Devisen-Aktionen und -Operationen rund um die Auswanderung der Deutschen aus Rumänien vor 1989

Archivunterlagen beweisen: Schmiergeldzahlungen waren von Securitate koordiniert (I)

Die Akten in den Archiven der ehemaligen Securitate geben immer neue Einzelheiten preis.

„Um die Verfügungen von Befehl 00324/1986 betreffend die Tätigkeit der Sonderdeviseneinnahmen strengstens zu befolgen, sind entschlossene Maßnahmen mit allen Mitteln der spezifischen Arbeit notwendig, um jedwelche verbrecherischen Handlungen einiger Personen zu erkennen, ihnen vorzubeugen und sie zu unterbinden, welche die Gutgläubigkeit von Bürgern, die die Papiere für die endgültige Ausreise erhalten wollen, zu eigenen Zwecken ausnutzen, um sich Geldsummen in Lei oder Devisen oder Wertgegenstände anzueignen.“ Mit diesem Satz beginnt ein Schreiben, das der stellvertretende Innenminister (und Leiter des Außennachrichtendienstes zwischen 1984-1990, seit 1982 dessen stellvertretender Leiter), Generalleutnant Aristotel Stamatoiu, unterzeichnet hat. Für Outsider der Problematik: Geld und/oder Geschenke waren in den meisten Fällen unerlässlich, um die „großen Formulare“ zu erhalten, die eine Ausreise in  üblicherweise weniger als einem Jahr sicherten.

Mit dem 17. November 1989 datiert, wurde das obige Schreiben an den „Genossen Maior Micu Silvestru“, den Chef der Miliz des Kreises Hermannstadt/Sibiu, gesandt. Ein Vermerk auf dem Schreiben gibt an, dass es auch an den Securitate-Chef sowie den Chefinspektor der Miliz gesandt worden ist. Angeordnet wird, effiziente Maßnahmen zu treffen, um jedwelcher „illegalen Tätigkeit“ zeitgerecht vorzubeugen und dergleichen zu bestrafen. Desgleichen sollen die im Schreiben angemahnten Verfügungen mit allen Führungskräften der Institution, die Kompetenzen in diesem Bereich haben, im Sinne von Art. 4 des oben genannten Befehls bearbeitet werden. Diesem Artikel zufolge, „wird man sich für die Kontrolle und Diversifizierung der Spezialarbeit einsetzen, sodass kein Bürger, der in einem Ministerium oder im Rahmen der Securitate angestellt ist, sich korrumpieren lässt oder die Gesetze des Landes übertritt“ (Dossier OVS 31160/II, S. 137).

Der Leiter des Außennachrichtendienstes CIE (Centrul de Informa]ii Externe, der Vorgänger der heutigen SIE) schreibt an den Milizchef in Hermannstadt in der Angelegenheit Devisen. Bestätigt wird indirekt, dass Angestellte der Securitate und des Innenministeriums Geld und Geschenke empfingen, um eine Ausreise aus dem Land zu ermöglichen. Das Schreiben von Stamatoiu, in dem den Angestellten dergleichen verboten wird, erfolgt gute zwei Wochen vor der Aufkündigung der „Vertraulichen Vereinbarung“ am 4. Dezember 1989, aufgrund derer Rumäniendeutsche gegen Devisenzahlungen durch die Bundesrepublik Deutschland ausreisen durften. (Vgl. dazu „Acţiunea Recuperarea. Securitatea şi emigrarea germanilor din România“, Bukarest 2011, sowie „Kauf von Freiheit“, Hermannstadt/Sibiu 2013). Die Vereinbarungskündigung wiederum erfolgte gut zwei Wochen vor dem Ausbruch der Revolution. Merkten die Mitarbeiter der Staatssicherheit, dass sich eine Wende anbahnt und wollten sich eine weiße Weste zulegen, sprich sich von inoffiziell vereinbarten Deviseneinnahmen und besonders von illegal erpressten Schmiergeldzahlungen distanzieren? Wieso musste 1986 Angestellten des Innenministeriums ausdrücklich verboten werden – und 1989 nochmals – Geld oder sonstige „Geschenke“ anzunehmen?

Devisen-Sonderverfahren

Das oben zitierte Dokument befindet sich in dem im Frühjahr 2014 zur Erforschung freigegebenen Fonds „Devisen-Sonderverfahren“ (Operaţiuni Valutare Speciale), wie der als „ICE Dunărea“ bekanntgewordene Fonds beim Nationalen Rat für das Studium der Unterlagen der Securitate (CNSAS) benannt wurde. Der Beschreibung des Fonds ist zu entnehmen, dass das Außenhandelsunternehmen „Dunărea“ durch Präsidialdekret Nr. 382 vom 15. Oktober 1982 konstituiert und dem Innenministerium als eine Einheit des Departements für Staatssicherheit untergeordnet worden ist. Es hatte ab nun die Koordination aller Devisenverfahren in seinen Händen, einschließlich den „Handel“ mit Staatsbürgern. Abgeheftet sind in diesem Fonds neben den Unterlagen aus den 1980er Jahren zu sehr unterschiedlichen Außenhandelsgeschäften und Berichten über den Stand verschiedener Konten bei der Außenhandelsbank (Banca Română de Comerţ Exterior) auch Dokumente, die Aufschluss geben, wie der Freikauf der jüdischen Bevölkerung Ende der 1950er Jahre zustande gekommen ist, ein Modell, welches dann auch im Falle der Rumäniendeutschen angewendet wurde.

Zu finden sind in diesem Fonds (dessen Akten die Verfasserin dieser Zeilen noch nicht alle eingesehen hat) sodann Unterlagen zum Freikauf der Rumäniendeutschen, und Nachweise, dass die Securitate auch die Schmiergeldzahlungen initiiert und koordiniert hat. Was vermutet wurde und nahelag – der Besitz von Devisen war rumänischen Staatsbürgern verboten und es war anzunehmen, dass die „Kassierer“ Hand in Hand mit der Securitate gearbeitet haben, wie das der eine ehemalige Geldeinsammler in dem Film von Răzvan Georgescu „Ein Pass für Deutschland“ auch zugibt. Das kann nun anhand von Dokumenten der Securitate nachgewiesen werden. Zwar fehlen – verständlicherweise – die einschlägigen Anordnungen hierfür, die vorliegenden Berichte belegen jedoch, dass diese Aktionen letztlich in den Händen derselben Offiziere der Securitate bzw. des Außennachrichtendienstes lagen, die sich auch um die „Einnahmen“ aufgrund der „vertraulichen Vereinbarungen“ gekümmert haben bzw. damit betraut worden waren.

Zu Ehren des Parteitages

Einen Plan zu erfüllen galt es in der kommunistischen Planwirtschaft auch im Bereich der Einnahmen aus den Devisen-Sonderverfahren. Auch in diesem Bereich war es Sitte, den Plan vorzeitig zu erfüllen und zu überbieten, wie es die folgende „Erfolgsmeldung“ beweist (Dossier OVS 31159/5, S. 78). „Streng geheim“ und in einem einzigen Exemplar verfasst ist der Bericht des Oberst Nicolae Arnăutu an den stellvertretenden Innenminister, Generalleutnant Nicolae Pleşiţă, der festhält, dass der für das gesamte Jahr 1984 angeordnete Auftrag über 65 Millionen US-Dollar am 31. August 1984 zu 100,92 Prozent erfüllt worden ist. Nicolae Arnăutu war der Deckname von Stelian Octavian Andronic, der von 1980 bis 1986 der Einheit Devisen-Sonderaktionen (Acţiuni Valutare Speciale – AVS) vorgestanden hat. In dieser Zeit war er der Ansprechpartner für Rechtsanwalt Dr. Heinz Günther Hüsch, den Verhandlungsführer der Bundesrepublik Deutschland in Sachen der sogenannten Familienzusammenführung, eigentlich Freikauf der Deutschen aus Rumänien, gewesen.

„Diese besonderen Ergebnisse widmen wir der 40. Wiederkehr der Befreiung unseres teuren Vaterlandes und dem XIII. Parteitag der RKP“, heißt es in dem Bericht von Andronic weiter. Angeführt werden sodann jene Einheiten, die zur Planüberbietung be-sonders beigetragen haben: das Departement AVS (über welches die Freikaufsummen aus der Bundesrepublik liefen), die Einheit U.M. 0625/C.P. (comerţ – protocol, d. h. Handel – Protokoll) und die Inspektorate der Kreise Arad, Temesch/Timiş, Hermannstadt/Sibiu und Kronstadt/Braşov. Andronic bittet, eine Liste mit den Namen jener Offiziere aus den oben genannten Einheiten nachreichen zu dürfen, die sich besonders hervorgetan haben, um „belohnt und stimuliert“ zu werden. Was hatten die Inspektorate des Innenministeriums in Kreisen mit deutscher Bevölkerung mit Deviseneinnahmen zu tun?

Gegeben hat es, zumindest von 1982 bis 1984, (ob auch in früheren und späteren Jahren muss noch erforscht werden) nicht nur eine Aktion „Recuperarea“ (Rückerstattung) sondern gleich drei: Wie den von Arnăutu/Andronic unterzeichneten Berichten über Deviseneinnahmen zu entnehmen, war Nummer 1 jene, in welche die Devisen für den Freikauf der Rumäniendeutschen flossen, Nummer 2 wurde mit US-Dollars aus dem Freikauf der jüdischen Bevölkerung beliefert und in Nummer 3 gelangten die Einnahmen aus „Operationen“ wie „Aradul“, „Banatul“, „Păltiniş“, „Tâmpa“, „Jidvei“ und „Luxemburg“. So ein Anhang zu einem Bericht über die Deviseneinnahmen vom 30. Juli 1984 (Dossier OVS 31159/5, S. 74). Auf welchen Verwaltungskreis sich „Luxemburg“ bezieht, weiß ich nicht, die restlichen liegen auf der Hand: Arad, Temesch, Hermannstadt, Kronstadt und Alba. Eingenommen wurden sowohl US-Dollar als auch DM – die Summen je „Aktion“ sind auf Cent bzw. Pfennig genau angegeben. Kreis Arad liegt in dieser Auflistung mit 5,3 Millionen DM auf Platz 1, insgesamt kamen aus „Recuperarea III“ 93.318,81 Dollar und 17.591.495,49 DM, d. h. zum damaligen Dollar-Kurs umgerechnet, insgesamt 6.265.764,00 Dollar zusammen. Laut einem anderen Bericht (Dossier OVS 31159/5, S. 13) wurden allein in der Zeitspanne 16. bis 30. September 1983 in den Operationen „Aradul“ 600.000 DM, „Banatul-Danubius“ 10.000 Dollar und 900.000 DM, „Luxemburg“ 336.000 DM, „Tâmpa“ 250.000 DM, „Păltiniş“ 200.000 DM und Linz (von nach Österreich Ausreisewilligen?) 100.000 DM „kassiert“.

Auf Schmiergeldzahlungen angesprochen – 1983 händigte Dr. Hüsch seinem Verhandlungspartner Andronic auch ein Schreiben aus, in dem die Namen und Adressen von Personen aus Temeswar und Arad angegeben waren, die dergleichen forderten (Vgl. „Kauf von Freiheit“, S. 187 ff) – hat Andronic stets verneint, davon Kenntnis zu haben. Der Nachweis, dass es sich bei den oben aufgelisteten „Operationen“ um Schmier-geldeinnahmen handelt und wie die Securitate dabei vorgegangen ist, im folgenden Beitrag, der morgen veröffentlicht wird.