Der Gerber an der Seite von Prinz Eugen

Wissenschaftliche Studie über 300 Jahre Schicksal der sächsischen Adelsfamilie von Kraus aus Fogarasch

Bücher über Siebenbürger Sachsen seien keine mehr geplant, verrät der Autor (links), hier mit Dr. Klaus Fabritius. Stattdessen recherchiert er zu Malaxa – „eine faszinierende Person“ – der im Zentrum seinen nächsten Werks stehen soll. Foto: Aurelian Stroe

„Ich bewundere die Genauigkeit und die wissenschaftliche Methode des Autors, seine verzweigte Rigorosität, der keine dokumentarische Quelle entgeht, keine Nuance und kein Kontext. Hut aber, oder bessergesagt,

Geschichte lebt von Geschichten. Wenn die Geschichten einfacher Menschen vor bedeutenden historischen Ereignissen dann auch noch wahr und gut dokumentiert sind, ersteht sie sozusagen leibhaftig vor unseren Augen auf. Noch eindrucksvoller muss das Erlebnis sein, wenn es sich um die eigenen Vorfahren handelt. Ein Siebenbürger Sachse aus den USA hat das Exempel für sich vollzogen. Im Rentenalter erneut Student geworden, reichte der ehemalige Unternehmer Rüdiger (Rick) von Kraus an der renommierten Universität von Harvard die Geschichte seiner Familie als Masterarbeit ein. Seine These ist nun unter dem Titel „Nobili și artizani“ (Adlige und Handwerker) in rumänischer Sprache im Corint Verlag erschienen und wurde am 28. März im Bukarester Jockey Club vorgestellt.


Die 300 Jahre Familienchronik beginnen im Jahr 1663 mit einem spannenden Zufall:
- Am 17. April 1663 erklärten die Osmanen Leopold dem I. von Österreich, Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, den Krieg, nachdem dieser versucht hatte, Siebenbürgen zurückzuerobern, das bereits eineinhalb Jahrhunderte unter der Oberhoheit der Hohen Pforte stand. Fast genau sechs Monate später, am 18. Oktober 1663, wurde Prinz Eugen von Savoyen geboren, der eine entscheidende Rolle im Kampf gegen die Osmanen spielen sollte.


- Ebenfalls im Jahr 1663 erblickte auch Thomas Kraus in Fogarasch/Făgăraș das Licht der Welt. Noch trägt der Ur-Ur-Urgroßvater des Autors kein „von“ im Namen. Es wird ihm erst Jahre später, am 9. Juni 1702, von Leopold I. verliehen, nachdem Thomas 1697 an der Seite von Prinz Eugen in der Schlacht von Zenta gekämpft hatte, im siebenbürgischen Regiment von Graf Rabutin. In der Urkunde heißt es nur, dass er für Tapferkeit geadelt wurde. Von nun an tragen seine Nachfahren „bis in alle Ewigkeit“ den Nachnamen „von Kraus“.
Was war geschehen in der Schlacht von Zenta? Prinz Eugen,der erstmals eine ganze Armee kommandierte – Leopold I. hatte ihm sein ungarisches Kontingent anvertraut - erlebte dort den Höhepunkt seiner Karriere. Dem 34-Jährigen gelang es, die Osmanen vernichtend zu schlagen. Dokumente verraten: Unter den Toten befanden sich der Großwesir des Sultans, Elmas Mehmed Pascha, vier seiner Wesire, 13 „Beilerbei“, drei Generalleutnants, 54 hohe Offiziere, 20.000 Unteroffiziere und Soldaten, weitere 10.000 ertranken im Fluss. Sultan Mehmet II. ergriff mit der Kavallerie und tausenden Soldaten seiner Leibgarde die Flucht. Die Verluste auf der eigenen Seite sind im Vergleich dazu kaum nennenswert: 28 Offiziere und 401 Soldaten tot, 133 Offiziere und 1465 Soldaten verletzt. Stolz überreicht Prinz Eugen das kostbare Siegel des Großwesirs, das dieser immer mit sich führen musste, dem Kaiser. Worin das konkrete Verdienst von Thomas Kraus bestand, erfahren wir leider nicht...


Sächsischer Adel: kein Reichtum - bloß die Ehre


Wer aber war dieser frischgebackene Adlige? Und wie gestaltete sich das Leben einer siebenbürgischen Adelsfamilie zu jener Zeit? Zunächst muss man wissen, dass Adel unter den Siebenbürger Sachsen ganz anders zu verstehen ist, als man dies von Deutschland, Österreich oder Ungarn kennt, verrät Dr. Klaus Fabritius, Leiter des Regionalforums Altreich des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, selbst Siebenbürger Sachse, zum Anlass der Buchvorstellung. „Unter den ursprünglichen Einwanderern gab es keine Adligen. Wer in Siebenbürgen seine Chance suchte, tat dies, um seine Lebensbedingungen zu verbessern.“ Den etwa 200 bekannten adeligen Siebenbürger Sachsen wurden ihre Titel erst viel später, zur Zeit der österreichischen Herrschaft, verliehen. Sie erhielten sie als Auszeichnung für besondere militärische oder administrative Verdienste, ein bekanntes Beispiel ist Samuel von Brukenthal. Ausgedehnte Ländereien, von denen sie und ihre Nachkommen hätten profitieren können, wurden ihnen nicht verliehen. Auch andere Vorteile - etwa der Zugang zu hohen diplomatischen oder militärischen Ämtern, wie in Österreich und Deutschland gang und gäbe - waren damit nicht verbunden. Es ist möglich, dass Thomas von Kraus ein kleineres Stück Land erhielt. Doch der Wohlstand, den die Familie von Kraus später erlangte, war einzig und allein ihrer Tüchtigkeit zu verdanken, erklärt Fabritius.


Familie von Gerbern und Schustern


Auf seiner Recherche fördert Rüdiger von Kraus Details aus dem Berufsleben seiner Vorfahren zutage. Generationen waren Gerber gewesen – ein schweres und ungesundes Handwerk, bei dem es lange auf die Erfahrung des Meisters bei der Entwässerung der Häute ankam. Bis die Modernisierung und Automatisierung die Anzahl der traditionellen Gerber stark dezimierte. Werkstätten mit dampfbetriebenen Mühlen ruinierten ihre manuell arbeitenden Konkurrenten. Hinzu kam die neue Technik der Hydrolyse, die die Gerbezeit stark verkürzte. War die Zahl der etwa 700 Gerbermeister in Siebenbürgen über Jahrzehnte konstant geblieben, gab es 1867 auf einmal nur noch die Hälfte. Auch Familie von Kraus sattelte um auf den leichteren, jedoch verwandten Beruf des Schusters.
Interessante Details erfahren wir über das Umfeld, in dem die Sachsen von Fogarasch im 17. Jh. lebten. Im Adelsdokument steht, Thomas von Kraus sei fortan von seinen Pflichten als Leibeigener entbunden. War er einem Feudalherrn verpflichtet gewesen? Denkbar, denn Fogarasch gehörte nicht zum Königsboden, spekuliert der Autor.


Zudem herrschte eine gewisse ethnische Vielfalt. Die Petschenegen waren verschwunden, vermutlich assimiliert, und das Gebiet um Fogarasch war fast ausschließlich von Walachen bewohnt. Nur in der Stadt und ihrer Burg gab es auch Sachsen und Ungarn.
Der Name Kraus wird im Register von Fogarasch erstmals 1640 erwähnt. Möglich, dass die Familie im Zuge des Ausbaus der Burg zwischen 1613 und 1676 unter Graf Bethlen und Prinzessin Bornemisza zugewandert war, denn damals wurden gezielt sächsische Handwerker angeworben. Einer unbestätigten Geschichte zufolge, die in der Familie kursierte, war der Vater von Thomas Kraus ein armer Schuster aus Schirkanyen/ Șercaia gewesen.


Von Kriegswirren und Aufständen gebeutelt


Immer wieder wurden die Nachfahren von Thomas von den Wirren der Kriege und Aufstände in der Region betroffen. Der Kuruzzenaufstand 1703, der acht Jahre dauerte, traf vor allem die Sachsen auf Königsboden, beeinträchtigte jedoch indirekt auch jene in Fogarasch. Die Kuruzzen warfen die Sachsen wegen ihrer Herkunft und Sprache mit den verhassten Österreichern in einen Topf. Tatsächlich gab es eine tiefe Kluft zwischen den protestantischen Sachsen und den erzkatholischen Österreichern, die selbst Brukenthal zum Nachteil gereichte, wie eine Bemerkung von Josef II. illustriert: „Er hat wissenschaftliche Bildung, schreibt gut, bewahrt kühles Blut, er könnte die höchsten Staatsämter bekleiden, wäre da nicht das Problem seiner Religion.“ Als Brukenthal Gouverneur von Siebenbürgen wurde, gab es dort 100.000 Sachsen – 6,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. 52 Prozent waren Rumänen, meist Leibeigene. 41 Prozent waren Ungarn, die die höchsten Machtpositionen inne hielten. Erst die Reformen von Josef II. verliehen allen drei Ethnien z.B. gleiches Wahlrecht. Er musste sie auf dem Totenbett 1790 widerrufen... Doch die Idee der Gleichheit der Rechte hatte langsam begonnen, Wurzeln zu schlagen, schreibt der Sachse Michael von Heydendorff Jr. in seinem Journal 1790. Die Einführung von Deutsch als Amtssprache durch Josef II. hingegen, fügt er an, weckte in den Ungarn den starken Drang, sowohl die Sachsen als auch die Rumänen zu magyarisieren.


Gelegentlich mussten die von Kraus ihre Existenzgrundlage völlig neu definieren. Ein Teil der Familie zog um 1770 aus unbekannten Gründen von Fogarasch nach Zeiden/Codlea um. Einige, beginnend mit Thomas III., widmeten sich, inspiriert vom Erfolg des Obstbaumzüchters Michael Wilk in den 1870ern der Gärtnerei und wurden sehr erfolgreiche Blumenzüchter, deren Geschäftstätigkeit bis nach Bukarest reichte. Heinrich von Kraus suchte 1906 seine Chance als Gärtner in den USA, von wo er 1909 zurückkehrte und mit seinem dort erworbenen Wissen einen florierenden Glashausbetrieb eröffnete. Von dort brachte er eine neue Sorte mit, die sich als „Edelnelke“ außerordentlichen Erfolgs erfreute.


Von der Waffen-SS zum Mörder


Turbulent geht es im Zweiten Weltkrieg zu. 1943 lässt sich Erwin von Kraus in die Waffen-SS einschreiben. „Durch seinen Abenteuergeist war er der ideale Rekrut für die Spezialeinheit Friedenthal, die für geheime Missionen, Aufklärung, Sabotage und Auftragsmorde ausgebildet wurde“, schreibt der Autor. Er soll sogar an der spektakulären „Operation Eiche“ zur Befreiung Mussolinis mitgewirkt haben, bei der deutsche Soldaten mit Gleitschirmen auf dem Gran Grasso landeten, wo Mussolini festgehalten wurde. Nach Ende des Krieges musste sich Erwin eine zeitlang in Zeiden verstecken, wo er sich als Reichsdeutscher, nicht als sächsisches SS-Mitglied, ausgab. Nur nachts ging er in Kleidern seiner Mutter auf die Straße. Doch die illustre Geschichte ist hiermit nicht zu Ende: Nachdem er einen ehemaligen Kameraden, der ihn aufgespürt hatte, tötete und in den Fluss warf – dessen Leiche wurde ein Jahr später von Nachbarn gefunden und als unbekannter Soldat begraben - landete Erwin nach jahrelangem Versteckspiel mit falschen Akten doch noch im Gefängnis, von wo er 1974 nach 16 Jahren wegen guter Führung entlassen wurde. Es war die Zeit, in der der Autor des Buches in der amerikanischen Botschaft arbeitete, was ihm schließlich die Auswanderung in die USA ermöglichte.


Schonungslos offen und mit wissenschaftlicher Distanz schildert Rüdiger von Kraus Schicksal, Leistungen und Verirrungen seiner Ahnen im Dschungel einer mitleidlosen Geschichte. Zwei Thesen hatte er umsonst eingereicht, sie wurden als bedeutungslos zurückgewiesen, „das war eine unglaubliche Erfahrung“, gesteht der Rentner-Student. Der dritte Anlauf brachte ihm nicht nur die Freundschaft seines Betreuers, des berüchtigten Harvard-Historikers Charles S. Maier, ein, sondern auch den Klein-Preis dieser Eliteuniversität. Die Lektion, die er daraus lernte, erkennt von Kraus auch im Buch: Pech kann sich in Glück verwandeln. Der Vorfahr, dem der Arzt geraten hatte, das Schusterhandwerk aufzugeben wegen der gesundheitsschädlichen Substanzen, wurde später einer der größten Gärtner im Land.