Der Schwarze-Kirche-Prozess

Ein Versuch geschichtlicher Wahrheitsfindung (Auszug)

Am 5. Dezember 2011 ist Günter Volkmer in Horben bei Freiburg nach langer Krankheit verstorben. Geboren wurde er am 14. Januar 1935 in Kronstadt als Sohn des Kaufmanns Eduard Volkmer und der Lehrerin Hilde Volkmer, geborene Bahmüller. Als Initiator eines Gesprächskreises Kronstädter Jugendlicher wurde er 1958 als einer der Hauptangeklagten des so genannten „Schwarze-Kirche-Prozesses“ zu lebenslanger Zwangsarbeit verurteilt (Aufhebung des Urteils 1999).

Nach seiner Entlassung aufgrund der Bukarester Amnestiebeschlüsse für politische Häftlinge 1964 gelang ihm mit seiner Ehefrau Hildegard, geborene Hubbes, 1969 die Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland. Dort engagierte er sich im Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde, im Hilfsverein Siebenbürgerheim Freiburg und in der von ihm initiierten Sektion Karpaten e. V. im Deutschen Alpenverein, die er von 1986 bis 2010 als zweiter Vorsitzender leitete. Bleibende Verdienste um die Siebenbürger Sachsen hat er sich auch durch den Aufbau eines bedeutenden Bildarchivs zur siebenbürgischen Landeskunde, durch naturwissenschaftliche und touristische Dokumentationen und als Förderer der Kultureinrichtungen in Gundelsheim erworben. (Siebenbürgische Zeitung)

Im Folgenden veröffentlicht die KR einen Auszug eines von Günter Volkmer 1992 in Augsburg gehaltenen Referats in dem der Autor über die Haftzeit aber auch über die lange Zeit vorher vom kommunistischen Geheimdienst Securitate eingeleitete Beobachtung gegen ihn und seine Eltern berichtet. Das Referat ist entnommen dem Band „Der Schwarze-Kirche-Prozess 1957/58. Erlebnisberichte und Dokumentationen“ herausgegeben von Karl-Heinz Brenndörfer und Thomas Şindilariu und 2011 im aldus-Verlag Kronstadt erschienen.
 

Durch jahrelanges Observieren hatte die Securitate Zug um Zug das Bild von jedem Untersuchungshäftling ergänzt, indem gelegentliche politische Äußerungen, die vielleicht am Arbeitsplatz oder gar während der Schulzeit gemacht worden waren, als Bericht niedergeschrieben und nun zu dem für richtig gehaltenen Zeitpunkt dem Betroffenen vorgehalten wurden.

Als besonders flagrantes Beispiel der langzeitigen Observation eines ganzen Hauses mit seinen im Laufe von vielen Jahren darin wohnenden unterschiedlichen Familien, sei jenes der Überwachung des Vaterhauses von Günter Volkmer genannt. Eine bis ins Jahr 1943 zurückführende rote Linie wurde erst während der elf Monate andauernder Verhöre bei der Securitate dem Betroffenen nachvollziehbar und bewusst. Im genannten Jahr wurden Frau Ilse Küppers aus Düsseldorf und Herr Lothar Moser aus Leipzig, beide vom militärischen Abwehrdienst der Deutschen Wehrmacht, im Hause einquartiert. Nach dem 23. August 1944 erfolgte in die von den Deutschen verlassenen Räume eine rumänische Einquartierung.

Herr Loga mit Frau, bekannte Skifahrer aus dem Schei, einer Vorstadt von Kronstadt, kamen ins Haus. Wie es sich später herausstellte, waren beide, Herr und Frau Loga, Mitarbeiter der „Siguran]a“ (ehemaliger königlicher Sicherheitsdienst Rumäniens), ab 1948 der Securitate. Seit 1948 wohnte vier Jahre lang Günter Ambrosi, der spätere evangelische Stadtpfarrer von Bukarest, Sohn von Alfred Ambrosi, früher Eigentümer eines der großen Weinbau- und Weinvertriebsunternehmen Rumäniens, ebenfalls im Haus.
Nach einem missglückten Fluchtversuch der ganzen Familie Ambrosi in den Westen, wurde der damals sechzehnjährige Günter bespitzelt und verfolgt. Das brachte es mit sich, dass der Sicherheitsdienst ein weiteres Zimmer im Hause Volkmer mit einem seiner Mitarbeiter belegte, der es schließlich einem als Milizmajor getarnten Securitate-Offizier 1956, also ein Jahr vor Beginn der Verhaftungen, überließ.

Offenbar fing das Unheil einer fast lückenlosen Überwachung des Hauses durch die Beschattung der beiden Personen vom militärischen Abwehrdienst der Deutschen Wehrmacht bereits an. Dies hat für die Familie des Referenten viele unheilvolle Jahre ihres Lebens bedeutet. Es brachte dem Sicherheitsdienst eine Unmenge von Detailkenntnissen über Personen, die im Haus wohnten, oder die das Haus besuchten. Diese Tatsache sollte sich während der Verhöre immer wieder zeigen.

Als die Untersuchungsrichter Oberleutnant Mugure, Leutnant Vulpe, Oberleutnant Bărăscu, Major Alexandrescu, Major lvan und Securitate-Kommandant Oberst Crăciun glaubten, mit herkömmlichen Untersuchungsmethoden nicht zielgerecht weiterzukommen, kam es, im Fall des Untersuchungshäftlings Günter Volkmer zum Beispiel, auch zur Anwendung der gefürchteten sogenannten „anderen Methoden“.


Es ereignete sich eines Tages während des Verhörs, dass Günter Volkmer aus dem Nebenraum Stimmen und Schreie von Gefolterten vernahm. Wie aus Fragmenten zu hören war, ging es um die angebliche Bewaffnung der „konterrevolutionären Bande Depner/Volkmer“ und um Pläne, das kommunistische System Rumäniens zu beseitigen.

Als Volkmer sich gegen diese vermeintlich an seinen Kameraden angewandten bestialischen Methoden auflehnte und energisch protestierte, erklärten die Verhörungsrichter höhnisch, dass beim rumänischen Sicherheitsdienst nicht gefoltert werde. Außerdem sei der geistige Zustand des Untersuchungshäftlings Volkmer solcher Art, dass er dem Arzt vorgeführt werden müsse.

Dr. Anastasiu war dann auch prompt zur Stelle und erklärte Volkmer für „behandlungsbedürftig“. Wenn schon bis dahin der Umgang nicht gerade zimperlich gewesen war, folgte nun eine Zeit der gezielten extremen Belastung. Täglich kam ein Feldscher in Begleitung einiger Wärter in die Zelle und verpasste dem angeblich psychisch Kranken unter Gewaltanwendung eine Spritze, welche einen Zustand verursachte, bei dem das ganze motorische Nervensystem äußerst schmerzhafte Verkrampfungen auslöste.

Der so „Behandelte“ lag völlig entstellt auf dem Bett, ein Zustand, der nach einer Stunde unter großen Schweißausbrüchen nachließ. Tag für Tag dasselbe Spektakel mit Gefluche und Prügelei, das schließlich nach einem Hungerstreik nach drei Wochen endete. Zwischendurch wurde der Häftling auch gezwungen, Tabletten zu schlucken, die im Hörzentrum des Gehirns ein eigenartiges Rauschen verursachten, welches sich so anhörte, als ob Regen auf ein Zeltdach fiele.

Diese Umschreibung wurde gewählt, weil die angewandten Drogen nicht identifiziert werden konnten. Fortwährend drohte man, alle Verhafteten noch vor einem quasi als „Gnade“ in Aussicht gestellten Prozess umzubringen, wenn die so gut wie vorgeschriebenen Geständnisse nicht abgelegt wurden.

Um der Ausweglosigkeit zu entrinnen, versuchte Volkmer alles auf eine Karte zu setzen, indem er während einer Außenbesichtigung am 19.5.1958 im Garcsintal, im Hohensteingebiet bei Kronstadt, einen selbstmörderischen Ausbruchsversuch riskierte, der völlig misslang. Schon nach 50 Metern, wobei nichtgezielte Maschinenpistolensalven Blätter und Äste von den Büschen rissen, wurde er gefasst, in Handschellen gelegt, verprügelt und mit dem Jeep zur Securitate nach Kronstadt zurückgebracht.

Nach vier Tagen Schlafentzug in einem Karzer ohne Bett gingen die oben beschriebenen Verhöre weiter, aber nach diesem Vorfall war Volkmer in eine andere Zelle verlegt worden, zum ersten Mal seit der Verhaftung befand er sich in Gesellschaft. Der ehemalige Legionär Ion Hu]uleac, damals schon 17 Jahre hinter Gitter, hatte die Aufgabe, einen eventuellen Selbstmordversuch des Mithäftlings zu vereiteln, wie er es diesem ganz offen zugab. Der gleiche Mann war auch mit Horst Depner und anderen während der Haftzeit der Schwarze-Kirche-Gruppe zusammengelegt worden.

Besonders hart verliefen die Verhöre auch gegen die Hauptangeklagten Horst Depner und Karl Dendorfer, sollten sie doch nach dem Willen der Securitate zusammen mit Stadtpfarrer Dr. Möckel und Günter Volkmer den Gipfel der Pyramide des Bösen darstellen. Depner schreibt über das erste Verhör in seinem Tagebuch:

„Mit Antworten hatte ich es wahrlich nicht eilig! Ich war völlig durcheinander, die Eindrücke der letzten zwei Stunden, vor allem aber der Schock meiner spektakulären Verhaftung“ – Depner wurde mit vorgehaltener Pistole verhaftet – „wirbelten in meinem Kopf umher... mein Schutzengel flüsterte mir zu: Zeit gewinnen! ... ich verharrte auf dem Standpunkt unschuldig zu sein. Davon wich ich nicht ab, auch wenn Herr Bărăscu sich noch so mühte ... als er begann anklingen zu lassen, dass ihm auch andere Methoden zur Verfügung stünden, um mich kirre zu machen, fühlte ich, wie mir die Gänsehaut das Rückgrat entlanglief und sich irgendwo im All verlor.

So erklärte ich, dass es nicht zu meiner Absicht gehöre, mich foltern zu lassen. Wenn er schon darauf angespielt habe, dann sollte er doch unabhängig von dem, was wirklich geschehen sei, also unabhängig von der Wahrheit, erklären, was er hören wolle! Entsetzt winkte er ab. Nun brachte er mir zur Kenntnis, dass der Staatssicherheitsdienst sehr wohl über mich und meine Verbrechen (!) im Bilde sei. So betrachtet, käme es auf meine Aussage gar nicht mehr an. Doch räume die sozialistische Rechtssprechung jedem Beschuldigten die Chance ein, durch reumütiges Verhalten und entsprechende Kooperation, das Gericht für sich günstig zu stimmen.“