Der Schlüssel zum Paradies

Als Kaiser Vespasian im Jahr 70 nach Christus das römische Reich regierte, beschäftigte sich der Senat, die höchste staatliche Behörde in Rom, mit der Frage, welchen Namen man dem höchsten Gott beilegen soll. Ein Senator schlug vor, man solle ihn „Gott des Reichtums“ nennen. Ein anderer Senator sagte, der passendere Name sei „Gott der Mächtigen“. Wieder ein anderer Senator, der Philosophie liebte, war für den Namen „Gott der Weisen“. Da erhob sich ein angesehenes Mitglied des Senates und sprach: „Wenn der höchste Gott ein Gott des Reichtums ist, so kann er nicht der Gott der Armen sein, denn im römischen Staat gibt es tausendmal mehr Arme als Reiche. Wenn er ein Gott der Mächtigen ist, so kann er kein Gott der Untertanen sein, denn es gibt nur wenige Machtbesitzer, aber Millionen von Untertanen. Ist er aber nur Gott der Weisen, dann kann er nicht der Gott der ungebildeten Leute sein. Soll er aber ein Gott für alle Menschen unseres Reiches sein, so muss seine Haupteigenschaft allen Bürgern unseres Imperiums zugute kommen. Deshalb schlage ich vor, wir nennen ihn Gott der Liebe! Seine Liebe können alle Menschen erfahren“. Einstimmig erklärten die Senatoren, der Hauptgott soll „Gott der Liebe“ genannt werden.

Dieser Senator war gewiss im Geheimen ein Christ. Ein Heide würde nie auf die Idee kommen, dass der Weltschöpfer ein „Gott der Liebe“ sei. Der „unerleuchtete Heide“ dichtete seine guten und bösen Eigenschaften auch seinen Göttern an, nur dass diese sie in einem weit höheren Maße besaßen. Mit Tier- und Menschenopfern suchte der Heide seine grausamen Götter zu beschwichtigen. Wo soll da ein „Gott der Liebe“ herkommen?

Es ist aber ein „Gott der Liebe“ auf diese blutbefleckte Erde am Weihnachtstag herabgekommen. Es war Jesus Christus. Liebe will keine Gewalt, denn sie ist selbstlos. So hat der „Gott der Liebe“ für seine Ankunft keinen Palast reserviert, sondern eine Krippe in einer Felsenhöhle, die als Schafstall benutzt wurde. Um das Kind zu begrüßen, kamen keine hohen Würdenträger, sondern nur arme Hirten.

Als Mann herangereift, hat dieser „Gott der Liebe“ nicht Reichtum, Macht und Ruhm gesucht. Er nahm sich der Armen, der Verachteten, der Stiefkinder des Lebens an. Liebe will nicht herrschen und beanspruchen, Liebe will dienen und helfen. Die Mächtigen opferten das Blut von Menschen ihren blutrünstigen Göttern, um dadurch ihre Gunst zu erlangen. Christus, der „Gott der Liebe“, opferte sein Blut und Leben, um die sündige Menschheit mit Gott zu versöhnen. Liebe verlangt nicht Opfer im Vorhinein, Liebe „bringt“ Opfer.

Wir lieben andere Menschen, wenn sie uns gutgesinnt sind und uns Gegenliebe zeigen. Wer uns gegenüber kalt bleibt, dem zeigen auch wir die „kalte Schulter“. Für unsere Liebe benötigen wir einen Grund. Welchen Grund hatte Christus, dass er sogar das größte Opfer der Liebe darbrachte? Beanspruchen konnte das kein Mensch. Ein französischer Schriftsteller bringt es auf den Punkt: „Der hat die größte Liebe, der ohne Grund liebt, der zuerst liebt, der mit Feuer liebt, der bis zum Tode liebt. Das ist die Liebe unseres Gottes!“

Stellen wir uns vor: Alle Menschen auf Erden würden von der Liebe erfasst, die uns das Christuskind an Weihnachten gebracht hat. Was würde geschehen? Keiner würde seinen Mitmenschen Böses antun. Wir alle würden von der Leidenschaft ergriffen, den Mitmenschen helfen zu wollen. Da würde die Erde, so weit sie es sein kann, ein Paradies werden. Der Schlüssel zu diesem ersehnten Paradies heißt Liebe.
Das Kind von Bethlehem hat uns diesen Schlüssel gebracht. Die unerleuchtete Menschheit erkennt den Wert dieses Schlüssels nicht. Darum gleicht unsere Erde nicht einem Blumengarten, sondern eher einer mexikanischen Kaktuswüste.

Jeder von uns kann diesen Schlüssel finden. Wo und wie? Der Dichter Novalis gibt uns den richtigen Fingerzeig: „Hast du Ihm erst dein Herz gegeben, ist auch das Seine ewig dein!“ Unser Weihnachtswunsch soll lauten: Wir wollen nicht das große Los in der Lotterie gewinnen, sondern den Schlüssel zum Paradies des Christkindes finden! Fröhliche Weihnachten!