändert. Leider wird sich der private Markt entwickeln. Ich sage leider, weil das natürlich zu sozialen Ungerechtigkeiten führt: Die Kinder der Leute, die weniger verdienen oder nicht so bewusst sind, haben sehr viel zu verlieren. Das ist nicht nur für Deutsch spezifisch, sondern für die ganze Bildung.

Beginnen wir mit dem Punkt, wo das Interesse sehr groß ist – die Olympiade für Deutsch als Fremdsprache. Die DaF-Olympiade hat einen positiven Einfluss auf den Unterricht. Wir haben ein gutes Team, das seit Jahren diese Olympiade organisiert. Seit 2012 machen wir die Evaluation der Olympiade mit Hilfe von einem Online-Formular, das von allen Beteiligten anonym ausgefüllt und sofort veröffentlicht wird. Wir haben darüber nachgedacht – was hat dazu geführt, dass unsere Olympiade so positiv eingeschätzt wird? Wir sind zur Schlussfolgerung gekommen, die Schüler und Lehrer mögen die Transparenz und die Aufrichtigkeit. Wir sind als Team immer mehr zusammengewachsen. In diesem Sommer haben wir ein Team-Coaching durchgeführt und unsere Werte und Prinzipien festgestellt. Das Team der „Wachstumsexperten“, wie sich diese organisatorische Gruppe nennt, findet man unter www.experti. crestere.org. Die Internetseite wird gerade veröffentlicht – auf Rumänisch, weil wir die rumänische Gesellschaft durch unser Beispiel beeinflussen wollen.

Unsere Olympiade hat schon Auswirkungen: Es gibt Lehrer von anderen Fächern, die fragen, warum ihre Olympiaden nicht so transparent laufen. Wir erklären dort, auf der Internetseite, wie es möglich war und wie wir es weiter machen. Zum Beispiel: Gleich nach dem Ende der schriftlichen Probe werden die Arbeiten gescannt und per Mail an bestimmte Adressen geschickt. Dort werden sie von anonymen Mitgliedern des Teams in „Packungen“ von Arbeiten eingesammelt und an Bewerter geschickt. Die Lehrer, die bewerten, sind nicht aus denselben Kreisen, woher die Arbeiten kommen – das nennen wir „neutrale Evaluation“.

Niemand weiß auch, woher diese Arbeiten kommen. Das verlangt ein gewisses Niveau an Kompetenz im Bereich des Management-Systems. Eingesetzt werden 250 Lehrer in ein paar Tagen und alles läuft ohne Probleme. Eigentlich bin ich stolz auf die DaF-Lehrer! Die Modernisierung von verschiedenen Verhaltensweisen der rumänischen Gesellschaft ist unser Ziel, die Stärkung des Bewusstseins, dass auch in Rumänien eine transparente, korrekte Olympiade organisiert werden kann. Sonst ist der Ruf der Schülerolympiaden eher schlecht. Wir schaffen diese Zukunft durch unsere Arbeit und unser Team von DaF-Lehrern schon heute. Es ist bemerkenswert.

Kann die Gesellschaft etwas tun, damit sich die Situation des Bildungssystems verbessert?

Ich glaube – und das ist meine persönliche Meinung – dass im Bildungswesen alles Wichtige getan wurde, was man ohne Geld machen konnte. Was noch bleibt, ist die Erhöhung der Attraktivität des Bereichs durch höhere Gehälter und soziale Anerkennung. Die einfachste Methode, diese Anerkennung zu schaffen, ist natürlich durch Geld, das ist ein Symbol der Anerkennung. Die Lehrer, auch Grundschullehrer auf dem Lande, waren einst wichtige Personen in der Gemeinde. Diese konnten mit dem Gehalt gut leben und brauchten nicht zusätzlich zu arbeiten.

Was ist inzwischen passiert?

Es gab den Kommunismus, wo die Intellektuellen im Allgemeinen nicht mehr so wichtig waren. Dann gab es diese sogenannte Transitionsphase. Dazu kommen noch die Schwachstellen jeder Demokratie. Eine Demokratie ist nur stark und stabil, wenn die Wähler ein hohes Niveau an politischem Wissen haben und soziale Phänomene verstehen. Das ist natürlich in Rumänien nicht der Fall.

Es gibt ziemlich wenig Stunden für die soziale Bildung in der Schule. Selbst diese haben Lehrer unterrichtet, die früher Kommunismus unterrichtet hatten; das war natürlich auch ein Problem. Alles braucht Zeit. Das Bildungswesen könnte das enorm beschleunigen, aber dazu muss man in das Bildungswesen investieren. Man braucht politische Bildung in der Gesellschaft, damit die Gesellschaft Druck auf die Politik ausübt und in Bildung investiert wird. Solche Teufelskreise kann man nur aus verschiedenen Richtungen angreifen.

Vielen Dank für die Ausführungen!