Der Lehrer als Freund

Georg Schirkonyer – ein aktiver Rentner und seine Vorschläge

Georg Schirkonyer vor seinem Haus. Fotos: der Verfasser

Die weite Welt in Modellbauten, von Georg Schirkonyer zusammengestellt

Der Zeidner Kirchenturm mit dem neu eingerichteten Museum im Vordergrund

Über das rumänische Schulwesen wird viel gesprochen und dabei auch vieles kritisch betrachtet. Jene die es tun, sind in der Regel die Eltern der Schüler, die ja alle auch einmal Schüler waren. Wenn aber jemand als „Teil des Systems“, als Lehrer oder ehemaliger Lehrer sich dazu äußert, dann dürften solche Meinungen schwerer ins Gewicht fallen, weil  Erfahrung und Fachwissen vorausgesetzt werden.


Georg Schirkonyer aus Zeiden/Codlea befindet sich seit neun Jahren im Ruhestand. Als ehemaliger Mathematiklehrer verfolgt er aufmerksam die Debatten und Berichte über Unterricht und Schulen. Dabei ist es unumgänglich, dass der heute 79-Jährige Vergleiche zu den Zeiten zieht, als er selbst am Katheder stand. Auch ist Schirkonyer gut informiert über den Unterricht in anderen Ländern, sowohl durch Berichte aus der Presse, als auch dank seiner Besuche im Ausland.


Ein antiautoritärer Typ


Kommunismus, Uniformen, Lehrer unter Partei-Bevormundung – vor 1989 war es nicht einfach für jemanden, der seinen Lehrerberuf ernst nahm und sein Wissen den Schülern mög-lichst gut vermitteln wollte. Mathematik ist zudem ein Fach, vor dem sich viele Kinder zunächst fürchten. Georg Schirkonyer, der seine Lehrertätigkeit in Brenndorf/Bod begann (1964 – 1971), bevor er nach Zeiden/Codlea zum damaligen „Theoretischen Lyzeum“ überwechselte, suchte Zahlen, Formeln, geometrische Figuren undTextaufgaben mit Spaß und Kuriositäten zu verbinden. Solch ein Spielen mit den Zahlen gibt es, nur muss man das gut vorbereiten und an passender Stelle einbringen. So wird „Mathe“ spannender, lustiger und vielleicht sogar auch leichter.


Heute werde die Schule zu leicht und zu oft angeklagt, meint Schirkonyer. Man habe den Eindruck, es handle sich dabei um eine allgemeine Katastrophe. Vieles laufe chaotisch, die Prüfungen sorgen für zu viel Stress. Die vorbereitende Klasse als „Klasse Null“ zu bezeichnen, sei auch nicht die beste Entscheidung gewesen. Der Unterricht sollte differenzierter sein, sagt Schirkonyer. Nach der sechsten Klasse könnte man, wie der frühere Unterrichtsminister Daniel Funeriu geplant hatte, getrennte Wege gehen. Duale Fachschulen waren längst fällig. Alternative Lehrbücher seien zu begrüßen; wenn es dann aber zu viele werden, dann sollte „Weniger ist besser“ gelten.


Nicht immer herrsche eine gute Stimmung im Klassenzimmer und in der Schule. Dazu seien aber in erster Linie Schuldirektor und Schulamt gefragt. Er selbst, so Schirkonyer, war immer der Meinung, dass Güte mehr bringt als Strenge. Der Lehrer könnte im Idealfall als Freund empfunden werden und nicht als Furcht und Schrecken einflößende Autorität. Er selbst hat stets versucht, sich den Schülern anzunähern; nicht immer sei ihm dies gelungen, denn in den Unterrichtsstunden gewann ab und zu auch sein cholerisches Wesen die Oberhand, gibt er heute offen zu. Doch Schule bedeutete nicht nur Unterricht, Noten und Hausaufgaben. Außerschulische Tätigkeiten stießen auf reges Interesse der Schüler, erzählt der Mathelehrer, der auch einen Fotokreis leitete, Schachspielen und Tischtennis förderte. Sehr beliebt waren auch Wanderungen. Einmal, so erinnert er sich, habe er - eigentlich beiläufig - einige Schüler zu einer gemeinsamen Sonntags-Wanderung aufgefordert. Das hatte sich in der Schule herumgesprochen und groß war sein Staunen, als an die 40 Schüler sich am Treffpunkt einfanden.


Lange Haare zu tragen war damals bekanntlich nicht gern gesehen. Schirkonyer, der selbst nicht gerade kurz geschoren war, wollte seine Schüler jedoch nicht zum Friseur schicken, obwohl die Schulleitung das von ihm erwartete. Erst als er selbst mit gestutztem Haar erschien, konnte er dasselbe auch seinen Schülern ans Herz legen. Das persönliche Beispiel des Lehrers, das seien keine leere Worte. Worauf Schirko-nyer als Lehrer viel Wert legte und was er auch heute noch empfiehlt: Die Schüler sollten lernen, möglichst unabhängig zu denken und zu handeln. Das beginnt bereits in den unteren Klassen, wo die Kinder, sicher zunächst unter Aufsicht, den Schulweg auch alleine meistern könnten. Auch beim Gestalten der Klassenstunden habe er seinen Schülern viel Freiraum gelassen. Sie bestimmten das Thema dieser Stunden selbst und bereiteten diese dann auch vor – eine Initiative, die die Klasse gut aufnahm. Mit anderen Worten, sagt Schirkonyer, der Lehrer sollte wissen, dass in seiner Arbeit psychologische Kenntnisse sehr wichtig sind.


Eine leichte Wahl


Für seine Wahl, Mathematik zu studieren, hat Georg Schirkonyer eine kurze, auf den ersten Blick unglaublich klingende Erklärung bereit: „In Mathe musste ich am wenigsten lernen.“ Das stimmt für all jene, denen logisches Denken zur zweiten Natur geworden ist. Schirkonyer gehört wohl dazu, so dass er sich nach einigen Schulklassen an einer Berufsschule für Hoch- und Tiefbau in Hermannstadt/Sibiu und nach Besuch des Abendlyzeums in Agnetheln/Agnita für ein Mathematik-Fernstudium an der Universität in Jassy/Iași entschloss. Hermannstadt und Agnetheln waren nicht zufällig Stationen seines Bildungsweges, denn Schirkonyers Heimatdorf ist nicht, wie es sein Nachname vermuten ließe, Schirkanyen/Șercaia, sondern Probstdorf/ Stejăriș – ein einst sächsisches Dorf der Gemeinde Jakobsdorf/Iacobeni im Harbachtal. Auch heute fährt der ehemalige Mathelehrer regelmäßig in sein Heimatdorf, wo er für das Elternhaus, den Obstgarten und die Bienenstöcke sorgt. Das alles hätte er ja nicht einfach nach Deutschland mitnehmen können, erklärt Schirkonyer, warum er nicht ans Auswandern dachte. Da scheint die Heimatliebe doch stärker gewesen zu sein als logisches Denken - falls jemand versucht wäre, zwischen den beiden Begriffen einen Widerspruch zu finden.


In Zeiden wohnt der jung gebliebene Rentner, der zudem Presbyter der evangelischen Kirchengemeinde ist, in einem schönen Haus mit Hof und Garten. Anders als es das übliche Klischee über zerstreute und mit wenig praktischem Sinn versehene Mathematiker schließen ließe, hat Schirkonyer die Räume selbst eingerichtet, Fliesen gelegt und andere Arbeiten verrichtet. In einem der Zimmer stehen auf einem Tisch Modelle bekannter Bauwerke oder landesspezifischer Bauten aus aller Welt. Zusammengestellt hat sie Schirkonyer aus den Vorlagen, die die Zeitschrift „Terra“ mitlieferte. Nach der Wende ist er in Europa auch viel gereist. Was ihm noch bevorstehen würde, wäre die weite Reise über den Ozean in die Vereinigten Staaten, wo seine Tochter Andrea lebt. Ehefrau Eugenia war bereits dort; er aber - als einer, der kein Sitzfleisch hat - weiß nicht, ob er die vielen Flugstunden im Flugzeugsessel verbringen könnte.


Warum nicht Schrebergärten, Radwege, Bauernmarkt?


Für Zeiden hat Schirkonyer einige Vorschläge, die die Gemeinde betreffen. Zeiden könnte schöner werden, lebenswerter sein. Warum könnten dort nicht, wie in deutschen Vorstädten, Schrebergärten von 200 bis 300 Quadratmetern Größe angelegt werden? Eine sinnvolle, gesunde und angenehme Art der Freizeitgestaltung wäre das. Ein geeignetes Grundstück würde sich schon finden lassen, z.B. am Stadtrand bei der Ausfahrt zum Zeidner Waldbad. Doch im Bürgermeisteramt zieht man es vor, diese Wiesen als Weideplatz an Hirten zu verpachten, weil das Geld einbringt. Ein anderer Vorschlag wäre, Radwege in der Stadt anzulegen, bis hin zum Waldbad. Radeln bringt die Leute zusammen und Bewegung fördert die Gesundheit. Ein Bauernmarkt könnte eine gute Alternative zu den Supermärkten sein, die nun auch in Zeiden aufgetaucht sind. Am Wochenende könnten dort Landwirte aus der Umgebung ihre Ware anbieten und einen Gewinn erzielen. Auch was die Müllabfuhr und getrennte Müllentsorgung betrifft, wäre in Zeiden noch Vieles nachzuholen. Als Beispiel nennt er die Wiederverwertung von Plastik, das zusammengepresst und gegossen sogar als Straßenpflaster genutzt werden könnte, wie es bereits anderswo in der Welt erfolgreich praktiziert wird. Schirkonyer hat diese Ideen auch dem Stadtrat, und nicht nur einmal, vorgestellt. Manche der Leute dort waren seine Schüler und hörten ihm zumindest höflich zu. Umgesetzt wurde bisher viel zu wenig. Allerdings, das Stadtzentrum wurde saniert; das städtische Museum der Zeidner Traditionen eröffnet. Gute Ansätze für weitere Schritte, hofft Schirkonyer. Wenn man den Entscheidungsträgern solche Pläne als gut argumentierte theoretische Überlegungen überzeugend präsentieren kann, dann wird irgendwann der gesunde Menschenverstand siegen und das gemeinsame Wohl überwiegen, hofft er. Leider gehen solche Rechnungen oft nicht auf: Eine Formel zu finden, um Geld, Ehrgeiz, Gruppeninteresse, Macht mit dem Allgemeinwohl auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, das bleibt weiterhin eine Herausforderung – eher für Politiker als für Mathematiker.