Der gläserne Bürger

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Vergangene Woche war an dieser Stelle zu lesen, dass es nicht auszuschließen sei, dass die amerikanische Persuasionsfirma Cambridge Analytica (CA) um gutes Geld auch die Wahl 2016 in Rumänien beeinflusst haben könnte, die zur katastrophalen PSD-ALDE-Regierung geführt hat. Nun: das stimmt so nicht! CA ist nicht in Rumänien aktiv. Wohl aber ihre Mutterfirma, Strategic Communication Laboratories (SCL), mit Hauptsitz in London und mit nicht sehr unterschiedlichem Beschäftigungs- bzw. Angebotsprofil. Auch sie verwendet Daten, um psychometrische Profile zu erstellen, die vom Psychometrics Centre der Universität Cambridge ausgearbeitet und für gutes Geld weiterverkauft wurden – an jeden, der das Geld dazu aufbringt. Bedingung ist in jedem Fall: Zugang zu big data, zu großen Datenmengen (wie vor einer Woche hier beschrieben).

Die Bearbeitungsformel der Datenmasse stützt sich auf einen Persönlichkeitstest, der bereits um 1980 ausgearbeitet wurde: „big five“ oder OCEAN. Es geht um fünf Persönlichkeitstypen, die aufgrund eines Fragebogens ermittelt werden. CA hat den Test auf Psychometrie -ein Teilgebiet der Psychiatrie, das psychologische Haltungen misst und Evaluationstechniken dieser Haltungen ausarbeitet – umgearbeitet und kann aus riesigen Datenmengen (riesig ist Bedingung) die Persönlichkeitsgruppen, deren Umfang und Haltung zu bestimmten Fragen herausarbeiten. Der ideale Nährboden zur Persönlichkeitsbearbeitung - zur Massenbeeinflussung. Stehen Cambridge Analytika mindestens 300.000 Facebook-Profile mit ihren Likes und Shares zur Verfügung, kann sie schlüssige Antworten über diese Menschenmasse geben. Das war möglich, das wurde genutzt und kostete Zuckerberg Milliarden Verluste, als es aufgedeckt wurde.

Für CA hat der Pole Michal Kosinski 2008 die Technik ausgearbeitet, im Psychometrics Centre von Cambridge, ausgehend von der Interaktion der Facebook-Benutzer. Der Psychologe Alexandr Kogan (Geburtsjahr 1985 oder 86), aus Moldawien, ging ihm zur Hand. Er arbeitete für CA den Fragebogen „myPersonality“ aus, die Anpassung des OCEAN-Fragebogens ans Internet. Sie stellten ihren elektronischen Fragebogen ins Netz. Jeder hatte Zugang. Die Folgen sind unmöglich absehbar – es sei denn, die ganze Welt verzichtet freiwillig auf die elektronische Kommunikation, was heute undenkbar ist.

So wurde das politische Profil jedes Erdenbürgers praktisch für jeden Interessenten offengelegt und kann praktisch binnen einer Minute aus rund 4000 Variablen herausgefiltert und bekanntgemacht werden. Die Gefahr für jeden demokratischen Prozess ist erahn-, aber kaum beschreibbar, sobald die Minutenerkenntnis auf eine je größere Menschenmasse umgelegt wird. Jeder kann durch Mikro-Profilierung eingeordnet werden, die Reaktionen von jedermann auf Impulse von außen sind voraussehbar geworden.

Jüngst erzählte mir eine junge Frau, die eben in England ihr Psychologiestudium mit einem Master beendet hatte, sie habe vor, einen Doktor zum Thema Persönlichkeitserkennung per Studium der Computerverwendung (bzw. des Schreibens auf dem Computer) zu machen. Dazu gäbe es weltweit erst einige Vorarbeiten, doch das Thema sei nicht nur spannend, sondern auch von hohem Interesse, bis hin zur Lernpsychologie und zum Studium von Arbeits- und Denktechniken. Die englische Universität fordere von ihr, mit einem Sponsor anzutreten, der ihr Doktorat unterstützt und an den Ergebnissen interessiert ist. Nahezu alle namhaften Geheimdienste der Welt haben sich als interessiert gemeldet, als sie ihre Absicht im Internet kundtat - wie von der Universität gefordert. Daraufhin hat sie – vorläufig – das Thema auf Eis gelegt.

Das Hirn der Bürger liegt frei, wie hinter Glas. Der Bürger selbst ist gläsern geworden. Seine Freiheit und Rationalität stehen auf der Kippe. Durchsichtige Bürger sind für Manipulationen offen.
Glas ist zerbrechlich!