Der Gründer der Evangelischen Akademie Siebenbürgen

Zu Gerhard Möckels 90. Geburtstag

Ein Ort des Dialogs: die Evangelische Akademie Siebenbürgen in dem Hermannstadt eingemeindeten Neppendorf

Ende November wäre Pfarrer Gerhard Möckel, der Gründer der Evangelischen Akademie Siebenbürgen, 90 Jahre alt geworden. In diesem Jahr, am 13. August, haben sich manche erinnert, dass ein Jahrzehnt vergangen ist seit seinem Tod in Heidelberg. Es sind Anlässe, an Gerhard Möckel zu erinnern, an eine Persönlichkeit der Siebenbürger Sachsen, einen Mann, der durch seinen Optimismus und seine Begeisterung gewagt hat, einen neuen Weg einzuschlagen und allen zu zeigen, dass in Umbruchzeiten etwas zu schaffen ist, wenn man den entsprechenden Willen und die Energie hat und ganz besonders die Beharrlichkeit. In einer Zeit,  da viele wieder ein finis saxoniae heraufbeschworen haben, hat er an einen neuen Anfang geglaubt.

Hier in Siebenbürgen kommt uns sein Name, wenn wir an die Evangelische Akademie Siebenbürgen denken, sofort in den Sinn. Er war der Initiator und ebenso die treibende Kraft dieser in Rumänien einmaligen und für viele  rätselhaften Institution. Die Einmaligkeit bestand nicht nur darin, dass die Akademie in diesem Sinne ein völlig neuer und unbekannter Begriff war, sondern dass sie in einer Zeit geplant und dann errichtet wurde, in welcher die große Welle der Auswanderung schon vorbei war und wo man sich hierzulande gefragt hat, ob die Hiergebliebenen noch eine Zukunft haben werden.

Kirchen standen vieler-orts leer, in vielen Dörfern sind nur einige alte Leute geblieben. In den Städten war die Lage etwas besser und dies erklärte man dadurch, dass hier ein Teil der intellektuellen Elite heimattreu geblieben ist. Es waren Pfarrer, Lehrkräfte und andere Akademiker, für welche das Wort Heimat großgeschrieben war und die trotz der desolaten Lage noch eine Zukunft in Rumänien sahen. Solchen Leuten hat sich einer angeschlossen, der gewagt hat, gegen den Strom zu schwimmen, Gerhard Möckel.

Er war für viele ein Exot. Der Sohn des berühmten Kronstädter Stadtpfarrers Konrad Möckel befand sich kurz nach seinem Abitur in Deutschland, wo er seinen Militärdienst in der zweiten Hälfte des Krieges absolvieren musste. Ebenfalls in Deutschland hat er Theologie studiert, ähnlich wie sein Vater, der Ende der fünfziger Jahre in dem Schwarze-Kirche-Prozess verurteilt und ins Gefängnis gesperrt wurde.

Auch in der neu gegründeten Bundesrepublik Deutschland, wo sich die siebenbürgisch-sächsische Landsmannschaft für eine geschlossene Auswanderung aller Sachsen aus Rumänien stark machte, ging Gerhard Möckel kühn in eine Gegenrichtung. Er gehörte, so wie Paul Philippi, zu einer Minderheit, die sich gegen die Auswanderung und für die Konsolidierung der Sachsen in Siebenbürgen aussprach. So wie er in einem Referat von 1981 über sich selbst und andere Gleichgesinnte schrieb: „Wir damaligen Frauen und Männer des Beginns waren durch höhere Gewalt in Deutschland geblieben und hatten die Heimat nicht durch eigene Entscheidung verlassen. Wir waren ausgesperrt worden. Dies ist ein entscheidender Unterschied gegenüber den später Ausgesiedelten, die die Heimat durch einen eigenen, schweren Entschluss verlassen mussten“.

Mit einem Vater, der Anfang der sechziger Jahre erst nach großen Schwierigkeiten nach Deutschland ausreisen durfte, blieb Gerhard Möckel fern von Siebenbürgen, obwohl er seine alte Heimat ständig im Gedächtnis hatte. Diesbezüglich nahm er an allerlei Gremien und Veranstaltungen teil, die das Studium  Siebenbürgens und ganz besonders das Fortleben der Siebenbürger Sachsen in ihrer Heimat  zu ihrem Anliegen machten. Der Evangelische Freundeskreis Siebenbürgen ist nur ein Beispiel dafür, in dessen Zeitschrift „Zugänge“ viele wertvolle Beiträge veröffentlicht wurden.
Wenn bis 1989 seine Ideen nur ehrenvolle Anstrengungen blieben, eröffnete ihm die große Wende in Osteuropa unerwartete Perspektiven.

Mit plötzlich vervielfachter Energie schritt er zur Tat, kam nach Hermannstadt und schlug die Gründung einer Evangelischen Akademie vor. In einem Siebenbürgen, wo die meisten seiner Landsleute auf gepackten Koffern saßen, wenn sie nicht schon in Deutschland angekommen waren, hörte sich sein Vorschlag als etwas Merkwürdiges, Bizarres an. Eine neue Institution in einer kleinen Welt, die zusammenbrach? Wem sollte das dienen? Und mit welchen Mitteln sollte man das schaffen? Nicht wenige hielten die Idee für eine Utopie. Für die Skeptiker fand Gerhard Möckel eine Antwort. Er setzte seine ganze Energie ein, um die finanziellen Mittel zu beschaffen. Er hat sich in eine riesige Arbeit gestürzt.

Überall in Deutschland hat er Sponsoren gesucht und mit viel Mühe hat er sie auch gefunden. Die wichtigsten waren die Nachkommen des ehemaligen deutschen Diplomaten bei der deutschen Gesandtschaft in Bukarest, vor dem Attentat vom 20. Juli 1944, Hans Bernd von Haeften. Zahlreiche andere Spender haben sich angeschlossen. Was daraus entstanden ist, kann man heute im Hof der evangelischen Kirche in Neppendorf sehen. Eine für Rumänien einmalige Institution, wo das Wort Dialog groß geschrieben wird. Leider ist sie nach vielen Jahren der erfolgreichen Arbeit in Rumänien immer noch zu wenig bekannt. Das nicht nur wegen der deutschen Sprache, in welcher die meisten Tagungen stattfinden, sondern auch wegen der zu geringen Entwicklung der Kultur des Dialogs in diesem Land.

Was hat Gerhard Möckel dazu getrieben, in hohem Alter eine so schwere Bürde auf sich zu nehmen? Die Lektüre seiner Briefe und Artikel, teilweise gesammelt in dem 1997 beim Südostdeutschen Kulturwerk veröffentlichten Band „Fatum oder Datum“, zeigen die Hauptlinien seines Denkens. Eine seiner Überzeugungen war „das Vertrauen auf die positive Wirkung des öffentlichen Gesprächs, auf die kathartische Wirkung des Dialogs.“

Diese Wirkung des Gesprächs kann man in seinen Briefen verfolgen. Viele Jahre nach dem Krieg führte er einen Briefwechsel mit dem ehemaligen Bischof zu NS-Zeiten Wilhelm Staedel. 1967 gibt er zu, dass er mit diesem seit Jahren innerlich in einem Gespräch gewesen war. Diese Briefe, aber nicht nur diese, zeigen das rege Interesse Gerhard Möckels für die Geschichte der Siebenbürger Sachsen in der Zeit der Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Er hat immer wieder versucht, den historischen Zusammenhang sachlich zu verstehen.

In einer Zeit, wo in Europa alles erstarrt schien und keine Perspektiven einer Änderung in Sicht waren, konnte er auch das Gute in Rumänien sehen. Das Positive zu sehen war ein Merkmal seiner Weltanschauung. 1969 schrieb er über das Leben der Rumäniendeutschen in der alten Heimat: „Zunächst kann nur ganz nüchtern die Frage gestellt werden, ob in der heutigen Wirklichkeit die einzige Möglichkeit ist, in jener fatalen Schau zur eigenen Geschichte zu verharren. Das Leben geht weiter. Ist diese Zeit nicht, wie jede andere Zeit auch, Gnadenzeit für den, der sie aus Gottes Hand nimmt? Ist es deshalb erlaubt und möglich, in solcher Weise fixiert zu bleiben auf ein böses Geschick, das einem widerfuhr? (...) Denn wer diesen Staat pauschal ablehnt, wer in innerer Emigration lebt, dem wird seine Kritik nicht abgenommen, der wird keinen Einfluss auf ihn nehmen können, der wird nichts ändern können.“

Ja, Gerhard Möckel hat immer versucht, etwas positiv zu verändern. Die permanente Unruhe betreffend Siebenbürgen und seine Sachsen von einem, der seit 1943 im freien Westen gelebt hat und sein Tatendrang, sobald der Eiserne Vorhang gefallen war, sind Beweise seines Engagements für sein kleines Volk. Man kann schwer ein besseres Beispiel finden, wie eine Idee und Beharrlichkeit zu  ihrer Durchsetzung führen als die Evangelische Akademie Siebenbürgen. In einer Zeit, da die meisten sich skeptisch äußerten, obwohl sie nicht direkt dagegen waren, hat ein älterer Mann gezeigt, dass ein starker Wille, gegründet auf viel Idealismus, Berge versetzen kann.

Last but not least, seine treue Gattin Dorothea Koch Möckel, eine waschechte Berlinerin, Tochter eines Widerstandskämpfers des 20. Juli. Neben ihrem Mann hat sie tapfer gekämpft für die Verwirklichung seiner Ideen. Die Evangelische Akademie Siebenbürgen ist auch ein Resultat ihrer unerschöpflichen Arbeit. Und was noch erstaunlich ist: In einer Zeit, da viele Frauen aus Rumänien nur an den „goldenen“ Westen gedacht haben, hat Dorothea Koch Möckel ihre zweite Heimat in Siebenbürgen gefunden.

Für die Evangelische Akademie und für ihren unermüdlichen Einsatz für Siebenbürgen und seine Bewohner ein Dankeschön von ganzem Herzen an Gerhard und Dorothea Möckel.