Der Schein mag trügen, doch er trügt nicht die Klausenburger

Keine „Europäische Kulturhauptstadt 2021“, aber eine aufrichtige Selbstbeschreibung

Die Bewerbung Klausenburgs lief unter dem Motto „Servus 2021 - East of West“ und erzählt von der Wiederentdeckung des Selbst und des Erwachens eines neuen Bewusstsein.

Mittlerweile sind einige Tage vergangen, seitdem das Auswahlgremium um Steve Green die Vergabe des Titels der „Europäischen Kulturhauptstadt 2021“ verkündet hat. Während in Temeswar/Timișoara die Sektkorken knallten, machte sich in Klausenburg/Cluj-Napoca Katerstimmung breit. Die einen haben es offener ausgesprochen, die anderen sich eher zurückgehalten, aber jeder war sich sicher, dass das „Herz Transilvaniens“ in vier Jahren ins europäische Rampenlicht rücken wird. Die Enttäuschung war dementsprechend groß, sehen die Klausenburger ihre Stadt doch gerne als die heimliche Hauptstadt des Landes.

Internationale Aufmerksamkeit gewann die Stadt, als sie im vergangenen Jahr den Titel „Europäische Jugendhauptstadt“ trug. Das Untold-Festival lockte im August Tausende Besucher aus dem In- und Ausland an – sogar aus Bukarest – und auch die Fußballnationalmannschaft spielte zuletzt zweimal in der Cluj Arena. Während der Proteste gegen den Goldabbau in Roșia Montană war Klausenburg des Zentrum des zivilgesellschaftlichen Engagements.

Tausende ausländische Studenten leben hier, der IT-Sektor wächst immer weiter und auch in der Kunstszene macht sich die Stadt langsam einen Namen. Klausenburg ist sauber, grün und modern, hier wird investiert. Doch ein Blick hinter die Fassade zeigt, dass der Schein trügt. Ob Geschichtsrevanchismus an der Universität, finanzielle Unregelmäßigkeiten beim Untold-Festival oder das tägliche Verkehrschaos, es brennt an vielen Ecken der Stadt, nicht nur auf der Müllkippe Pata Rât. Das angrenzende Roma-Ghetto ist die Achillesferse der Stadt.

Doch viele der in den Tageszeitungen und Online-Foren diskutierten Aspekte hatten wenig bis keinen Einfluss auf die Entscheidung der internationalen Jury, auch nicht die oben genannten – mit Ausnahme der verbreiteten Ausgrenzung der Roma vom gesellschaftlichen Leben. Für die Wahl zur Kulturhauptstadt gibt es sechs Evaluierungskriterien: Langzeitstrategie, europäische Dimension, kulturelle und künstlerische Inhalte, Umsetzungsfähigkeit, Erreichung und Einbindung der Gesellschaft und Verwaltung. Sicherlich macht es an dieser Stelle wenig Sinn, die Bewerbungsunterlagen komplett auszuwerten, denn eine zweite Chance gibt es nicht. Beim Lesen des Klausenburger Konzeptes fällt jedoch auf, die Verantwortlichen haben eine sehr ehrliche Beschreibung ihrer Stadt
abgegeben. Da heißt es beispielsweise in der Einleitung: „Wir, die Einwohner, sind multikulturell nicht aus freien Stücken – wie in vielen anderen Regionen Europas – sondern durch das Schicksal.“

Wenn in der Bundesrepublik die Kanzlerin sagt: „Die Bestrebungen, in einer Multikulti-Gesellschaft, einfach nebeneinanderher zu leben, seien gescheitert,“ dann haben weder Angela Merkel noch die ihr Applaudierenden viel von Multikulturalität verstanden. Denn genau das bedeutet Multikulturalität, das Nebeneinander und nicht die Verschmelzung der verschiedenen Kulturen. Was man sich zwischen Nordsee und Alpen wünscht ist Assimilation, so wie einst jene der „Ruhrpolen“, also der Menschen, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts teils mit ihren Familien aus dem früheren Königreich Polen ins Ruhrgebiet eingewandert sind und dort meist als Bergleute gearbeitet haben.

Für Klausenburg heißt Multikulturalität allerdings: „Wenn Sie tiefer in die ‘Seele der Stadt’ dringen, dann werden Sie sofort ein Klausenburg der Rumänen, eines der Ungarn, eines der Deutschen, eines der Roma und eines der Juden entdecken; ein Klausenburg der Alten und eines der Jungen, ein Klausenburg der Studenten und eines der Arbeiter; ein Klausenburg der Frauen und eines der Männer; ein Klausenburg der Altstadt und eines der Randbezirke. Jede dieser Gemeinschaften errichtet einen Turm der Liebe für die Stadt, die anderen ignorierend. Die aus den Denkmälern der Zugehörigkeit entstandene Zitadelle ist eine enge – manchmal auch streitsüchtige – Nachbarschaft.“

Multikulturalität ist derweil keine Einbahnstraße, sondern bedeutet auch den Willen und die Fähigkeit, Eigenschaften und Eigenheiten anderer Kulturen anzuerkennen, zu verstehen, zu respektieren und, wo immer es möglich ist, in den eigenen Lebenslauf zu integrieren. Und hier dürfte Angela Merkel dann doch Recht haben.
Für Klausenburg heißt das allerdings: „Kurz nach 1989 haben wir gesehen, dass die Rumänische Revolution, obwohl sie uns vom Kommunismus befreite, nicht wirklich frei gemacht hat. Wir begannen, nach der Freiheit zu suchen, jeder für sich selbst. Dabei haben wir ignoriert, dass es unsere Aufgabe war, eine kollektive Freiheit zu schaffen, eine freie Gemeinschaft. Wir haben es uns erlaubt, uns selbst in einen Kampf um die Besetzung symbolträchtiger Orte zu stoßen, aus Angst vor den anderen. Anstatt einer Gemeinschaft haben wir einen Bund von Gemeinschaften gebaut. Wir sind ein Kandidat für die Europäische Kulturhauptstadt, weil wir diesen Bund in eine ‘Einheit’ der Klausenburger Gemeinschaften umgestalten wollen.“ Eine aufrichtige Beschreibung und eine Zukunftsvision, die sich auch die Bundesrepublik Deutschland zu Herzen nehmen könnte.

Um zu sehen, dass Multikulturalität auch in Klausenburg nicht überall willkommen ist, dazu muss man nicht erst zu einem Spiel von Universitatea Cluj gehen. Auch an den Fahrscheinautomaten erkennt man das abgekratzte „Kolozsvar“. Doch die „Afară, afară cu ungurii din Țară“-Gesänge werden leiser. Es sind hoffentlich die letzten Rückzugsgefechte der Funar-Anhänger. Die Stadt hat genügend andere Probleme, deren Ignorieren die Bürger nicht mehr akzeptieren.