Die Bürde und Würde des Dichters

Zur Premiere von „Ossis Stein“ von Frieder Schuller am Hermannstädter Radu-Stanca-Theater

Daniel Bucher, Wolfgang Kandler und Daniel Plier in „Ossis Stein“ Foto: Andrey Kolobov

„Wer wagt es, einen Menschen in Grenzsituationen zu verurteilen, wenn es von einem selbst nie verlangt wurde, diese Grenzsituationen zu durchleben?“ Frieder Schuller, 1942 in Katzendorf/Caţa geborener und 1978 nach Deutschland ausgereister Lyriker und Filmregisseur, schreibt diese Zeilen in dem als Akte verpackten Programmheft zu seinem Stück „Ossis Stein oder Der werfe das erste Buch“. Es erlebte als vierte Premiere der deutschen Abteilung des Radu-Stanca-Theaters am Mittwochabend seine Uraufführung in Hermannstadt/Sibiu. In der Heimatstadt des 1926 geborenen Oskar Pastior, der im Freundes- und Bekanntenkreis „Ossi“ genannt wurde und von der Securitate den Decknamen „Otto Stein“ erhielt.

Frieder Schuller kannte Oskar Pastior in den Jahren nach dessen Rückkehr aus der Zwangsarbeit in der Sowjetunion, als der Dichter sein Brot als Rundfunkreporter verdiente. Frieder Schuller lernte aber auch die Durchtriebenheit der Securitate-Mitarbeiter kennen und weiß um die menschlichen Schwächen angesichts von Erpressungen, Drohungen und Versprechungen.

Statt einen Beitrag für eine auflagenstarke deutsche Publikation zu verfassen, wie mehrere der aus Rumänien stammenden Dichterkollegen es nach dem Bekanntwerden von Oskar Pastiors IM-Verpflichtungserklärung im Spätsommer 2010  taten, verfasste er ein Epos. „Bitte hebt keinen Stein auf, alle, die ihr euch brav ins Lügengespinst eingefügt habt, zu widerstandslos im Applaus mitgetrieben seid, zu keinem Nein euch habt hinreißen lassen“, sagt Schuller im Programm. Und: „Oskar Pastior wird ein großer Dichter und eine beladene Geschichte bleiben.“

Beladen ist die Geschichte und etwas überladen ihre Darstellung durch Frieder Schuller. Das heikle Sujet um Widerstand, Erpressbarkeit, Würde, Not, Kompromiss, Verstrickung und Mitläufertum in einem totalitären Regime mit vergifteten Tentakeln versetzte der Autor in ein Skript, in das die Lyriksprache von Pastior und auch Gedichte von ihm einflossen. Einer Sprache, der man angesichts der zuweilen unnötig hektischen Agitation auf der Bühne schwer folgen kann. Regisseur Daniel Plier vermochte es dennoch, eine eindrucksvolle Inszenierung zu schaffen

. Zum Gelingen trägt die karge Bühnenausstattung von Hannes Schuller und Wolfgang Kandlers Interpretation des „Ossi“ bei. Eingefangen wurde die Atmosphäre in der rumänischen Gesellschaft jener Jahre der Existenzbedrohung und des Überlebenskampfes in Beruf und Privatleben u. a. durch Szeneneinlagen aus den heroisierenden Spektakeln, die Musikuntermalung und den „politischen Witz Nicu“, dargestellt von Ali Deac.

Die Aufführung beginnt mit der „Heimischen Ouvertüre Mioritza“, geboten im Stil der „Flacăra“-Veranstaltungen. Seine Haltung zum Fall Pastior tut der Autor auf der Bühne kund, bevor er die Hintergründe und das Geschehen darstellt: Gespenster meines Lebens, ich nahm sie mit in den Tod, jetzt dürfen sie nicht sterben, lässt er Ossi sagen. Lasst das Werk zu Wort kommen, wird gefordert – aber Ossi stellt fest: „meine Schreibe, keine Bleibe mehr“. Gelungen ist die Darstellung von Pastiors Lageraufenthalt in der Ukraine, sein Bemühen, sich nach der Rückkehr „aus Russland ins verrusste Rumänien“ einzufinden, wo er schließlich in Bukarest eine Stelle bekommt.

Als Rundfunkreporter jedoch eine exponierte. Der „Genosse Dan“ (gespielt von Daniel Plier), dessen Outfit darauf hinweist, wes Geistes Kind er ist, und sein Handlanger Paul (dargestellt von Daniel Bucher) nehmen ihn in die Mangel. Sie machen Anspielungen auf seine Homosexualität, erpressen vom Dichter, der „konspirative Verse in Faschistendeutsch“ geschrieben hat, ein Lobgedicht für die Seite 1 der Zeitung „Neuer Weg“, um danach auch auf der Kulturseite publizieren zu dürfen. Suggeriert wird ihm , das Aufnahmegerät auch laufen zu lassen, wenn sich ein von ihm Interviewter aus dem Lob- ins Klagelied verirrt und dieses zu melden.

Vom „Flittchen Poesie Silvia“ (sehr schwungvoll von Nathalie Sigg gespielt) wiederholt bekniet, nicht zu unterschreiben, setzt er seinen Namenszug schließlich auf das Blatt, nachdem er von Genossen Dan nach allen Regeln der Kunst – symbolisiert durch einen eng umschlungen getanzten Tango – verführt worden ist. „Ich bin Schriftsteller, außerhalb meiner Gedichte existiere ich nicht“, verkündet Ossi. Eine verzweifelte Ausflucht?!

Während des Pingpongspiels der Zensur mit den Texten erzählt ihm Kollege Hans (ebenfalls Daniel Bucher) von den alkoholtriefenden Feiern beim Schriftstellerverband, über die „Genosse Dan“ ihn dann aushorcht.
Die Darstellung des Spannungsfeldes zwischen dem Streben, Literatur zu schreiben, und den Kompromissen, die eingegangen wurden, um veröffentlichen zu dürfen, ist gelungen. Der Autor hat Erfahrung einfließen lassen und manche Stelle klingt ein wenig nach Selbstrechtfertigung.

Das Drama erlebt seinen Höhepunkt und das Ende mit der Vergewaltigung der Poesie durch den in Offiziersuniform gekleideten Genossen Dan, während der Dichter mundtot gemacht wird: Handlanger Paul presst ihm eine Zeitung auf den Mund. 

Geworfen wird kein Stein auf Ossi in der Inszenierung in Hermannstadt. Gezeigt wird der Stolperweg eines genialen Dichters und Menschen in Grenzsituationen.