Der lange Weg von der Diskriminierung zur Eingliederung

Im Roma-Viertel Gârcini in Săcele soll eine Volkszählung stattfinden

Roma-Kinder in Zizin
Foto: Ralf Sudrigian

Die offiziellen Zahlen der letzten Volkszählung in Rumänien von 2011 mit Bezug auf die Roma-Bevölkerung werfen einige Fragezeichen auf. 619.007 Personen bekannten sich damals, Rom zu sein. Somit ist diese ethnische Minderheit, nach den Ungarn, die zweitgrößte. Fachleute, Politiker und Vertreter der Roma selber gehen aber davon aus, dass die tatsächliche Zahl der Roma weit höher ist. Sie könnte zwischen 1,5 und 2 Millionen liegen, sodass diese Minderheit an die zehn Prozent der Landesbevölkerung stellt. Im Stadtviertel Gârcini des Munizipiums Săcele, eine der landesweit größten Ballungen mit einer kompakten Roma-Bevölkerung, sollen, nach Angaben des Bürgermeisteramtes, rund 10.000 Roma leben. Laut Volkszählung von 2011 sind es aber nur 328. Nun will die Stadtverwaltung von Săcele in den nächsten Monaten eine zusätzliche Volkszählung in Auftrag geben. Das gehört zu einem Maßnahmenprogramm, um die Probleme vor Ort genau zu benennen und nach Lösungen zu suchen. Die Lebensumstände und die Schwierigkeiten der Roma sind aber in Săcele dieselben wie in ganz Rumänien. Und diese sind bereits europaweit bekannt. Eine Diskriminierung der Roma gibt keine Behörde zu. Auf dem Papier existiert diese auch nicht. Es ist eher ein Problem der Einstellung, der Tatsachen vor Ort. Und manchmal kommt es zu gewalttätigen Ausschreitungen aufgrund spontaner Konflikte, wie das zuletzt vor einigen Wochen in Gheorgheni (Kreis Harghita) geschehen sein soll.

Eine Arbeitsgruppe mit  ihren Ausschüssen

Bei der Kreispräfektur Kronstadt/Braşov besteht eine gemischte Arbeitsgruppe mit acht Fachausschüssen sowie ein Kreisbüro für Roma-Fragen. Sie sollen die Regierungsstrategie zur sozialen Eingliederung der Roma umsetzen. Die Namen der Fachausschüsse sowie die Behörden, deren Vertreter dazugehören, zeigen, wie komplex ein solches Integrationsprogramm ist. Folgende Bereiche sollen dabei berücksichtigt werden: Bildung, Arbeitsbeschäftigung, Gesundheitswesen, Wohnungsbedingungen und Infrastruktur, Kultur, Soziales, Projekte und Programme. Die Roma selber sind repräsentiert durch Marton Szász, Berater des Präfekten, und Vertreter der „Partida Romilor“ sowie lokale Leader aus folgenden Ortschaften: Săcele, Fogarasch, Augustin, Reps, Hamruden, Predeal, Rakosch, Seiburg, Krebsbach, Budila, Teliu, Tartlau, Großschenk, Hârseni, Wolkendorf, Nussbach, Apaţa, Comana, Dumbrăviţa, Rosenau. Wie leicht festgestellt werden kann, sind im Kreis Kronstadt, vor allem am Lande, viele Ortschaften zu verzeichnen, wo eine mehr oder weniger große Roma-Bevölkerung lebt. Laut dem damaligen Kreispräfekten, Mihai Mohaci, waren es 2015 eigentlich rund elf Prozent der gesamten Kreisbevölkerung – in absoluten Zahlen: 57.740 (Schätzung), obwohl die offiziellen Angaben bedeutend geringer sind. Marton Szász gab für eine Kronstädter Tageszeitung folgende Angaben: in 48 der 58 Ortschaften aus dem Kreisgebiet leben beträchtliche Roma-Gemeinschaften. Außer Gârcini gibt es zahlreiche Roma in den Gemeinden Augustin (99 Prozent der Bevölkerung), Apa]a, Racoş, Tărlungeni (rund 2500), Budila, Katzendorf, Hamruden, Ormeniş, aber auch in den Fogarascher Stadtteilen Combinat und Galaţi (rund 6000) oder im Zeidner Ortsteil Mălin (rund 2000).

Widersprüchliche Trends

In einer im Auftrag der Entwicklungsagentur der Wirtschaftsregion Zentrum von „SC Mancom Centru SRL“ erstellten Analyse („Untersuchung betreffend benachteiligte Gemeinschaften – Roma in der Region Zentrum“) wird darauf hingewiesen, dass innerhalb der Roma-Minderheit eine „innere Migration“ in Betracht gezogen werden kann. Diese könnte von Gemeinden mit schwierigeren Lebensbedingungen in Gemeinden ohne größere Probleme erfolgen, wie auch vom Land zur Stadt oder von den Randvierteln ins Gemeindezentrum. Andrerseits könnte sich manche Ortschaft (auch durch Alterungsprozess und Abwanderung der rumänischen oder ungarischen Bevölkerung) in einigen Jahren in eine Ortschaft wandeln, wo ausschließlich Roma leben. Bereits jetzt könnte eine „räumliche Segregation“ zwischen Roma und Mehrheitsbevölkerung festgestellt werden, mit allen negativen Folgen, die sie mit sich bringt. Das vom Staat garantierte Mindesteinkommen sowie gelegentliche Arbeiten als Tagelöhner seien die Haupteinkommensquellen der Roma. „Die Roma selber müssen aktiv werden, die ihnen gebotenen Möglichkeiten wahrnehmen und akzeptieren. Letztendlich können nur sie selber ihre eigenen Fähigkeiten und Sonderfertigkeiten verbessern, sodass sie die Angebote des Arbeitsmarktes nutzen können“. Statt dessen werden von dieser benachteiligten Bevölkerungsgruppe oft andere Lösungen versucht: Auswanderung, Assimilierung, wenn nicht Resignation und Auto-Isolierung eintritt.

Rom oder Rumäne?

Wenn es zu der angekündigten Volkszählung in Săcele tatsächlich kommen sollte, muss die Stadtverwaltung im Vorfeld eine umfangreiche und überzeugende Informationsarbeit leisten. Denn niemand kann gezwungen werden, sich zu der einen oder anderen Ethnie zu bekennen. Das ist eine freiwillige Entscheidung, die auch verweigert werden kann. Dass viele Roma zögern, sich als solche zu bezeichnen, hat vielfache Gründe: Viele fürchten als Roma gewissen Benachteiligungen ausgesetzt zu werden; andere sprechen nicht Romanes als Muttersprache und kennen ihre eigenen Traditionen nicht, sodass sie sich eher als Rumänen, Ungarn oder Türken ansehen. Oder, auch das kommt vor, sie können sich nicht ausweisen, weil sie keine amtlichen Dokumente besitzen – folglich werden sie in einer Volkszählung auch nicht erfasst. Wenn Gârcini in den Unterlagen mit der tatsächlichen Roma-Bevölkerung geführt wird, dann können leichter und mit der notwendigen Begründung Anträge zur Förderung einschließlich aus EU-Mitteln gestellt werden. Eine lokale Aktionsgruppe wurde unlängst gegründet, als Anlaufstelle für die Zusammenarbeit mit den Behörden. Wenn die klappt, gebe es Aussichten, dass die 1500 Roma-Schüler auch in einer zweiten Schule lernen können. Die Eigentumsverhältnisse von rund einem Drittel der Wirtschaften (deren Zahl dem Bürgermeisteramt noch immer unbekannt ist) könnten geklärt werden; weitere Straßen könnten gepflastert werden, sodass die Kinder die verschmutzten Stiefel in der Schule nicht mehr mit anderen Schuhen austauschen müssen.