Der Goldene Hirsch und seine unsichere Zukunft

Ein bekannter Markenname bleibt seit drei Jahren unbenutzt

Klein und bescheiden wartet heute der Hirsch vor dem Kronstädter Aro-Palace-Hotel auf bessere Zeiten.
Foto: Hans Butmaloiu

Das Altes Rathaus (im Bild) und die Schwarze Kirche wurden nach 1989 immer auch in die Werbung für das Schlagerfestival eingebunden.

Ein Kronstädter Märchen, vom Leben geschrieben

Es war einmal, vor noch nicht allzulanger Zeit, ein Goldener Hirsch, der sich jedes Jahr, gewöhnlich zu Herbstbeginn, für eine Woche in Kronstadt/Braşov zeigte. Er kam nicht allein, sondern brachte Sänger und Sängerinnen von nah und fern mit. Manche kamen sogar vom anderen Ende der Welt, um in der Stadt am Fuße der Zinne vorzusingen und den Sprung ins große Showbusiness zu schaffen...

Die Kronstädter erwiesen sich als gute Gastgeber: Hotels standen für das Gefolge des Hirsches bereit, wie auch für die Gäste. Die Stadtväter gaben sich große Mühe – der Goldene Hirsch wurde zur Prestigesache der Stadt erklärt: alles musste klappen, nichts durfte fehlen. Man wollte sich von seiner besten Seite zeigen und niemanden enttäuschen.

Der damals noch nicht allmächtige Herrscher des Landes, so sagt man, wollte der Welt zeigen, wie gut und frei man in seinem Land leben und singen konnte. Warum sollte nicht auch Rumänien, so wie Italien, ein Schlagerfestival à la San Remo haben?

Vor 42 Jahren wurde dem Goldenen Hirsch  das Dramentheater zur Verfügung gestellt. Weil aber nicht nur die Leute im Saal und nicht nur die Kronstädter etwas vom Glanz des Hirsches mitbekommen sollten, wurde das Fernsehen, damals noch in der bescheidenen Schwarz-Weiß-Variante, dem Hirschen zu Füßen gelegt. Das lief vier Jahre sehr gut.

Das Volk war zufrieden, es gab Unterhaltung und Abwechslung vom nicht gerade sorgenlosen Alltag. Die Kronstädter waren sogar stolz, dass ihre Stadt nun auch von Stars besucht wurde, die in Gastkonzerten auftraten und wahre Straßenfeger waren. Denn zu den Abendstunden wollten sehr viele im Fernsehen die Auftritte der Stars, die ja sogar im goldenen Westen als solche gefeiert wurden, „live“ miterleben.

Aber dann kam das Aus für den Hirschen. Er wurde verjagt und verbannt. Warum das so sein musste, konnte man sich eigentlich nicht richtig erklären. Vielleicht war der böse Herrscher irritiert, dass der Hirsch und das ganze Treiben um ihn viel beliebter wurden, als die offizielle Propaganda um seine Person und seine Politik. Geblieben ist die Erinnerung an die kurze, aber schöne Zeit, in der der Goldene Hirsch in Kronstadt, wenn auch nur für eine Woche im Jahr, das Sagen hatte.

Die Jahre vergingen und als niemand es noch zu hoffen wagte, wurden der böse Herrscher und seine nicht minder böse Frau gestürzt und erschossen. Alle atmeten erleichtert auf und freuten sich bereits auf zukünftige Jahre, die nicht nur Freiheit und Demokratie, sondern auch Wohlstand zu bringen versprachen. Das war der Zeitpunkt auf den der verschollene Goldene Hirsch gewartet hatte!

Er feierte ein glanzvolles Comeback. Kronstadt lag ihm zu Füßen. Nicht ein Saal, sondern der bekannteste und schönste Platz der Stadt wurde ihm zur Verfügung gestellt. Dort wurden Zuschauertribünen aufgestellt, wie auch eine Freilichtbühne mit allen dazu gehörenden technischen Feinheiten und mit einem mehr oder minder beeindruckenden Bühnenbild, jedes Jahr ein anderes.

Es dauerte einige Wochen, bis alles Festival-bereit war und weitere Wochen bis alles wieder so werden konnte, wie es gewesen war und wie es eigentlich den Kronstädtern und den Touristen am besten gefiel. Diese Unannehmlichkeiten nahmen die meisten gern in Kauf, denn es hieß: „Unser Hirsch ist wieder da; unser Hirsch bringt uns ins Fernsehen und damit auch in die weite Welt.“

Als der Hirsch 41 Jahre alt wurde, 2009 war es, wusste er nicht, dass seine Zeit wieder mal vorbei sein würde. Diesmal war es nicht ein Diktator, der ihm nicht wohlgesinnt war. Es waren das Geld, die Krise und die Unfähigkeit des Fernsehens, ihn weiterleben zu lassen. Leider gibt es – bis jetzt – kein Happy End für den Hirschen.

Keine rein Kronstädter Angelegenheit

Wo es kein Happy End gibt, muss man nicht gleich von einem Drama oder sogar von einer Tragödie sprechen. Den Goldenen Hirsch zu retten ist eine Initiative, die in Kronstadt gut ankommen dürfte und die deshalb auch die Politiker nicht unbeachtet lassen. Nur stellt sich die Frage, wie ist so etwas machbar, was setzt es an Kosten voraus.

Christian Macedonschi, Mitglied seitens des Deutschen Forums im Kronstädter Stadtrat, ist einer der Verfechter der Idee, dass die Kronstädter die Organisation dieses Schlagerfestivals selbst übernehmen sollten. Das sei gut für das Image der Stadt und würde ein medienwirksames Event darstellen, welches auch eine Touristenattraktion ersten Ranges wäre. Den Goldenen Hirsch in Kronstadt zu behalten war auch ein Punkt in seinem Wahlkampf als Bürgermeisterkandidat seitens des Kronstädter Forums.

Nun setzt er diese Bemühungen fort, diesmal in Form einer Kampagne über eine noch zu gründende lokale Initiativ- und Aktionsgruppe. Ein erstes Treffen dieser Gruppe fand in der ersten Oktoberhälfte beim Kronstädter Forum statt. Zwei Punkte standen zur Debatte: der Goldene Hirsch und Projekte zum Thema Verkehrsgestaltung in der Inneren Stadt.

Raul Fântâna, ein Experte in Sachen Urheberrechte, der sich bereits im Auftrag des Bürgermeisteramtes mit der Problematik der Austragungsrechte des Festivals beschäftigt hatte, informierte die rund 20 Anwesenden über den aktuellen Stand der Dinge und die damit verbundenen Erfolgschancen. Der „Goldene Hirsch“ sei eine eingetragene Marke im Besitz des rumänischen Staatsfernsehens (TVR), sagte Fântâna.

Unser Hirsch ist also  ein „TVR-Hirsch“ und wenn man das Schlagerfestival unter diesem inzwischen einprägsam gewordenen Namen in Kronstadt beibehalten will, so muss man mit dem öffentlichen Fernsehen verhandeln und wohl dazu auch finanziell beitragen.

Das Festival soll TVR zuletzt rund 1 Million Euro pro Auflage gekostet haben. Sicher, es gibt auch eine Finanzierung über Werbung und Sponsoren – aber es ist klar, dass in der gegenwärtigen eigenen organisatorischen und finanziellen Krise TVR es sich nicht leisten kann, weiter als Hauptveranstalter des Festivals aufzutreten. Ein Nichtregierungsverein, wie die von Macedonschi angeregte Gruppe, wird nie solche Summen aufbringen können.

So bleibt eine Partnerschaft, eine Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden (Stadtrat, Kreisrat) als Lösung. Macedonschi hat, in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Vereins zur Förderung und Entwicklung des Tourismus im Kreis Kronstadt (APDT), auch das Ministerium für regionale Entwicklung und Tourismus angeschrieben und bezüglich einer Mitfinanzierung des „Goldenen Hirschen“ angefragt, weil das Schlagerfestival, so wie Oktoberfest, Turnier der Burgen u. a. ins offizielle Kronstädter Tourismusprogramm aufgenommen werden sollte.

Das Festival könnte auch auf den Alten Marktplatz als Austragungsort verzichten und auf die Ţiriac-Arena oder auf das Gelände des ehemaligen Munizipalstadions ausweichen. Bisher wollte TVR nichts von solchen Vorschlägen wissen – im Gegenteil: dort stellte man als Voraussetzung für die Kronstädter Festivalveranstaltung, dass der Alte Marktplatz zur Verfügung stehen soll, wenn möglich auch kostenlos, als Eigenbeitrag der Stadt an den Austragungskosten. Ansonsten, hieß es damals in den Kulissen, könnte der Goldene Hirsch nach Bukarest oder an die Schwarzmeerküste wandern und sich dort niederlassen.

Gerade solche Varianten bereiten jenen Kronstädtern, die an dem Goldenen Hirschen hängen, sowohl Ärger als auch Sorgen. Deshalb würden sie den eingetragenen Markennamen „Goldener Hirsch“ im Namen der Stadt oder eines Kronstädter Vereins beanspruchen und dann selber sehen, mit wem und wie das Festival veranstaltet und im Fernsehen übertragen wird.

Um sich mit TVR oder einem anderen Inhaber-Anwärter des Markennamens „Goldener Hirsch“ (genannt wurde auch eine Firma des Bauingenieurs Tiberiu Cârstea, der die Bühne und die Zuschauerarena auf dem Marktplatz bereitstellte) an einen Verhandlungstisch zu setzen, müssen die Kronstädter ihren Stadtrat hinter sich wissen. Dieser wiederum wird sich wohl fragen, ob dieses Thema wirklich aktuell ist oder nur ein paar Nostalgiker und Rentner beschäftigt.

Eine Unterschriftenaktion zugunsten des Goldenen Hirsches wird also früher oder später unumgänglich sein, wenn es konkreter um seine Zukunft gehen soll. Die schwache Beteiligung an der ersten Begegnung der Initiativ- und Aktionsgruppe ist zwar ein Dämpfer für die angestrebte  Wiederbelebungskampagne des Goldenen Hirsches, was aber noch lange nicht heißt, dass der Kampf bereits verloren ist.