Die Faszination der Kinowelt

Filmerziehungsprojekt mit Schülern aus Kronstadt

Im Rahmen des Filmerziehungsprojektes „CinEd“ haben sich Kinder mit einem Film aus dem Jahr 1973 auseinandergesetzt.

Junge Zuschauer bei der Filmprojektion

Nach dem Film folgten Gespräche mit der Kritikerin Gabriela Filippi aus Bukarest.

Ana Torrent und Isabel Telleria in „Der Geist des Bienenstocks“
Fotos: Museum „Casa Mureşenilor“

Kastilien, Spanien, 1940. Ein alter Lastwagen rollt über holprige Dorfstraßen  und wird frenetisch von einer Kinderschar begrüßt. Wie sich herausstellt, bringen die Insassen des Fahrzeugs eine Leinwand, ein Projektionsgerät und Filmrollen. Ein neuer Film kommt ins Dorf. Am gleichen Nachmittag findet im Gemeindesaal des Rathauses eine Filmvorführung statt. Zusammen mit ihrer Schwester Isabel sieht die siebenjährige Ana den Filmklassiker „Frankenstein“ in der Regie von James Whales. Das Monster, dessen Tod und das kleine Mädchen im Film wollen Ana nicht mehr loslassen. Sie ist gleichermaßen verwirrt und fasziniert. Gibt es Frankenstein wirklich? Als Ana einen Fremden auf einem Feld entdeckt, hilft sie ihm, ohne zu ahnen, was sich hinter diesem Mann vebirgt. „Der Geist des Bienenstocks“ wurde 1973 unter der Regie von Victor Erice gedreht. Mehr als vier Jahrzehnte später fasziniert er noch immer Zuschauer aus der ganzen Welt.

Auch junge Zuschauer aus Kronstadt. Am Montag, dem 3. Juli, hatten etwa 20 Kinder die Gelegenheit, das spanische Meisterwerk im Rahmen des Projekts „CinEd“ zu sehen. „European Cinema Education for Youth“ (deutsch: europäische Filmerziehung für die Jugend) ist ein Projekt, das schon zum zweiten Mal in Rumänien stattfindet. Sechs Städte, darunter auch Kronstadt, wurden auf Initiative der Kulturgesellschaften NexT und KunSTadt, unterstützt vom Museum „Casa Mureşenilor“ ins Projekt miteinbezogen. Die Filmprojektion fand im „Stefan Baciu“-Haus statt. Das Programm nimmt sich vor, eine immer größere Anzahl von Kindern aus Europa für Kunstfilme zu begeistern, damit diese zu aktiven und kritischen Zuschauern heranwachsen, die sich ihre eigene Meinung bilden. Ebenfalls nimmt man sich vor, durch dieses Programm den kulturellen Horizont der jungen Leute, die oft nur Blockbuster im Multiplex-Kino sehen,  zu erweitern.

Auch ein Film aus dem Jahr 1973 kann spannend sein

Vor 30 Jahren standen die Kinder vor den Kronstädter Kinos an den frühen Morgenstunden Schlange, um ein Filmticket zu erhalten. Heute sehen sie kaum noch einen Film auf großer Leinwand- Fernseher, Tablet und Smartphone haben das Kino ersetzt. Und wenn sie trotzdem ins Kino gehen- das Angebot besteht nur aus Blockbustern und 3D-Zeichentrickfilmen. Klassiker der Filmgeschichte bleiben ihnen fremd.

„Welches war der letzte Film, den ihr gesehen habt?“, fragte eine Angestellte des Museums während des einführenden Gesprächs. Zuerst antwortete niemand auf die Frage, dann sagte ein Mädchen leise: „Harry Potter“. „Falls euch der Film nicht gefällt, könnt ihr den Saal verlassen. Er muss euch nicht gefallen. Es ist auch völlig ok, wenn ihr euch langweilt und weg wollt“, meinte die Angestellte. Trotzdem verließ während der 115 Minuten kein Kind den Saal. Als sie gebeten wurden, die Hand zu heben, falls ihnen der Film gefallen hat, hoben alle die Hand. Besonders spannend fanden sie die Szene, als Anas Schwester sich tot stellt, um sie zu erschrecken. Der Zweck von  Projekten wie „CinEd“ ist, Kinder für gute Filme zu begeistern. Gespräche nach den Filmen bieten dem jungen Publikum die Möglichkeit, ihre Begeisterung zu teilen und sich mit dem Gesehenen kritisch auseinanderzusetzen. Leider findet Kino in rumänischen Schulen nur im Rahmen von Projekten, in außerschulischen Unternehmungen oder dank engagierter Lehrer statt. Kino ist nicht nur mit 3D-Brillen im Multiplex-Saal spannend. Auch alte schwarz-weisse Filme können unterhaltend sein.

Eine vielschichtige Leinwandgeschichte

„Der Geist des Bienenstocks“ ist auf den ersten Blick ein Kinderdrama, eine „Coming-of-Age“ Geschichte. Die von Ana Torrent gespielte Ana nimmt durch den Film „Frankenstein“ eine faszinierende Welt wahr: die Welt der Phantasie. Doch wo ist die Grenze zwischen Phantasie und Wirklichkeit, die Grenze zwischen dem winzigen spanischen Dorf und der Welt, die in der gruseligen Leinwandgeschichte dargestellt wird? Ana hält das Monster im Film zweifellos für real. Kurz darauf begegnet sie ihm mitten in einem Feld. Die Phantasie verhilft Ana auf die Flucht von der Wirklichkeit – zu Hause ist die Atmosphäre auch nicht gut. Anas Vater ist eher distanziert und verbringt seine Zeit mit Literatur und Bienenzucht. Die Mutter schreibt Liebesbriefe an einen Unbekannten. Auch der historische Kontext ist wichtig. Victor Erices Werk ist einer der letzten Filme, die noch unter Franco’s Herrschaft gedreht wurden. Er fängt eine bedrückende Atmosphäre ein und ist kurz nach Ende des Spanischen Bürgerkrieges in der spanischen Provinz angesiedelt. Die politischen Aspekte sind zwar für Erwachsene deutlich herauszulesen, jedoch funktioniert der Film auch ohne sie. Das Faszinierende am „Der Geist des Bienenstocks“ ist seine Vielschichtigkeit. Jedoch bleibt er hauptsächlich ein Film über die Welt der Kindheit, aber auch über die Magie des Kinos.

Nach der Filmprojektion folgte eine Gesprächsrunde mit der Bukarester Filmkritikerin Gabriela Filippi. Die Kinder haben erfahren, was ein Drehbuch ist, wie ein Film geschnitten wird, was ein Regisseur macht und wie wichtig die Musik ist. Anschließend wurden ein paar Szenen des Films erneut gespielt und analysiert, dabei wurden Symbole entdeckt und entschlüsselt. Die bewegten Bilder prägen unseren Alltag, unsere Wahrnehmung und unsere Identität. Deshalb ist es wichtig, die Bedeutung des Mediums Film hervorzuheben und seinen Einsatz im Unterricht zu fördern. Dabei müssen die Kinder lernen, dass Film nicht nur Unterhaltungsware ist. Er sollte nicht nur konsumiert werden, sondern man soll sich damit auseinandersetzen und lernen, wie man ihn entschlüsselt. Die Kinokultur muss den Kindern abseits des Mainstreams nahe gebracht werden- dann werden sie später weniger Schwierigkeiten haben, die Qualität eines Filmes zu beurteilen. Leider finden Programme wie CinEd nur selten an Schulen statt. Mehr derartige Projekte wären sicherlich nötig.