„Die Bürger Rumäniens haben auch Bürgerrechte, die ihnen die EU verleiht“

Interview mit MdB Gunther Krichbaum, Vorsitzender des Europaausschusses im Deutschen Bundestag

Gunther Krichbaum während seines Vortrags im Kronstädter Deutschen Forum.

Vor einer Woche konnte  die Deutsche Vortragsreihe des Demokratischen Forums der Deutschen in Kronstadt einen prominenten Gast vorweisen. Gunther Krichbaum (CDU) ist seit 2002 Mitglied des Deutschen Bundestages (Wahlkreis Pforzheim/Enzkreis) und seit 2007 Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union. Krichbaum, dessen Frau Oana aus Kronstadt stammt und Vorsitzende der Deutsch-Rumänischen Gesellschaft Pforzheim/Enzkreis ist, ist auch ein großer Freund Rumäniens. Sein Vortrag „Quo vadis Europa? Quo vadis Rumänien“ wurde trotz Ferienzeit von einem zahlreichen und interessiertem Publikum aufmerksam verfolgt, wobei es anschließend weitere Fragen und Diskussionen gab. Zu Beginn des Vortrags verurteilte Krichbau scharf die jüngsten Angriffe mancher PSD-Vertreter auf das Deutsche Forum (siehe auch ADZ vom Samstag, 1. September). Im Anschluss an seinen Vortrag gewährte Gunther Krichbaum der KR nachfolgendes Interview. 


Warum bereiten die jüngsten Entwicklungen in der rumänischen Innenpolitik Grund zur Sorge?


Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag betrachtet die jüngsten Entwicklungen in Rumänien mit großer Sorge. Rumänien wird im Januar 2019 die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union übernehmen. In jedem Land der Europäischen Union muss es selbstverständlich sein, dass Menschen friedlich für ihre Ansichten demonstrieren. Beim Einsatz von Wasserwerfern und Tränengas gegen friedliche Demonstranten wurde nach den mir bekannten Informationen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit grob verletzt. Über 450 Menschen kamen bei dem Einsatz zu Schaden. Die rumänische Regierung ist hier gefordert, alles in ihrer Macht stehende zu tun, damit zukünftig Menschen in Rumänien friedlich demonstrieren können.

Wie weit können solche Forderungen seitens der EU gehen?


Schon vor Monaten hatte ich einen Brief an den Präsidenten der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, gerichtet, das Kooperations- und Kontrollverfahren (CVM) auch in Zukunft aufrechtzuerhalten. Die Regierung würde es gerne sehen, dass dieser ausläuft. Ich glaube die jüngsten Ereignisse haben abermals unter Beweis gestellt, wie wichtig der CVM ist, um Druck auf die Regierung ausüben zu können. Es darf ja nicht vergessen werden, warum diese Demonstrationen stattfinden. Wenn die unabhängige Justiz systematisch ausgehöhlt zu werden droht, muss sich die Europäische Kommission einschalten. Denn die Bürger Rumäniens sind zugleich Bürger der Europäischen Union, weshalb es sich dann auch nicht um eine Einmischung in Angelegenheiten eines Landes handelt, sondern um die Wahrung der Unionsrechte, die diese Menschen haben. Die Europäische Kommission muss als Hüterin der Verträge daher dafür einstehen, dass diese Rechte gewahrt bleiben.

Sie gelten als ein Verfechter des Europas der zwei Geschwindigkeiten. Muss man sich in Rumänien nicht Sorgen machen betreffend der Zugehörigkeit zu einem „Kerneuropa“?


Diese Sorgen sind nicht angebracht. Es geht letztendlich darum, dass Länder, die eine vertiefte europäische Integration wünschen, hier auch vorangehen können. Im Rahmen der europäischen Verteidigungspolitik beispielsweise möchten wir in Zukunft mehr gemeinsame Initiativen auf den Weg bringen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Rumänien hier mit Sicherheit dabei sein wird. Der Euro zeigt im Übrigen, dass es bereits heute ein Europa der zwei Geschwindigkeiten gibt, denn nicht alle Länder sind Mitglied in der Währungsunion. Eins muss aber auch klar sein: Mit einem Kerneuropa ist nicht die Vorstellung verbunden, dass einige wenige Länder gemeinsame Sache machen und andere ausschließen. Im Gegenteil: es soll kein Obstkern sein, der hart ist und andere nicht hineinlässt, sondern vielmehr ein Magnetkern, der andere Länder anzieht.

Was muss Rumänien noch unternehmen um in den Schengen-Raum aufgenommen zu werden?


Hier ist unter anderem die entschlossene Bekämpfung der Korruption wichtig. Die technisch bestbewachte Grenze nutzt wenig, wenn der Grenzbeamte für Geldleistungen empfänglich ist. Die Bekämpfung der Korruption ist kein Selbstzweck, sondern wird ausschlaggebend dafür sein, ob Rumänien in absehbarer Zeit Mitglied des Schengenraumes werden kann. Ich persönlich würde

mir dies wünschen, sollten die Voraussetzungen dafür stimmen.

Was könnte Kronstadts Attraktivität als Wirtschaftsstandort steigern?


Kronstadt hat viele Trümpfe zu bieten: eine schöne Stadt und eine wunderbare Landschaft, die ein beliebtes Ziel für Touristen sind. Gleichzeitig sind die Wirtschaftsbedingungen hervorragend. Nach wie vor gibt es hier die Möglichkeit, dass deutsche Firmen Mitarbeiter finden und einstellen können. Die öffentliche Verwaltung muss hier mitziehen, was sie meines Erachtens nach auch tut. Der sehr aktive deutsche Wirtschaftsklub unter dem Vorsitzenden Werner Braun und Menschen wie der Stadtrat Christian Macedonschi sorgen dafür, dass deutsche Firmen sich willkommen fühlen und gute Bedingungen vorfinden. Ich glaube, das wird eine sehr verheißungsvolle Zukunft für Kronstadt bedeuten.

Eine verbesserte Verkehrsinfrastruktur, Autobahnanbindung und Flughafen, wären auch wichtig…

Diese Entscheidungen müssen die lokalen Mandatsträger treffen. Es sollte in absehbarer Zeit eine Autobahn zwischen Bukarest und Kronstadt realisiert werden. Die europäischen Mittel stehen hierfür bereit. Hilfreich wäre auch die Anbindung des Bukarester Flughafens an die Bahnstrecke zwischen Kronstadt/Brasov und Bukarest. Somit könnten die in Bukarest ankommenden Touristen vom Flughafen schnell in die Ferienregion um Kronstadt reisen und müssten auf diesem Weg nicht stundenlang im Stau stehen.

Sie haben in Kronstadt ihren Vortrag auch in Englisch gehalten. Wo war das?

 

Den Vortrag in englischer Sprache habe ich bei dem „Rotary-Club Burg Transilvania“ gehalten. Da hatte ich auch viele junge Zuhörer, da die Jugendorganisation Rotaract Mitveranstalter war. Das ist wichtig, denn Europa ist ein Projekt für die Jugend. Sie hat die Chance, in einem friedlichen Kontinent ihre persönlichen Perspektive nicht nur zu finden, sondern auch realisieren zu können. Die Jugend von heute hat alle Freiheiten und Freizügigkeiten. Das ist der eigentliche Schatz an Europa, den es zu bewahren gilt.

Vielen Dank für dieses Gespräch!