Der Traum vom Profifußball

Nicht jeder Jugendnationalspieler ist ein Mario Götze

Symbolbild: pixabay.com

Einen größeren Moment kann es für einen Fußballer nicht geben. Im Finale um die Fußballweltmeisterschaft 2014 erzielte Mario Götze in der Verlängerung gegen Argentinien den Siegtreffer. In der 113. Minute flankt André Schürrle von der linken Seite den Ball vor das Tor. Götze läuft in den Strafraum, erreicht den Ball, lässt ihn von der Brust abtropfen und schießt im Rutschen mit links aufs Tor. Argentiniens Keeper Sergio Romero kann nicht mehr reagieren. Tor! Mit einem einzigen Tor schoss sich der 22-Jährige in die deutschen Geschichtsbücher – neben Helmut Rahn, Jürgen Sparwasser, Andreas Brehme und Oliver Bierhoff. Ein Moment für die Ewigkeit, der den jungen Mann aus dem Allgäu zum Helden werden lässt.

Das erste Mal trug Götze das Trikot mit dem Adler mehr als sieben Jahre zuvor, am 18. Mai 2007. Die U15-Auswahl spielte damals in Weimar gegen Polen und gewann 4:3. Der damals 14-Jährige sollte der einzige Spieler dieser Mannschaft sein, dem die ganz große Karriere vergönnt blieb. Die beiden Torschützen Wilhelm Evseev und Pascal Breier spielen heute für den F.C. Hansa Rostock in der 3. Liga, Matthias Zimmermann musste die aktuelle Saison aufgrund eines Kreuzbandrisses aussetzen und kam für den VfB Stuttgart erst am letzten Spieltag wieder zu einem Kurzeinsatz.

Der nächste Mario Götze spielt vielleicht gerade, abseits der großen Medienöffentlichkeit, in den Midlands und South Yorkshire in England. Vom 4. bis zum 20. Mai lief die U-17-Fußball-Europameisterschaft. Im Halbfinale standen sich Italien und Belgien sowie England und die Niederlande gegenüber. Im Finale am Sonntag in Rotterdam besiegten die Niederlande nach Elfmeterschießen Italien. Die deutsche Mannschaft schied nach Niederlagen gegen Spanien und die Niederlande in der Gruppenphase aus, lediglich Serbien konnte besiegt werden. Die drei Tore gegen Serbien schossen Can Bozdogan aus der B-Jugend des 1. FC Köln und Leon Dajaku aus der A-Jugend des VfB Stuttgart. Wird einer dieser beiden Spieler auch bei der Weltmeisterschaft 2022 in Katar auf dem Platz stehen?

Ein oder zwei Spieler werden es wohl zu einem der großen Clubs in England, Spanien oder Italien schaffen, die meisten werden aber bei einem mittelmäßigen Bundesligisten oder in einer der unteren Spielklassen anheuern. Das zeigt der Blick zurück. Vor zehn Jahren, am 16. Mai 2008, gewann die spanische U17-Nationalmannschaft mit einem 4:0 gegen Frankreich die Europameisterschaft. Die Tore schossen Sergio Gallardo, Sergio Mut, Thiago Alcántra und Manuel Gavilán. In die spanische A-Nationalmannschaft hat es lediglich Thiago geschafft, der aktuell für den FC Bayern München aufläuft. Gallardo debütierte im September 2009 in der Primera División für Atlético Madrid und spielte auch für die U19-Auswahl. Der ganz große Durchbruch blieb „Keko“, wie der Flügelstürmer auch genannt wird, allerdings verwehrt. Nach mehreren Leihstationen spielt der 26-Jährige seit zwei Jahren für Málaga in der ersten spanischen Liga. Eine lange Reise hat auch Manuel Gavilán hinter sich. Seit der Europameisterschaft vor zehn Jahren spielte der Mittelstürmer für neun verschiedene Vereine in Spanien und Italien sowie beim SV Ried in Österreich. Im Januar dieses Jahres nahm ihn schließlich der spanische Drittligist CD Guijuelo aus der Provinz Salamanca unter Vertrag. Ebenfalls in der dritten Liga spielt Mut, in seiner Heimat auf den Balearen für CD Felanitx. Auch ein Blick auf die gesamte Siegermannschaft zeigt, tatsächlich ist Thiago der einzige U17-Europameister von 2008, dem die ganz große Karriere gelungen ist.

Dass die spanische Jugendauswahl kein Einzelfall ist, zeigt der Blick nach Deutschland. Die deutsche U17-Nationalmannschaft gewann ein Jahr später, am 18. Mai 2009, in Magdeburg nach Verlängerung den Titel gegen die Niederlande. Die Tore für die Deutschen schossen Lennart Thy und Florian Trinks. Thy hat gerade mit dem niederländischen Erstligisten VVV Venlo den Abstieg in die zweite Liga abgewendet, Trinks stieg mit dem Chemnitzer FC in die viertklassige Regionalliga ab. Neben den beiden Torschützen standen, inklusive Einwechselspieler zwölf weitere Jugendliche auf dem Rasen. Die folgende Übersicht zeigt, wo die heute 25- oder 26-Jährigen derzeit spielen: Marc-André ter Stegen (FC Barcelona) – Bienvenue Basala-Mazana (Berliner AK), Shkodran Mustafi (Arsenal London), Robert Labus (Karriereende), Marvin Plattenhardt (Hertha BSC) – Matthias Zimmermann (VfB Stuttgart) – Reinhold Yabo (RB Salzburg), Christopher Buchtmann (FC St. Pauli), Manuel Janzer (Holstein Kiel) – Mario Götze (Borussia Dortmund), Kevin Scheidhauer (Energie Cottbus), – Gerrit Nauber (MSV Duisburg). „Was einen vielleicht später als Profi erwartet, habe ich bei der Nationalmannschaft ein wenig kennengelernt. Ich habe auf jeden Fall richtig Lust darauf bekommen“, sagte der 17-jährige Marc-Andre ter Stegen einst. Dass ein internationaler Titel mit 16 Jahren allerdings gar nichts garantiert, zeigt die Vita der spanischen und deutschen Europameister.

Doch was zeigt der umgekehrte Blick? Der deutsche Weltmeisterkader von 2014 umfasste insgesamt 23 Spieler. Wie erfolgreich waren Götzes Teamkollegen? Er zeigt: tatsächlich durchliefen alle Spieler die Jugendauswahlmannschaften des Deutschen Fußballbundes, fast alle. Thomas Müller spielte schon für die U16-Nationalmannschaft, während Kevin Großkreutz lediglich ein Spiel für die U21-Auswahl bestritt, doch keiner fiel durch das Raster der Talentsichter. Zwar musste Großkreutz die Jugend von Borussia Dortmund verlassen, schaffte allerdings aus der Nachwuchsmannschaft des damaligen Zweitligisten LR Ahlen den Sprung in die erste Mannschaft und wechselte sieben Jahre später zurück zum BVB. Lediglich ein Weltmeister von 2014 fiel als Jugendlicher tatsächlich durch das Raster, ausgerechnet der erfolgreichste Torschütze der deutschen Nationalmannschaft: Miroslav Klose. Der Routinier der Mannschaft spielte als 19-Jähriger in der siebtklassigen Bezirksliga Westpfalz für SG Blaubach-Diedelkopf und arbeitete nach abgeschlossener Lehre als Zimmermann. Erst mit 20 Jahren wechselte er zum FC 08 Homburg und spielte in der zweiten Mannschaft in der fünftklassigen Oberliga sowie für die erste Mannschaft in der drittklassigen Regionalliga. Ein Jahr später folgte der Wechsel zur zweiten Mannschaft des 1. FC Kaiserslautern und im „stattlichen“ Alter von knapp 22 Jahren absolvierte Klose sein erstes Bundesligaspiel für den 1. FC Kaiserslautern. Es folgte eine beeindruckende Karriere mit Stationen bei Werder Bremen, Bayern München und Lazio Rom. Klose wurde 2006 Torschützenkönig der Weltmeisterschaft und der Bundesliga sowie am Ende des Jahres zum Fußballer des Jahres ernannt. Ein kurzer Vergleich: Ousmane Dembelé wechselte letzten Sommer im Alter von 20 Jahren für 105 Millionen Euro von Borussia Dortmund zum FC Barcelona.

Dass ein Jugendspieler heute durch das Raster der Talentsichter fällt, scheint unmöglich. Und trotzdem träumt fast jeder Kreisligaspieler von der Bundesliga, nur ist nicht jeder Freizeit-Maradona auch ein Miroslav Klose. Einer, des es trotzdem geschafft hat, ist Marc Pfitzner, der für den TSV Timmerlah einst in der Kreisliga Braunschweig kickte und später mit Eintracht Braunschweig zwei Aufstiege von der 3. Liga in die 1. Bundesliga feiern konnte. Pfitzner stammte zwar aus der Nachwuchsakademie der Eintracht, verließ diese allerdings nach der C-Jugend. „Das Thema Profifußball war für mich damit frühzeitig abgeschlossen. Ich entwickelte andere Interessen, kümmerte mich eher um die Schule und meine Freunde. Ich wechselte zum TSV Timmerlah, spielte in der B- und A-Junioren-Bezirksliga, dann bei den Herren in der Kreisliga. Anschließend ging es zum SV Broitzem in die Landesliga und zur FT Braunschweig in die Oberliga“, so der heute 33-Jährige. Pfitzner war im letzten Jahr seiner Ausbildung bei einer Versicherung, als sich 2005 eine zweite Chance bei Eintracht Braunschweig eröffnete. „Glücklicherweise kam mir mein Arbeitgeber entgegen und ermöglichte es mir, an den Trainingseinheiten teilzunehmen. Letztendlich nahm ich die große Herausforderung an. Plötzlich war ich wieder mittendrin.“ Der Mittelfeldspieler lief zunächst in der zweiten Mannschaft auf und wurde am 20. Oktober 2007 neun Minuten vor Schluss gegen den 1. FC Magdeburg eingewechselt, sein erster Einsatz in der Profimannschaft. In den folgenden Jahren stieg Braunschweig bis in die Bundesliga auf, in der Pfitzner mit 29 Jahren debütierte, am 29. September 2013 gegen den VfB Stuttgart.