Die ersten Monate waren katastrophal

ADZ-Gespräch mit Ovidiu Ganţ, dem Abgeordneten des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien

Ovidiu Ganţ
Archivfoto: Zoltán Pázmány

Ovidiu Ganţ vertritt seit Dezember 2016 das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien in der Abgeordnetenkammer in seinem nunmehr vierten Mandat. Im Parlament Rumäniens, aber nicht nur, setzt er sich für die Interessen und Anliegen der deutschen Minderheit ein, desgleichen aber auch für jene aller Bürger aus den Verwaltungskreisen, in denen es deutschsprachige Gemeinschaften gibt. Darüber hinaus ist er ein aktiver Vermittler in den Beziehungen zwischen Rumänien und der Bundesrepublik Deutschland. Mit Ovidiu Ganţ führte Hannelore Baier ein Gespräch über das Geschehen in der rumänischen Politik seit den Wahlen vom Dezember 2016.

Sie waren bei der Konstituierung des aus den Wahlen vom Dezember 2016 hervorgegangenen Parlaments erneut zum Vize-Leader der Fraktion der nationalen Minderheiten gewählt worden, haben das Amt im Januar 2017 aber bereits niedergelegt. Warum?

Aufgrund des Wahlergebnisses fand ich es legitim, dass eine PSD-ALDE-Regierung gebildet wird, andererseits muss ich sagen, dass mich die beiden Vorschläge der Sozialdemokraten für das Amt des Premierministers – Sevil Shhaideh und Sorin Grindeanu – sehr enttäuscht haben. Es hätte auch geeignetere Politiker gegeben, um dieses – aber auch andere Regierungsämter – zu übernehmen. Legitimiert durch das Wahlergebnis wurde eine Regierung vorgeschlagen, für deren Einsetzung ich gestimmt habe. Die Gruppe der nationalen Minderheiten, der in der derzeitigen Legislatur 17 Abgeordnete angehören, wählte mich, angesichts meiner langjährigen Erfahrung im Parlament und in der Politik Rumäniens, einstimmig zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden.

Dann kam es aber – trotz des dem Staatspräsidenten gegebenen Versprechens von Premierminister Grindeanu, keine Dringlichkeitsverordnungen im Bereich der Justiz zu  erlassen – zu der Nacht- und Nebelaktion, in der die Dringlichkeitsverordnung Nr. 13 von der Regierung durchgewinkt worden ist. Für mich war dies das klare Signal, dass ich, als Abgeordneter der deutschen Minderheit, mit dieser Regierung nicht zusammenarbeiten kann. In meiner Fraktion bestand eine PSD-freundliche Mehrheit, die ich nicht vertreten konnte als stellvertretender Fraktionsvorsitzender, der den Verhandlungspartner PSD-ALDE kritisiert. Ich legte das Amt des Vize-Leaders also nieder, um die Freiheit zu haben, auch öffentlich gegen die Regierung Position beziehen zu können – was ich seither auch getan habe. Es begannen dann auch die verleumderischen Attacken gegen die deutsche Minderheit, in den Medien brachte die Propaganda-Maschine der PSD und ALDE Anschuldigungen, das Deutsche Forum sei Nachfolger der Nazi-Organisation Deutsche Volksgruppe in Rumänien, es hätte ungerechtfertigt Immobilien zurückbekommen, sogar vormals jüdisches Eigentum, usw. Ich habe Premierminister Grindeanu und PSD-Chef Liviu Dragnea aufgefordert, sich von den die deutsche Minderheit verleumdenden Äußerungen zu distanzieren, was sie nicht getan haben. Seit Februar 2017 habe ich folglich jeden Kontakt zu der Regierung abgebrochen.

Eilerlass Nr. 13 hatte als Hauptziel, die Gesetzgebung so zurecht zu biegen, dass der PSD-Leader und andere Personen aus seinem Umfeld von der Justiz nicht belangt werden. Besteht die Gefahr weiterhin, dass eine Novellierung der Gesetze im Bereich der Justiz zugunsten des PSD-Leaders und seiner Leute durchgeboxt wird?

Die Gefahr, dass die Interessen Rumäniens geopfert werden, um dem Parteivorsitzenden Dragnea zu helfen, seine juristische Situation zu lösen, ist latent vorhanden, solang er das Amt als Parteivorsitzender innehat und in der PSD jene die Mehrheit haben, die auf ihn hören. Die im Juni eingesetzte Regierung Mihai Tudose ist allerdings zurückhaltender als jene des ersten PSD-Premiers Grindeanu. Der amtierende Justizminister Tudorel Toader ging nach Brüssel, um sich von dort grünes Licht zu verschaffen, er hat sich mit Kommissionsvertretern unterhalten und ich kann nur hoffen, dass die Vorschläge, die im Herbst ins Parlament zur Debatte kommen, in den beiden Kammern nicht zugunsten des PSD-Parteichefs verändert werden, sondern annehmbar bleiben. Ich hoffe, dass die Novellierungsvorschläge auch die Genehmigung durch den Hohen Magistratsrat bekommen, sonst werde ich natürlich dagegen stimmen.

Wie schätzen Sie das bis August abgelaufene politische Jahr 2017 in Rumänien ein?

Die ersten sechs Monate mit der Regierung Grindeanu betrachte ich als katastrophal. Den Dringlichkeitserlass Nummer 13 habe ich bereits erwähnt, schlecht aber ist auch der gesamte Aufbau des Staatshaushaltes. Der Staatspräsident hatte bei der Promulgation gewarnt, die Konstruktion sei unrealistisch, die Mitglieder der PSD aber meinten, er wolle das Umsetzen ihrer großartigen Ideen verhindern. Die Vorhaben erwiesen sich als so „genial“, dass die Partei im Juni den eigenen Premierminister infolge einer sogenannten Evaluierung ganz einfach gestürzt hat. Angeblich wegen Ineffizienz in der Umsetzung der Vorhaben. Fakt ist, dass die Zahlen eine positive Entwicklung nicht bestätigen. Man muss sich nur die kleinen Einnahmen und die enormen Ausgaben in und aus dem Budget ansehen. Hinzu kommt, dass die öffentlichen Investitionen gegen Null tendieren, EU-Mittel wurden keine abgerufen, dem Wirtschaftswachstum von 5,8 Prozent steht eine äußerst negative Handelsbilanz gegenüber, was bedeutet, dass wir es mit massivem Konsum zu tun haben, die Leute aber ihr Geld für Importe ausgeben.

Die ersten sechs Monate waren, wie gesagt, katastrophal. Die im Juni eingesetzte Regierung Tudose versucht, einen Unabhängigkeitskurs gegenüber PSD-Chef Dragnea und dem ALDE-Vorsitzenden C˛lin Popescu T˛riceanu zu fahren, mal sehen, ob das auch gelingt. Premierminister Tudose war so ehrlich zu verkünden, dass die finanzielle Lage schlecht ist. Ich bin gespannt, ob er seine Position halten kann und nicht einknicken wird unter dem Druck der Koalition. Auch bin ich ziemlich skeptisch, dass Tudose die Finanzlage in den Griff kriegen, geschweige denn verbessern kann. Die öffentliche Verschuldung hat zugenommen. Wenn das so weitergeht, bewegt sich Rumänien in Richtung griechische Verhältnisse.
Ich habe auch nicht für das Gesetz der einheitlichen Entlohnung der aus öffentlichen Mitteln bezahlten Angestellten  gestimmt, das am 1. Juli in Kraft getreten ist. Ich finde es nicht richtig, dass das Gesetz im Falle einiger Kategorien von Angestellten bereits jetzt angewendet wird, andere aber erst am 1. Januar 2018 – und auch das unter Vorbehalt – eine Lohnerhöhung erhalten. Ich finde es unerhört, dass die Kreis-, Stadt- und Gemeinderäte die Löhne der Beamten in den Kommunen bzw. ihre eigenen Diäten selbst bestimmen dürfen – die bekanntlich im Verhältnis zu den Löhnen der Kreisratsvorsitzenden und Bürgermeister stehen. Es kann nicht angehen, dass Sekretäre gleichgroßer Städte mit gleicher Problematik unterschiedlich entlohnt werden, sofern sie beide Beamte sind. Ich finde das Prinzip nicht in Ordnung, abgesehen davon, dass diese Lohnerhöhungen nicht finanzierbar sind.

Sind – angesichts der Tatsache, dass Sie sich in Opposition zur Regierungskoalition befinden – keine Nachteile für das Deutsche Forum zu befürchten? Bekanntlich kam es in der Vergangenheit vor, dass die Regierung den Hahn der Mittelvergabe abgedreht hat, wenn die Abgeordneten der Minderheiten nicht für sie gestimmt haben.

Damals stimmte die gesamte Fraktion gegen die Regierung. Dass gegen einzelne Vertreter von Minderheitenorganisationen vorgegangen wird, ist eher undenkbar. Die Finanzierung des DFDR durch den rumänischen Staat für 2017 steht, sie erfolgt regelmäßig laut Haushaltsgesetz, so wie wir das Anfang des Jahres bestimmt haben. Ich glaube nicht, dass sich die Regierung trauen wird, gegen die deutsche Minderheit allein vorzugehen, weil das für die Beziehung zur Bundesregierung ein katastrophaler Fehler wäre. In der gemeinsamen Pressekonferenz von Präsident Klaus Johannis und Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich des Besuches im Juni in Berlin erwähnte die Bundeskanzlerin die Brückenfunktion, die die deutsche Minderheit in den Beziehungen zwischen den beiden Staaten hat. Ich glaube, in Bukarest wurde dieses Signal registriert. Zudem ist die Fraktion der Minderheiten, wie bereits gesagt, pro PSD. Meine Opposition wird sich also nicht negativ auswirken – sie wird aber auch nichts bewirken, wenn weiterhin so schlecht regiert wird. Das hat Folgen für das ganze Land, die gesamte Gesellschaft, deren Teil wir sind. Ich hoffe, dass Premierminister Tudose sich anders positionieren wird als sein Vorgänger. Optimistisch bin ich aber nicht, im Gegenteil.

Ist es nicht schwer, aus der Opposition heraus die Interessen der deutschen Minderheit zu vertreten und zu versuchen, gewisse Anliegen durchzusetzen?

Zurzeit steht das DFDR institutionell und – wie bereits erwähnt – finanziell gut da. Die vorgesehenen Projekte des DFDR können umgesetzt werden, und zwar Dank der Unterstützung, die es erhält. 2017 wurden 25 Jahre seit der Unterzeichnung des Freundschaftsvertrages zwischen Rumänien und der Bundesrepublik Deutschland gefeiert, aufgrund dessen und in dessen Umsetzung die deutsche Minderheit von beiden Staaten gefördert wird. Dafür sind wir sehr dankbar, denn ohne diese Unterstützung wären die Arbeit und Vorhaben des DFDR nicht denkbar.
Was meine Haltung angeht – die ich in Absprache mit dem Forumsvorsitzenden Dr. Paul Jürgen Porr einnehme, mit dem ich hervorragend zusammenarbeite: Wichtig ist, wie man kritisiert, wie man Opposition macht und wie man bei der anderen Seite ankommt. Mit einigen der Politiker, die zurzeit in der Regierung sind, habe ich seit vielen Jahren im Parlament zusammengearbeitet. Insofern der gegenseitige Respekt vorhanden ist, wie zum Beispiel zwischen dem Premierminister und mir, sehe ich keine Schwierigkeit, konkrete Anliegen vorzubringen. Derzeit aber gibt es – bis auf „unlösbare“ Aufgaben, wie die Herausgabe von Lehrbüchern in deutscher Sprache, die seit mehr als zehn Jahren von keiner Regierung, egal welcher Couleur, gesichert worden sind – keine spezifischen Fragen, für die ich mich einsetzen müsste und die nicht gelöst werden könnten.

Wie erklären Sie sich den Eiertanz der Regierungskoalition, allerlei phantastische Maßnahmen im Wirtschafts-, Finanz- und Sozialbereich in der Öffentlichkeit anzukündigen, die sofort von Fachleuten als unsinnig bis unmöglich bezeichnet werden und deren Umsetzung dann meist auch nicht erfolgt, oder zumindest nicht wie angekündigt?

Dieses Verhalten ist eine Fortführung der Lügen aus dem Wahlkampf. Leider hat ein breites Publikum, vor allem aus der eher ungebildeten Schicht und aus dem ländlichen Raum, diesen Lügen Glauben geschenkt und ist bereit, es auch weiter zu tun. Nur: Man kann lügen, bis die harte Realität eintritt, dann muss man zugeben, dass die Aussagen falsch waren. In diese Lage geraten, versuchen die Leute der PSD jedoch die Bürger zu überzeugen, sie hätten die ersten Aussagen gar nicht gemacht. Das große Thema des Sommers waren die Sonderrenten der Mitarbeiter aus dem Bereich der Sicherheit (Innenministerium, Verteidigungsministerium), die bestehen bleiben sollten und die dann doch für die künftigen Rentner nicht mehr vorgesehen sind, weil nicht finanzierbar. Auch andere Versprechen mussten zurückgenommen werden.
Die Frage ist, ob die Wählerschaft kapiert, dass anfangs gelogen wurde und weiterhin bereit ist, die Propaganda über die Medien dieser Parteien zu schlucken. Die Tatsache, dass die PSD seit 25 Jahren bei 30 Prozent plus in der Wählergunst steht, zeigt, dass es eine konstante Wählerschaft gibt, die der Propaganda Glauben schenkt und für ein paar Lei mehr – die dann verloren gehen über erhöhte Taxen und Steuern – diese Partei wählt. Man muss aber auch sagen, dass die Opposition reichlich wenig tut. Ich finde ihre Arbeit derzeit unqualifiziert, sowohl im Parlament als auch in der Öffentlichkeit.

Was wird – Ihrer Voraussicht nach – im Herbst 2017 auf der politischen Bühne in Rumänien geschehen?

Nach der Aufnahme der Tätigkeit des Parlamentes muss zunächst geklärt werden, wie die Verhältnisse nach der Sommerpause in den Parteien aussehen, welche Parlamentarier von welchen Parteien „eingekauft“ worden sind. Desgleichen muss man feststellen, welche neuen Gruppierungen zustandekommen und wie sich die Mehrheit im Parlament positioniert. Ein anderer Punkt sind die anstehenden Gerichtsurteile, die direkten Einfluss haben werden auf einige wichtige Politiker.
Ferner steht, wie bereits erwähnt, die Haushaltsumschichtung an, beherrscht werden muss die Lage angesichts der knappen finanziellen Ressourcen und des schlechten Landwirtschaftsjahres infolge der Dürre. Das Wachstum wird also einbrechen. Es wird wahrscheinlich ein heißer politischer Herbst.

Eines Ihrer Bemühen ist, eine Vermittlerrolle in den politischen Beziehungen auf verschiedenen Ebenen zwischen Rumänien und Deutschland zu spielen. Gelingt es, den deutschen Partnern und Gesprächspartnern die rumänische Politik verständlich zu machen?

Ich muss gestehen, dass dies ziemlich schwierig ist. Für deutsche Politiker ist das, was in Bukarest geschieht, wahrscheinlich skurriler als das, was sich in Italien in den 70er Jahren des vorigen Jahrhundert abgespielt hat. Rumänien hat aber das große Glück, dass Klaus Johannis Staatspräsident ist, der es versteht, mit den hochrangigsten europäischen Politikern zu sprechen. Ich war Teil der Delegation beim offiziellen Besuch in der Bundesrepublik und habe festgestellt, nicht nur wie er gewisse Sachverhalte erklärt, sondern auch, wie er die bilaterale Politik meistert. Gesehen habe ich, wie eng und freundschaftlich die Beziehungen zwischen der Bundeskanzlerin und dem Bundespräsidenten und Klaus Johannis sind. Ähnlich geschieht es im europäischen und globalen Geschehen.
Als Abgeordneter kommt mir die Rolle zu, auf parlamentarischer Ebene die Sachverhalte ab und zu erklären zu müssen, was ich – soweit gewünscht – tue, wenn Delegationen aus Deutschland zum Beispiel Rumänien besuchen. Bei jedem Gespräch mit deutschen Politikern und Unternehmern werbe ich für die deutsche Minderheit, denn es ist nicht zu erwarten, dass junge deutsche Politiker und Unternehmer eine Ahnung haben, dass es eine deutsche Minderheit in Rumänien gibt und wie es um sie steht.