Deutscher Botschafter mit rumänischen Wurzeln

ADZ-Gespräch mit Dr. Matei Ion Hoffmann, deutscher Botschafter in Ungarn

Kürzlich wurde in der Hauptstadt eine Ausstellung für abstrakte Kunst eröffnet. Zur Schau gestellt werden Werke von drei Künstlern aus Rumänien. An der Vernissage beteiligten sich zahlreiche  Kunstschaffende, Kunstliebhaber und Diplomaten. Anwesend war auch der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Ungarn, Dr. Matei Ion Hoffmann. Mit dem Diplomaten aus Budapest führte ADZ-Redakteurin Aida Ivan ein Gespräch. Eine außerordentliche Geschichte kam zum Vorschein...

Herr Botschafter, Sie betätigen sich als deutscher Diplomat in Ungarn. Unlängst waren Sie anwesend bei einer Ausstellungseröffnung in Bukarest. Hat Sie etwas Besonderes nach Rumänien gebracht?

Die Ausstellungseröffnung, der auch Ihre Zeitung jüngst einen Artikel gewidmet hat, läuft zurzeit in der Bukarester 418gallery. Sie präsentiert drei abstrakte Maler mit rumänischen Wurzeln, Vincentiu Grigorescu, mein 2012 in Italien als italienischer Staatsbürger gestorbener Vater; Romul Nuţiu, der bis zu seinem Tod in Rumänien ausharrte; Diet Sayler, der, wie auch mein Vater, im Jahre 1972 emigrierte und sich in Deutschland niederließ. Diese Vernissage war der eine Anlass für die Reise an meinen Geburtsort. Die Ausstellung durchbricht jene „damnatio memoriae“, mit der die Kommunisten und auch ihre „revolutionären“ Erben das Werk meines Vaters und auch anderer im Ausland erfolgreicher Künstler belegt haben. Der zweite Anlass war die öffentliche Präsentation des mit meiner Unterstützung restaurierten „Portretul Doamnei Fălcoianu“, einer Ahnin mütterlicherseits, im Muzeul Aman. Theodor Aman ist der Maler. Der Zufall wollte es, dass es gleich zwei Reisegründe gab.

Sie wurden in Bukarest als Sohn des Malers Vincenţiu Grigorescu geboren. Wann und warum haben Sie Rumänien verlassen?

Meine Mutter heiratete in zweiter Ehe einen deutschen Staatsbürger, der uns beide im Jahre 1963 aus dem kommunistischen Rumänien buchstäblich herauskaufen musste. Ihre Zeitung hat sich in einer der letzten Ausgaben des lange vernachlässigten Themas des Menschenverkaufs gegen Devisen dankenswerterweise angenommen. Es war ein mieses, aber für die Kommunisten einträgliches Geschäft.

Welche Erfahrung haben Sie in Rumänien gemacht?

Als Elfjähriger schloss ich meinen rumänischen Lebensabschnitt unter denkbar unerfreulichen Umständen ab. Unsere Familie hatte es nicht leicht: Meine Mutter, Angehörige der alten Bojaren-Familie Fălcoianu, hatten die Kommunisten mit dem politischen Stigma der sogenannten ungesunden Abstammung versehen („familie nesănătoasă“). Mein Vater war Maler und Grafiker, ein unabhängiger Kopf, der sich der staatlich verordneten Doktrin des „sozialistischen Realismus“ unter Inkaufnahme schwerer Nachteile widersetzte. Die Vertreter des Regimes warfen ihm in eifernder Agitprop-Manier „Formalismus“ vor. Es gab nur eine kurze Periode des Aufatmens zwischen 1968 (nach der Weigerung Rumäniens, in der Tschechoslowakei einzumarschieren) und 1971 (vor Ceauşescus inspirierter Rückkehr von der berühmt-berüchtigten Nordkorea- und China-Reise).

Der listige Conducător nutzte die vorübergehende Fehleinschätzung des Westens, er sei ein reformgeneigter Kommunist, zum eigenen Vorteil und ließ „unzuverlässige Elemente“ vom Schlage meines Vaters erstmals in kapitalistische Länder reisen. Natürlich war das nichts weiter als ein Propagandamanöver, mit der dem Ausland eine liberale Kunstpolitik vorgegaukelt werden sollte. Mein Vater durchschaute, was gespielt wurde, und nutzte diese Reisegelegenheiten, um persönliche Kontakte zu westlichen Galerien und internationalen Sammlern zu knüpfen. Das war klug und hat ihm ab 1972 entscheidend geholfen, dem Jahr, in dem er beschloss, einer noch bestehenden Einladung nach Italien zu folgen, bevor auch diese Verbindung vom Regime gekappt würde. Es sollte eine Reise ohne Wiederkehr werden.

Ich wurde in eine Familie geboren, die multinational zusammengefügt, europäisch, multikulturell geprägt und polyglott war; es waren allesamt Voraussetzungen, die mir in jenem Totalitarismus keine Perspektiven geöffnet hätten. Ich habe jedenfalls schon früh Erfahrungen gesammelt, die Ihre Leser meiner Generation ohne weiteres nachvollziehen können: Zuhause gab es die eine Realität, draußen aber lief ein ganz anderer Film. In Diktaturen lernt man unter solchen Bedingungen von Kindesbeinen an, Erziehung und Indoktrination voneinander zu unterscheiden. Ich erinnere mich gut an eine Verhandlung vor einem Bukarester Ortsgericht, das angeblich über meine Ausreise zu befinden hatte. Die Vorsitzende, ich sehe sie mit ihren großen baumelnden Ohrringen und aufgeregt gestikulierend noch vor mir, warf meiner Mutter an den Kopf: „Sie haben Ihren Sohn kosmopolitisch erzogen!“. Meine Mutter erwiderte ungerührt: „In unseren Kreisen ist das ein Kompliment“. Der amerikanische Autor F. Scott Fitzgerald hat einmal gesagt, das Zeichen einer erstrangigen Intelligenz sei in der Fähigkeit zu sehen, zwei gegensätzliche Ideen gleichzeitig zu unterhalten und dennoch weiter zu funktionieren. Womöglich haben wir jener dunklen Epoche gar etwas zu verdanken: eine besondere Schärfung des Verstandes. Als Alternative hätte sich wohl der kollektive Wahnsinn angeboten. Es handelt sich dennoch nicht um eine empfehlenswerte Schule des Lebens.

Wie fühlen Sie sich jetzt, wenn Sie nach Rumänien kommen?

Rumänien ist der Ort der Erinnerungen und wird es bleiben. Der rumänische Teil meiner Familie ist inzwischen mehrheitlich auf dem historischen Friedhof Bellu versammelt. Es gibt noch einige Kontakte, die sich seit den gemeinsamen Jahren im Deutschen Kindergarten und der Deutschen Schule über die Jahrzehnte hinweg erhalten haben, zu jenen, die in Bukarest geblieben und nicht wie die überwiegende Mehrheit der Klassenkameraden ausgewandert sind. Die Freunde meiner Eltern allerdings, Maler, Bildhauer, Schauspieler, Dichter, Schriftsteller, Musiker, Sportler (mein Vater selbst war Rugby-Nationalspieler), die ganze unangepasste „Bohème“, die sich in unserer kleinen Wohnung nahe der Biserica Albă traf – selbstverständlich unter zuverlässiger Beobachtung durch die anhängliche Securitate – sie sind, so sie noch leben, über die ganze Welt verstreut. Sehr wenige sind noch in Bukarest anzutreffen. Bei jedem Besuch gehe ich mein Gedächtnisalbum durch, laufe alte Wege ab, leide unter den mutwilligen Zerstörungen des Stadtzentrums, in dem ich als Kind zuhause war, und versuche, den unverwechselbaren Charme der Stadt mit ihrer wunderbaren Architektur aus vergangenen Epochen, ihren Parks und Boulevards auf mich wirken zu lassen, jedenfalls solange „Bucureştii de altădată“ sich einem noch offenbaren.

Wie hat sich Ihre Beziehung zu Deutschland entwickelt?

Meine über die Jahrhunderte aus sechs verschiedenen europäischen Ländern „fusionierte“ Familie hat einen starken deutschen Zweig, der einst in Ostpreußen beheimatet war. Ich habe zudem österreichische Vorfahren. Zuhause sprachen wir überwiegend Deutsch. Mein Vater, selbst rumänischer und griechischer Abstammung, zog sich allerdings meist auf risikoloseres rumänisches Terrain zurück. Das war wohl besser so. Deutschland war mir dank der Erzählungen meiner Familie eine Verheißung, keine terra incognita. Deutschland hat meine Mutter und mich, später auch meine Großmutter und Großtante, mit offenen Armen aufgenommen. Wir haben diesem Land viel zu verdanken. Mit anderen Worten: Ich bin Deutscher, habe ein multinationales europäisches Erbe im Gepäck und nicht vergessen, dass meine Vorfahren in Rumäniens Geschichte Spuren hinterlassen haben.

Seit wann sind Sie in der Diplomatie tätig?

Ich trat im Jahre 1980 in den diplomatischen Dienst ein. Damals in Bonn.

Sie wurden in Rumänien geboren, arbeiten als deutscher Diplomat in Ungarn. Wo finden Sie sich zu Hause?

Meine Zeit als Botschafter in Ungarn geht nach drei Jahren zu Ende. Als Diplomat zähle ich mich zum fahrenden Volk, habe mithin im doppelten Sinne einen Migrationshintergrund. Die Frage nach dem „Zuhause“ ist also berechtigt. Ungarn wird einen Abschnitt markieren, so wie auch andere Länder für vergangene Etappen meines Lebens stehen (USA, Portugal, Brasilien, Frankreich, Italien, Bosnien-Herzegowina, Kolumbien, Algerien). Überall habe ich – jeweils für mehrere Jahre – gewohnt, in Brasilien und Italien außerordentlich gern sogar, bin dort fast beheimatet. Ich bin aber inzwischen zu dem Schluss gelangt, dass mein Zuhause im emotionalen Sinne dort ist, wo Familie zusammenkommt, wo die engsten Angehörigen leben und Freunde aus Kindheit, Jugend und Studentenjahren auch unangemeldet Zeit für einen haben. All das finde ich gebündelt in Deutschland.

Vielen Dank für Ihre Ausführungen.