Der Oberchef

Über den Rand seines Weinglases schaute er mich an. „Weißt du zufällig, wie man sich bei LinkedIn anmeldet?“ Ich, genervt: „Wozu soll das gut sein?“ „Da sind alle Profis drin!“ Als ob das ein Argument wäre! „Das meldet sich dauernd bei dir per E-Mail und du wirst es nicht mehr los!“, versuche ich meinen Mann abzuschrecken. Ich muss es ja wissen... Meine Neugierde, mit der ich mich vor Lichtjahren mal eintrug, wird bis heute bitter bestraft. Das Passwort längst vergessen, dafür rödelt mir das Ding tagtäglich die Mailbox voll: „Hans Wurst hat einen neuen Kontakt hinzugefügt.“

Doch mein Göttergatte lässt sich nicht beirren. „Name... Vorname... Firma... Funktion...“ trägt er laut vor, tippt vor sich hin – und stutzt. „Du, was bin ich bei uns eigentlich?“ „Hä?“ „Na, Direktor, Manager, was soll ich da angeben?“ „Klingt ein bisschen heftig für eine Zweimannfirma, über die wir unsere Nebenjobs abwickeln“, gebe ich zu bedenken. Plötzlich grinst er mich herausfordernd an: „Aber – wer ist denn nun der Chef bei uns?“ In meinen Augen blitzt es schelmisch: „Ich, natürlich!“ Künstlerpause. Dann, mit einem versöhnlichen Augenzwinkern: „Aber du bist der Oberchef!“
O-b-e-r-c-h-e-f trägt er daraufhin spitzbübisch schmunzelnd bei LinkedIn ein und wir biegen uns vor Lachen. „Oder soll ich vielleicht nur ‚Ober‘ schreiben? Man will ja nicht zu dick auftragen.“ „Dann bist du Kellner! Gute Idee – kannst gleich noch ein Schlückchen Wein nachschenken“, pruste ich los und erkläre ihm in einem Aufwasch, dass ein Ober zwar ein Kellner, eine Oberin hingegen eine Klosterchefin ist. „Ein weiterer Grund für mich, nicht Deutsch zu lernen“, meint er bloß lakonisch. LinkedIn schluckt den Oberchef. Und fragt im nächsten Feld: Tätigkeit? „Arbeitez!“ sagt mein Göttergatte im Brustton der Überzeugung und trägt es ein. Sein deutsch-rumänisches Lieblingswort: eu arbeitez, tu arbeite{ti, noi arbeit²m usw. Oder darf man bei LinkedIn keinen Humor haben? Als nächstes fragt die Plattform: „Und was haben Sie gemacht, bevor Sie ‚Oberchef‘ wurden?“

Am nächsten Tag: „Ob ich das nicht doch wieder lösche?“, meinte mein Mann nachdenklich. Immerhin soll das ja ein Profi-Netzwerk sein. Doch bis wir herausfanden, wie man das Profil ändert, blieb er wohl oder übel eine Zeit lang „Oberchef“... „arbeitând“, wohlgemerkt. Ganz ähnlich ging es einem Sprachforscher aus Luxemburg, der in Bukarest auf einer Konferenz zu Genderfragen vortrug und meinte, es gehöre neuerdings zur „political correctness“, neben männlich und weiblich auch andere Geschlechtsattribute zu akzeptieren. „Sogar Google fragt bei der Eröffnung eines Kontos: Männlich? Weiblich? Anderes?“ erklärte er dem erstaunten Publikum. Aus Neugierde, was passieren würde, gab er dort seine Daten ein und klickte dann bei Geschlecht auf „Anderes“. Daraufhin fragte Google nach der gewünschten Anrede: Neben „Herr“, „Frau“, „Fräulein“ und einem Kästchen für den Eintrag eines akademischen Titels gab es auch hier wieder die Auswahl „Andere“, gefolgt von einem Eingabefeld. „Königliche Hoheit“ schrieb der Mann aus Jux und Dollerei dort hinein. Google schluckte es anstandslos. Weil ihm dies als Staatsbürger einer Monarchie aber dann doch ein wenig peinlich war, hat er es später geändert. Das einzige, was sich im Nachhinein nicht mehr ändern ließ, gestand er schmunzelnd, war – das Geschlecht!
Die Moral an der Geschicht? Spaße mit Social Media nicht! Oder: So weit ist es doch nicht her mit der Toleranz von Google...