Der Sachse aus der US Army

… oder die Lebensgeschichte des gebürtigen Hermannstädters Hans Kloos

Der rüstige Rentner Hans Kloos Foto: Hannelore Baier

Der gebürtige Hermannstädter Hans Kloos als Sergeant First Class. Foto: privat

„Ich bin der einzige in Siebenbürgen geborene Sachse, der Sergeant der US Army war“. Bestätigt hat ihm das ein Freund, der im Pentagon gearbeitet und dort im Computer nachgesehen hatte. Die anderen GI’s mit siebenbürgischen Wurzeln, derer es ebenfalls viele gab und gibt, waren in den USA geboren. SFC (Sergeant First Class, d.h. Stabsfeldwebel) a.D. Hans Kloos besuchte zu Weihnachten und Neujahr seine 86-jährige Schwester in Hermannstadt/Sibiu und kam in der ADZ-Redaktion vorbei, um aus seinem Leben zu plaudern. 

Hans Kloos wurde 1929 in Hermannstadt/Sibiu geboren und ging am Hundsrücken zur Schule. Sein Vater hatte in der Schmiedgasse ein Schuhgeschäft, er lernte jedoch Metzger und arbeitete in der  Firma Dahinten in der Neugasse. Damit ist der erste glückliche Zufall seines Lebens verbunden: Die Metzgerei musste für die Sowjets arbeiten, nachdem diese in Siebenbürgen eingezogen waren, und also auch den Laden in der Jungen-Wald-Straße beliefern. Am 12. Januar 1945 wurde der Lehrjunge Hans Kloos hingeschickt um auszuhelfen. Da war ein sowjetischer Major, der sagte ihm, er solle unbedingt über Nacht dort bleiben. Als er am nächsten Tag nach Hause kam, waren die Aushebungen für die Russlanddeportation vorbei.

Offensichtlich hatte der Major den Jungen ins Herz geschlossen und wollte ihn vor der Verschickung bewahren, weshalb er ihn nicht nach Hause gehen ließ. Verschont blieb er auch von späteren Aushebungen. „Gottseidank ist mir die Deportation erspart geblieben“, sagt Hans Kloos. In der Metzgerei Dahinten arbeitete er bis zum 10. Januar 1947. Dann brach er mit einem Freund in Richtung Westen auf.

Die Flucht

„Eigentlich hatte ich nicht daran gedacht, Siebenbürgen zu verlassen, selbst wenn das Weggehen in jenen Tagen, angesichts der allgemeinen Lage, das allgemeine Gesprächsthema war“, erinnert sich Hans Kloos.  Beim Schneider, wo er sich eine Hose machen ließ, traf er jedoch Bruno Meingast und der suchte nach einem Kameraden, um nach Österreich zu gelangen. Meingasts Frau war deportiert worden, er hatte sich 1946 nach Russland aufgemacht, um sie zu suchen, fand sie aber nicht. Als ehemaliges Mitglied der Waffen-SS in Rumänien war er der Verfolgung ausgesetzt, also entschloss er sich, wegzugehen, wollte den Schritt jedoch nicht allein tun. Kloos ging mit. Die beiden fuhren per Zug bis N²dlac, wo sie ausstiegen und sich versteckten. Unterwegs wurden sie von einem Wachsoldaten angehalten – Zugfahren war nur mit Erlaubnis der Polizei erlaubt – jedoch ließ der sie weiterfahren. Über die Grenze nach Ungarn gingen sie ganz früh am Morgen in der Dunkelheit. Irgendwann erblickten sie in der Ferne ein Licht, beim Nähergehen erkannten sie ein  Haus. Durchs Fenster sahen sie eine Frau, die Brot buk. Sie bestätigte ihnen, dass sie in Ungarn angekommen waren. „Die Frau war sehr anständig. Sie bat uns in das Haus, sie weckte ihren Mann, wir durften uns in ihre Betten legen und während wir schliefen, hat sie unsere Kleidung gesäubert und zwei Karten am Bahnhof gekauft“, erzählt Hans Kloos. Sein Freund Bruno konnte Ungarisch, er selbst sollte diese Sprache Jahre später in Kalifornien erlernen.

Mit dem Zug fuhren sie also weiter bis Budapest, zu Bekannten von Meingast. Wenige Tage später setzten sie sich in den Zug Richtung Sopron, d.h. österreichische Grenze. In Sopron griff die ungarische Polizei alle auf, die aussahen, als wollten sie über die Grenze flüchten. Da sie aber einer Frau beim Tragen von Hühnern und Milchkannen halfen, die diese zum Markt brachte, wurden sie in Ruhe gelassen. In Sopron hatten sie eine Bekannte, bei der wollten sie bis zum Abend warten, um sich dann auf den Weg über die Grenze zu machen. Als sie jedoch zum Tor hinausschritten, liefen sie zwei Polizisten in die Arme – und die Reise war vorerst beendet.

Auf die Fragen der Polizisten nach Herkunftsland und Ziel der Reise antworteten sie wahrheitsgetreu, sie kämen aus Rumänien und wollten nach Österreich. Einer der Polizisten belehrte sie, das Umgekehrte zu sagen, denn laut damaliger Verfügung mussten alle in das Land zurückgeschickt werden, aus dem sie kamen. Vorerst aber mussten sie acht Monate in Sopron im Gefängnis bleiben, ehe man sie nach Budapest in ein Auffanglager brachte. Dort wurden alle „Ausreisewilligen“ in einen Zug verfrachtet und wiederum bis Sopron gefahren. Über die Grenze durften letztlich dennoch nicht alle aus jenem Zug, sie aber hatten Glück, weil sie Deutsch sprachen. Die beiden Hermannstädter gelangten nach Wien. Noch war es das Jahr 1947.

In Österreich

In Wien wimmelte es in jenen Monaten von Flüchtlingen. Die österreichischen Bauern holten sich aus ihren Reihen Tagelöhner. Hans Kloos kam auf einen Hof bei St. Pölten und aus dem Tag wurden zwei Monate. Der Bauer hätte den Siebenbürger gern am Hof behalten, der aber wollte weiter und vor allem weg aus der sowjetischen Zone. Wieder bei Nacht, diesmal aber mittels Schleusern, schaffte er es nach Oberösterreich in die amerikanische Zone. Bruno wollte nach England weiter, dorthin wollte Hans jedoch nicht, also blieb er vorerst in Österreich. Zwei Monate lang verlud er in Linz Kohlen für die Amerikaner. Das war nun schon 1948. Dann traf er eine Bauersfrau, die einen Pferdeknecht suchte. Als solcher verdingte er sich die folgenden Monate. Er fand einen neuen Freund, der stammte aus Schlesien und war Schmied. Über diesen kam er auf einen weiteren Hof, wo er als Metzger arbeiten konnte und wofür er die Gesellenprüfung in Linz nachholte. In diesen Höfen hatten sich sechs deutsche Jugendliche aus ganz Osteuropa zusammengefunden, die sich trafen, so oft es ging. Eines Abends wurde Hans Kloos in dieser Gruppe geweissagt, dass er nach Amerika fahren werde. Es war das Jahr 1952.

Die Amerika-Fahrt gehörte nicht zu seinen Plänen, erzählt Hans Kloos. Doch riet ihm Pfarrer Sepp (Josef) Scheerer, der mit den Nordsiebenbürgern geflüchtet und in Linz Gefangenen- und Flüchtlingsseelsorger war, tatsächlich eines Tages, dorthin zu gehen. Denn: „Die Zukunft ist in Amerika“. Pfarrer Scheerer meldete Kloos – der mittlerweile einen Ausweis als „displaced person“ (Zivilperson, die sich kriegsbedingt außerhalb ihres Heimatstaates aufhielt) hatte – „irgendwo an“. Was für ein Amt das war, weiß Kloos nicht mehr. Drei Wochen später war er in Bremen und wurde nach Amerika eingeschifft. Er allein – zusammen mit rund viertausend Leuten: Junge, Alte, von überall. In New York angekommen, wurden die Leute auf ganz Amerika verteilt. Er wurde nach Detroit geschickt. Am Bahnhof stand er unter Tausenden Personen keine fünf Minuten lang, ehe ein Mann ihn fragte, ob er Hans Kloos sei. „Ein Jahr lang habe ich nachgedacht, woran der mich erkannt hat. Dann fiel mir ein, dass ich der Einzige war, der Knickerbocker trug.“ Für ihn gebürgt hatte die evangelische Kirche. Die vermittelte ihm Arbeit bei der Firma Fröhlich, einer Wurstfabrik, wo alle Deutsch sprachen. Nach wenigen Monaten erhielt er einen Brief, er müsse sich zum Militär melden. Das hätte er ablehnen können, aber auf der Verständigung stand, dass er dann keinen Anspruch auf die Staatsbürgerschaft stellen könne – und er war ja immer noch staatenlos.

Bei der US Army

„Ich hab mich gemeldet und gesagt, dass ich kein Englisch kann“, so Kloos. Bei den Amerikanern wird man über eine Aufnahmeprüfung zum Militär angenommen, die legte dann jemand anders für ihn ab. Eine Woche später war er in Texas in der Militärbasis Fort Bless bei El Paso, wo er die Grundausbildung erhielt. „Für mich war es nicht so schlimm, aber für die Ausbilder, denn die schrien mich an und ich hab nichts verstanden“, schmunzelt er. „Aus unserem Bataillon von 500 Leuten sind damals 497 nach Korea und drei Mann nach Deutschland geschickt worden“, erzählt er. Dass er Deutsch sprach, war zum zweiten Mal von großem Glück für ihn. Die folgenden fünf Jahre war er in Kaiserslautern stationiert. Danach kehrte er in die USA zurück und verließ die Army. Beides allerdings nur für kurze Zeit.

In Kaiserslautern hatte er eine junge Frau kennengelernt, hatte er Bekannte und fühlte sich mittlerweile heimisch. Nach kurzem Aufenthalt in den USA kehrte er also nach Deutschland zurück – und auch zur Army. Er wurde wieder eingestellt, musste jedoch einen militärischen Rang abgeben, und kam zum Militärstütztpunkt in Pirmasens. Nach etwa drei Jahren im Dienst fragte ihn der Personalchef, ob er nicht nach Budapest gehen möchte. Gesucht werde jemand für den Sicherheitsdienst der Botschaft. Er sagte zu, dachte sich aber, bei drei Millionen Soldaten werde man nicht ihn nehmen. Kurz danach wurde er verständigt, er solle sich in Monterey in Kalifornien melden. Zwischenzeitlich verheiratet und Vater eines Sohnes, flog er mit der Familie hin – um Ungarisch zu lernen. Er besuchte ein Jahr lang die größte staatliche Dolmetscherschule   (unterrichtet wurden 76 Sprachen) und schloss mit Auszeichnung ab.

So gelangte er nach Budapest. Das wiederum musste er dann Hals über Kopf verlassen, weil er zwei Brüder beim rumänischen Militär hatte, beide im Rang eines Oberst. Er blieb dann aber weitere 20 Jahre im Sicherheitsdienst (USAI, dem Nachrichtendienst der Armee) tätig und sprach Ungarisch. Zum Beispiel fragte er nach Deutschland geflüchtete oder ausgesiedelte ungarische Dissidenten aus. „Es war damals eine der wenigen Möglichkeit, Informationen über den Ostblock zu erhalten“, sagt er. Nur ein Jahr lang – 1969 – musste er Amerikanisch sprechen: in Vietnam. Seine Aufgabe bei der 101. US-Luftlandedivision war, Kriegsgefangene auszufragen. Das tat er mit Hilfe von vietnamesischen Soldaten, die Englisch konnten. Vom Einsatz an der Front blieb er auch diesmal verschont.

Sergeant First Class a.D.

1977 trat Hans Kloos in Rente und durfte fünf Jahre lang keine Berufsgeheimnisse ausplaudern oder nach Rumänien kommen.

Von seinen Eltern, die 1947 auch nach Österreich gelangt, dann aber nach Hermannstadt zurückgekehrt waren, hatte er über 30 Jahre lang nichts gewusst. Bei einem Fest in Kaiserslautern verwies man ihn an einen Mann, der Kontakte nach Hermannstadt hatte, und so erfuhr er, wo sie waren und wie es ihnen ging. Das Sächsische beherrschte er mittlerweile nicht mehr, engagierte sich aber nach der Pensionierung dennoch in der Landsmannschaft und war zehn Jahre lang der Vorsitzende der Kreisgruppe der Siebenbürger Sachsen in Kaiserslautern.

Weil er in seinem Leben sehr viel Gutes erfahren hatte und ihm so viele Menschen uneigennütz geholfen haben, begann er, das Gute an andere weiterzugeben. Er hielt Vorträge, sammelte Geld und sandte schon zu Ceauşescus Zeiten Pakete nach Rumänien, unternahm aber auch Fahrten, bei denen er Hilfen verteilte. Gleich nach der Wende organisierte er Hilfstransporte mit Kleidung, Lebensmitteln sowie medizinischen Ausstattungsgegenständen, die er zusammengetragen hatte.

Er verstand es, an den richtigen Stellen anzuklopfen um Spenden zu erhalten, mit denen er aber auch in Ungarn und Kroatien half. Ausgestattet wurden Krankenhäuser und gebaut wurde u.a. eine Kirche in Mohacs neben einem Heim für behinderte Kinder.

Hans Kloos ist dem Schicksal dankbar und sich dessen bewusst, dass es ihm ganz anders hätte ergehen können. Der American Dream war nicht geplant, aber er wurde wahr.    

NS: Die Spur des Freundes, mit dem er 1947 aufgebrochen war, hat er verloren.